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Ideal oder Idiotie?

Author: Volker Eklkofer / Sendung: Michael Conradt

Published at: 15-7-2015 | Archiv

Utopie: Ideal oder Idiotie?

Ethik und PhilosopieMS, RS, Gy

Utopien bündeln Wünsche und Träume, sie geben Ausblick in die Zukunft und blasen zum Aufbruch in eine neue, bessere Welt. Als echte Wegweiser dienen Utopien nur selten, doch beim Gestalten der Wirklichkeit können sie hilfreich sein.

Utopie - Die Idee von einer besseren Welt

Utopien bedienen Sehnsüchte. Sie skizzieren Idealwelten, die mit unserem Dasein nur wenig zu tun haben. Utopie kommt aus dem Griechischen - u-topos - und heißt übersetzt 'Nicht-Ort'. Diese Stätte existiert nicht, aber es wird gezeigt, wie sie beschaffen sein sollte. Mit dem Buch "Utopia", in dem der Humanist Thomas Morus 1516 das scheinbar mustergültige Staatswesen einer fiktiven Inselrepublik beschreibt, findet die Utopie Eingang in die Staatsphilosophie. Seither ist sie aus intellektuellen Debatten nicht mehr wegzudenken.

Utopie - Zitate

Oscar Wilde

"Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick, denn sie lässt die Küste aus, wo die Menschheit ewig landen wird. Und wenn die Menschheit da angelangt ist, hält sie Umschau nach einem besseren Land und richtet ihre Segel dahin. Der Fortschritt ist die Verwirklichung der Utopien."

Ernst Bloch

"Das Vorausträumen ist der Zustand von Jugend, der Zustand von Wendezeiten und der Zustand von Kreativität, worin ein neues geschaffen wird, das es bisher noch nicht gab das aber fällig ist, weil es möglich wurde."

Karl Mannheim

"Die Utopie bringt die Geschichte in Bewegung, indem sie sich auf das anders Mögliche bezieht. Mit dem Willen zur Utopie geht auch der Wille zur Geschichte und deren Gestaltung verloren."

Platon

"Unmöglich ist sie nicht, noch bringen wir Unmögliches vor, Schweres aber, das geben wir selbst zu."

Gundolf Freyermuth

"Die Designermutanten, unsere selbst geschaffenen Nachfolger, werden ihre eigene Physis und Psyche nach Maßgabe persönlicher Interessen und Vorlieben manipulieren und dabei die Grenzen der Gattung aufheben. Das Individuum wird vom Einen, der einzigartig ist, zum einzigartig Vielfältigen; zum Unikum, das - darin der Software gleich - alles und jedes experimentierend durchleben kann und das wie kein anderer tut."

Robert Nozick

"Utopia wird aus Utopien bestehen, aus vielen verschiedenartigen Gemeinschaften, in denen die Menschen verschiedene Lebensformen unter verschiedenen Institutionen pflegen."

Glückseligkeit auf der Insel Utopia

Auf Morus' Utopia gibt es Gütergemeinschaft, Sitten und Sprache der Einwohner sind gleich. Die Führung der Republik wird gewählt, Geld und Privatverträge sind verboten. Eine Art Parlament setzt die Arbeitszeiten fest, organisiert die Produktion und Verteilung der Güter. Stadt- und Landbewohner wechseln - schon um Gegensätze zu vermeiden - alljährlich die Wohnsitze. Die Utopier profitieren von der allgemeinen Schulpflicht, sie beschäftigen sich mit moralphilosophischen Fragen und geben sich mit einer einfachen Lebensweise zufrieden. Auf Utopia ist man tolerant, es herrscht Religionsfreiheit. Die Menschen sind friedliebend, aber abwehrbereit, wenn sie von außen bedroht werden. Morus' Werk beeinflusst die utopische Literatur stark und gibt der kommunistischen Bewegung wichtige Impulse. Schnell findet die Utopie neue, einflussreiche Gestalter.

