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Adele Spitzeder Das Thema

Stand: 23.02.2010 | Archiv

Adelheid Luise Spitzeder erblickte am 9. Februar 1832 in Berlin das Licht der Welt. Ihre Eltern, Josef und Betty Spitzeder waren ein berühmtes Sängerpaar, beide aus traditionsreichen Künstlerfamilien, und weilten wegen eines längeren Gastspielvertrages in Berlin. Für den Vater war es schon die zweite Ehe, war er doch vorher mit der Sängerin Henriette Schüler (1800-1830) verheiratet, die ihm sechs Kinder schenkte. Sie starb bereits im Alter von 30 Jahren und Josef brachte also in die neue Verbindung mit Elisabeth Vio genannt Betty (1808-1872) sechs Kinder mit. Doch auch die zweite Ehe war nicht von langer Dauer, denn Josef Spitzeder (1796-1832) starb an Lungenschwindsucht (Tuberkulose), bevor Adele ein Jahr alt war.

Der sonst so sparsame bayerische König Ludwig I. hatte offensichtlich einen Narren an der Familie Spitzeder gefressen, denn erst stimmte er dem jährlichen Spitzengehalt des Sängerpaares von 6.000 Gulden zu, und nach dem plötzlichen Tod des Vaters half er der jungen Witwe, indem er die Ausbildung der Kinder finanzierte. Als Betty wegen eines neuen Mannes nach Wien umzog, ging die achtjährige Adele erst in eine Lehranstalt für höhere Töchter in Wien, später wechselte sie in ein klösterliches Internat in der Johannesgasse, wo sie sich wesentlich wohler fühlte. Im Alter von 12 Jahren konnte sie ihre Mutter überzeugen, gemeinsam (Bettys zweite Ehe mit Franz Maurer wurde bereits nach einem Jahr geschieden) wieder nach München zu übersiedeln, wo Adele mit den Söhnen ihrer Tante erzogen wurde. Mit sechzehn kam sie dann für zwei Jahre in das damals sehr bekannte Institut der Madame Tanche, in welchem sie endlich guten Unterricht erhielt. Anschließend genoss sie noch eine umfangreiche Ausbildung durch Privatlehrer in Fremdsprachen, Komposition und Klavier.

Da sie Schauspielerin werden wollte, nahm sie Unterricht bei zwei sehr berühmten Münchner Hofschauspielerinnen, zuerst bei Constanze Dahn und dann bei Charlotte von Hagn. Mit 25 Jahren hatte sie ihr erstes Engagement in Coburg, ein Jahr darauf, 1858 stand sie in dem Schauspiel "Deborah" als Titelheldin erstmals auf der Bühne des Münchner Hoftheaters, wo sie viel beklatscht wurde, für eine Festanstellung reichte es jedoch nicht. In den folgenden Jahren hatte sie Engagements in Frankfurt, Nürnberg, Brünn, Graz und zuletzt in Zürich, wobei ihr der wirklich durchschlagende Erfolg allerdings versagt blieb. So kam sie als stellenlose, verschuldete Schauspielerin im Mai 1866 wieder nach München zurück, um dort auf Angebote ihrer Theateragenten zu warten. Als diese ausblieben (oder sie sie ablehnte, weil sie ihr zu unbedeutend erschienen) war ihre Theaterkarriere beendet.

Madame Banquière

Um die laufenden Kosten zu decken für sich, ihre Freundin und ihre sechs Hunde reichten die 50 Gulden, die sie von ihrer Mutter monatlich erhielt, natürlich nicht aus. Also besann sich Adele auf Kontakte, die ihr früher schon mal aus der Patsche geholfen hatten: sie lieh sich zu Wucherzinsen bei professionellen Geldverleihern über die Zeit erkleckliche Summen aus.

Über ihre frühere Holzlieferantin lernte sie dann einen Zimmermann aus der Vorstadt Au kennen, der bereit war, ihr zu ihren eigenen Bedingungen Geld zu leihen. Sie gab ihm für ein Darlehen von 100 Gulden einen Monatszins von zehn Prozent und zahlte ihm für zwei Monate im Voraus die Zinsen gleich bar auf die Hand. Diese Methode sprach sich in Windeseile herum und in kürzester Zeit kamen sehr viele meist einfache Leute aus den Vorstädten Au und Giesing und drängten ihr ihre Ersparnisse förmlich auf. In ihrer Biografie betont Adele Spitzeder immer wieder, wie ahnungslos und ohne die geringsten kaufmännischen Kenntnisse sie in das Bankengeschäft hineingeraten ist. Sie war so beschäftigt mit dem Erfolg ihrer kleinen Privatbank (die Geschäfte wickelte sie zunächst alle in ihrem Hotelzimmer ab) , dass sie wie selbstverständlich die Einlagen ihrer Kunden zum Bezahlen ihrer eigenen Schulden verwendete und hoffte, dass schon nicht alle gleichzeitig kommen würden um ihr Guthaben einzufordern. Unter Adeles Kunden waren viele Arbeiter der Giesinger Lederfabrik, die aus Dachau stammten, so kam es zu der scherzhaft gemeinten Bezeichnung "Dachauer Bank", die aber bis zum Ende erhalten blieb.

