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... in Kunst, Gesellschaft, Mythologie

Der Floh ... ... in Kunst, Gesellschaft, Mythologie

Stand: 29.06.2016

Floh im Buch | Bild: colourbox.com

Meister Floh und die Künste

Große Sätze macht er übrigens nicht nur in der Natur. Auch in der Kulturgeschichte hat es Pulex irritans erstaunlich weit gebracht. Er hat sich sogar eine eigene Literaturgattung erobert. Bemerkenswert an diesem Flohschrifttum, das vom 15. bis ins 18. Jahrhundert in vielen Formen üppig ins Kraut schießt, ist vor allem eins: Der Blutsauger kommt erstaunlich gut weg. Er sticht, beißt, nervt, aber das nimmt ihm niemand richtig krumm. Unterm Strich erscheint Meister Floh in Schwänken, Satiren, Fabeln und Moralgeschichten als durchaus liebenswerter, pfiffiger, lebenslustiger Filou.

Volksheld und Rebell

Für das positive Image des Parasiten sorgt ausgerechnet sein Blutdurst. Den stillt Pulex irritans nämlich höchst egalitär, ohne Ansehen des Standes und der Person, ohne Rücksicht auf Herkunft, Vermögen oder Vorrecht. Vor dem Floh sind alle gleich. Egal ob Kaiser oder König, ob Bürger, Bauer oder Bettelmann, der Floh packt sie alle. Er ist ein Volksheld der für ein bisschen mehr Gerechtigkeit in einer Welt voller Willkür sorgt. Und wie der Tod schafft er Gleichheit in einer Gesellschaft, die auf schreiender Ungleichheit basiert. Das kitzelt die Schadenfreude und spendet Trost, das macht den Floh sympathisch und das eigene Schicksal erträglicher. In manchen Geschichten und Redewendungen gärt freilich auch ein rebellischer Unterton: "Der Floh ärgert den Löwen mehr als der Löwe den Floh", heißt es da, oder "Magere Flöhe beißen scharf". Das ist ein klares Warnsignal an die Obrigkeit: Der Floh als Allegorie des Volkszorns, als Wappentier der Unterdrückten, die fürs Erste nur literarisch aufbegehren. Später zeigen Landstürme, in denen mit Mistgabeln, Sensen und Dreschflegeln bewaffnete Bauernhorden befestigte Städte und Ritterheere angreifen, wie böse ein gereizter Floh zustechen kann.

Flohland ist Frauenland

Manche Erzählungen kehren die Rollenzuschreibung auch um. Da ist der Floh dann nicht mehr das Sinnbild des kleinen Mannes, sondern eine Metapher für die rücksichtslose Ausbeutung des Volks durch Adel und Geistlichkeit. In solchen Geschichten haben beide Stände dieselbe maßlose, hinterhältige, unersättliche und ewig hungrige Flohnatur, beide vermehren sich ungebremst und halten sich bevorzugt bei Frauen auf. Der Witz zündet, weil er auf fundamentalen Glaubenssätzen der Flohliteratur fußt: Flöhe sind gierig, Flöhe saugen Blut, Flöhe beißen schmerzhaft und: Flöhe mögen Frauen!

Flohhatz, Weibertratz

Wissenschaftlich belegbar ist die steile These nicht, weder damals noch heute. Aber das ist für ein Axiom völlig belanglos. Flöhe und Frauen haben ein besonderes Verhältnis. Das steht seit dem Mittelalter unverrückbar fest, und an Begründungsversuchen herrscht auch kein Mangel. Mehr naturkundlich orientierte Deuter sehen den Floh als Feinschmecker, der das süßere Blut und die weichere Haut der Frauen vorzieht. Moralisten und Prediger wähnen eine didaktische Schöpfungskomponente am Werk. Sie glauben, Gott habe den Floh als Strafe für weibliche Eitelkeit und Kleiderprunk oder als Reizmittel gegen Müßiggang und Trägheit geschaffen. Wie auch immer: Die Flöhe plagen die Frauen und die Frauen zahlen es den Flöhen heim. Sie rücken dem Quälgeist mit Spürsinn, spitzen Fingernägeln, mit List und Ausdauer, mit Flammen, Flohfallen, Flohpelzen und anderen zweckreichen Einrichtungen unerbittlich zu Leibe. Es ist Krieg, schlagt den Feind, wo ihr ihn trefft, Pardon wird nicht gegeben!

Filou, Lüstling, Lebemann

Dass Pulex irritans vor allem Frauen aufsucht und dabei mit Vorliebe in feuchtwarme Körperregionen wie Achselhöhlen, Kniekehlen oder den Schambereich vordringt, entfaltet bei vielen Autoren belebende und geradezu aphrodisische Wirkungen. Die Wanderungen des Flohs triggern ausschweifende Männerfantasien. Unzählige, oft naturkundlich oder moralisch verbrämte Geschichten folgen ihm detailverliebt auf seinen Ausflügen in die Feuchtgebiete des weiblichen Körpers. Dort durchmessen sie schlüpfrig Busch und Tal, verlieren sich selig und verbuhlt im Venusberg, nutzen ihre Gelegenheit, zumindest sprachlich endlich einmal deftig unter die Gürtellinie zu greifen. Die Abenteuer der schlüpfrigen Leibesvisitation werden jedoch nicht nur besungen, sondern auch gezeichnet, modelliert und immer wieder gemalt. Wenn sich leichtgeschürzte Damen nächtens ungesehen wähnen und unter ihren Kleidern auf Flohjagd gehen, sucht das Auge des Betrachters stets genüsslich mit.

Die Zuchtrute Gottes

Angesichts solcher Vorzüge überrascht es kaum, dass der Floh so viele Sympathiepunkte sammelt. Er ist ein Gerechtigkeitsapostel und Gleichmacher, ein Volksheld und Rebell, ein Frauenerzieher und Schürzenjäger, ein Schelm und Filou. Und es gibt noch einen weiteren Grund für seine Beliebtheit: Pure Unwissenheit. Flohbisse gelten als lästig, aber unvermeidlich und vor allem als harmlos. "Flohstiche schaden nicht", heißt es jahrhundertelang, oder "ein Flohstachel ist mehr gefährlich als beschwerlich". Wir wissen es heute besser. Aber bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts ahnt niemand, dass ausgerechnet der winzige Floh so gewaltige Menschheitsschrecken wie Fleckfieber und Pest auf dem Kerbholz hat.