Platons Herrschaft der Einsichtigen

Bei der Entwicklung politischer Systeme spielt das antike Griechenland eine wichtige Rolle und so verwundert es nicht, dass die älteste Staatsutopie von Platon stammt. Der Philosoph ist - mit mäßigem Erfolg - als Politiker in Athen und Syrakus aktiv. Ernüchtert beschränkt er sich schließlich auf eine Tätigkeit als Schriftsteller und Lehrer. In seinem Hauptwerk "Politeia", das um 370 vor Christus entsteht, schildert er den Staat als arbeitsteiligen Organismus. Es gibt drei Stände: die Regierenden, die Wächter sowie die Bauern und Handwerker. Die autokratische Regierung besteht aus weisen Philosophen, die den Weg zur Gerechtigkeit kennen (Logokratie). Gütergemeinschaft ist ein Muss in Platons Staat, Privateigentum würde die Einheit der Nation zerstören. Die Bereiche Erziehung und Kultur sind streng reglementiert. Überdies setzt sich Platon für eine Bevölkerungspolitik nach eugenischen Gesichtspunkten ein: Schöne Frauen sollen sich mit den besten Männern paaren, Schwächlinge haben das Nachsehen.

Eine Flut von Zukunftsentwürfen

Lange Zeit werden Utopien von ihren Erfindern in fernen Ländern und auf fremden Kontinenten angesiedelt. Als Forscher schließlich auch in die entlegensten Orte der Welt vordringen, findet der Utopietransfer vom Raum in die Zeit statt. Nun kommt die Zukunft ins Spiel. Religiöse Utopisten trösten die Menschen gern über die Tristesse auf Erden hinweg und machen Hoffnung auf später, zumindest auf die Erlösung durch den Tod. Andere sehen die Religion als einzige Basis menschlicher Existenz und skizzieren einen Gottesstaat. Denker der Politik wie die utopisch-kritischen Sozialisten streben danach, angesichts der industriellen Umwälzungen das irdische Dasein der Menschen zu optimieren und ein Paradies auf Erden zu schaffen.

Die Idealgesellschaft gibt es wohl nicht

Karl Marx entwickelt eine Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Lebens. Nach dem Klassenkampf und dem Zusammenbruch des Kapitalismus hilft der Sozialismus eine neue Gesellschaft zu schaffen. Tatsächlich startet im 20. Jahrhundert das Experiment, doch die gesellschaftspolitische Utopie scheitert an der Realität. Marx' Bewunderer greifen zu staatlichem Zwang und Unterdrückung, bauen den Eisernen Vorhang und Versuche, der Ost-Utopie zu entfliehen, kosten nicht wenige Menschen das Leben. So mündet der Traum vom besseren Leben in der Katastrophe. Es bleibt die nüchterne Erkenntnis, dass bislang jeder, der eine Idealgesellschaft schaffen wollte, Schiffbruch erlitten hat. Dies darf aber nicht zu dem Schluss verleiten, dass Utopien bloße Idiotie sind. Sie definierten Ziele, die durchaus erstrebenswert sind, aber immer wieder auf den Prüfstand gehören. Nur dann können Utopien als Fortschrittsmotoren wirken.

Mensch und Maschine sollen verschmelzen

In Zeiten, in denen das Alltags- und Berufsleben der Menschen zunehmend ins Netz ausgelagert wird, sind eher Fortschrittsutopien gefragt. Ihre Vertreter beschäftigen sich mit heute mit der Entwicklung des Menschen zum Cyborg, zu einem Wesen, das nicht mehr nur aus Körper und Geist besteht, sondern aus Hardware (Computer), Software (bislang die Seele) und Wetware (Fleisch des Körpers). Aktuelle Utopien basieren auf der Vorstellung, dass Technologie, freier Informationsfluss sowie die Koppelung von natürlicher und künstlicher Intelligenz die begehrten Idealwelten schaffen.


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