Das Phänomen "Dachauer Bank"

Die stark anwachsende Einwohnerzahl Münchens ließ die frischgebackene Bankerin hoffen, dass der Geldstrom nie versiegen würde. Und obwohl sie ihren Zinssatz auf acht Prozent herabsetzte, erweiterte sich der Bekanntheitsradius ihres Institutes rasend und die Leute brachten ihr weiterhin Körbeweise ihr Geld. Ihre Kunden, zum größten Teil Handwerker, Arbeiter, Bauern und Dienstboten, vertrauten der charismatischen Erscheinung, die in der Lage war zwischen Bühnenhochdeutsch und Münchner Dialekt hin und her zu wechseln, und die ihre Anleger stets selbst bediente. Mit entwaffnender Offenheit gab sie immer wieder zu bedenken, dass sie keine Sicherheiten bieten könne. Paradoxerweise gefiel das ihren Anlegern. Hinzu kam, dass gerade die Unterschicht der christlichen bayerischen Bevölkerung große Vorbehalte gegen die Geldverleiher jüdischer Herkunft hegte, und deshalb ihre Geldgeschäfte lieber mit einer „Ihrigen“ machen wollte. Bald mietete die inzwischen reich gewordene Adele in ihrem Hotel zwei Zimmer dazu, doch als auch diese nicht mehr ausreichten, erwarb sie 1871 für 54.000 Gulden das Haus Schönfeldstraße Nr. 9 (in erster Lage) und ließ es für ihre Zwecke umbauen und prächtig einrichten.

Geschäftspraxis und Lebensstil

Da die Einzahlungen (an manchen Tagen an die 100.000 Gulden) die Auszahlungen bei weitem übertrafen, konnte Adele bald über Millionen verfügen, was sie auch tat und zwar so, als ob es ihr eigenes Vermögen wäre. Sie kaufte Häuser in den besten Wohnlagen, finanzierte gemeinnützige Projekte, machte ihrer Freundin teure Geschenke und beschäftigte bis zu 40 Angestellten, von der Küchenmamsell über die Auszahler und die Portiers in Livree bis zum Privatsekretär. Außerdem eröffnete sie am Münchner Platzl die "Münchner Volksküche", ein Gasthaus mit 4.000 Sitzplätzen, das Bier und Mahlzeiten deutlich verbilligt an die Bevölkerung abgab und festigte so ihren Ruf als "Engel der Armen". Sowieso war sie bei ihren Kunden sehr beliebt, weil diejenigen, die sich ihre Anlagen auszahlen ließen, in vollem Umfang und vertragsgerecht befriedigt wurden. Und durch ihr bestimmtes Auftreten, gepaart mit einer ostentativen Frömmigkeit konnte sie alle Zweifel zerstreuen.

Rechtlich bewegte sich Adele Spitzeder offensichtlich in einer Grauzone: da sie keine Kauffrau war, musste sie sich zunächst nicht ins Handelsregister eintragen lassen und führte auch keine ordnungsgemäßen Bücher (was ihr dann später vorgeworfen wurde). Immer wieder befragte sie ihre Anwälte, ob diese Art der Kreditnahme strafbar sei, doch sie erhielt stets eine verneinende Antwort. Die Geldbestände und die Wechsel bewahrte sie in ihren Wohnräumen auf und ließ lediglich aufschreiben, wer wann was bezahlt hatte.

Zusammenbruch der Bankutopie

Die Behörden beobachteten das Treiben des Fräulein Spitzeder schon seit längerer Zeit mit großem Argwohn. Im Mai 1871 diskutierte der Magistrat erstmals über die Wucherzinsen der Privatbankerin, denn die Sparkasse, traditionell im Besitz der Stadt, meldete starke Einbußen (die Rede war von 50.000 Gulden, die man an die Spitzedersche Bank verloren hätte). Auch wurde in den Medien schon seit geraumer Zeit Stimmung gegen sie gemacht, was sie aber immer ausgleichen konnte, indem sie einige Journalisten bezahlte, damit sie positiv über sie schrieben und zu Beginn des Jahres 1872 gründete sie sogar eine eigene Zeitung. Schließlich befasste sich dann die Bayerische Staatsregierung mit der Angelegenheit Spitzeder. Im Frühjahr 1872 begann ein Briefwechsel zwischen dem Justiz- und dem Innenministerium in Sachen Dachauer Bank, doch den Behörden fehlten lange Zeit die Mittel, um gegen die umstrittene Dame vorzugehen.

Endlich gelang es, 40 Gläubiger dazu zu überreden, ihr Guthaben im Laufe des Vormittags des 12. November 1872 einzufordern, um Adele Spitzeder in Zahlungsschwierigkeiten zu bringen. Gleichzeitig ließ eine Gerichtskommission kurzerhand die Dachauer Bank schließen und von Gendarmen umstellen. Adele Spitzeder wurde samt ihrer Intimfreundin Rosa Ehinger und einiger Angestellter verhaftet und in Untersuchungshaft überführt. Am 19. November wurde dann durch das königliche Bezirksgericht München das Konkursverfahren eröffnet und die Gläubiger wurden öffentlich dazu aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden. Beim Schwurgerichtsprozess im Juli 1873 präsentierte man die Ergebnisse der Untersuchung: nach Abzug der enormen Vermögenswerte ergab sich eine Überschuldung von mehr als acht Millionen Gulden – über 30.000 Anleger verloren ihr gesamtes Geld, einige erhängten sich aus Verzweiflung. Das Gericht warf ihr vor, keine Handelsbücher geschrieben, ferner widerrechtlich Vermögen beiseite geschafft und zudem übermäßig Geld verschwendet zu haben. Am 20. Juli 1873 verurteilte man sie wegen betrügerischen Bankrotts zu einer Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten.


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