Bayern 2 - radioWissen


14

Strafe & Vergeltung Das Thema

Stand: 15.01.2009 | Archiv

Nahaufnahme eines Gerichtshammers | Bild: picture-alliance/dpa

Entwickelt hat sich die Strafe aus der Rache: Stiehlst du mir meinen Esel, schlag ich dir ins Gesicht. Ich will mich doch rächen für das erlittene Unrecht. Das ist menschlich - immerhin: Sogar Platon räumt den Opfern von Verbrechen ein, durch die Vergeltung erlittenen Unrechts Genugtuung zu erfahren – aber vernünftig ist es nicht, sagen griechische Philosophen. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. schrieben sie Gesetze: Die Bestrafung des Täters war keine Privatangelegenheit mehr, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Sinn und Zweck: Nicht mehr die blinde Wut des Opfers sollte Herr über die Bestrafung des Täters sein, vielmehr sollte die gesamte Gesellschaft ein vernünftiges Urteil sprechen.

Immanuel Kant und die verbindliche Ordnung der Vernunft

Vernünftige Gesetze, vernünftige Strafen - so auch die Maxime des deutschen Philosophen Immanuel Kant: Recht und Moral bilden für ihn eine Einheit, gespeist wird sie aus der Vernunft. Es ist vernünftig, eine Ordnung zu haben und wer Unrecht begeht, also unmoralisch handelt, der verletzt diese verbindliche Ordnung der Vernunft und der vernünftigen Moral. Ergo wird gestraft, weil Unrecht begangen worden ist. So sollte die vernünftige Ordnung wieder hergestellt werden.

Strafe zum Zweck der Wiederherstellung einer göttlichen Ordnung

Theologen war es noch um die göttliche Ordnung gegangen: Für sie waren Verbrecher blasphemisch, Gotteslästerer. Die griechischen Götter etwa erschufen und bewachten die irdische Ordnung. Und wer die stört, muss bestraft werden, damit die göttliche Ordnung wieder hergestellt, damit die Welt von der Straftat gereinigt wird. Nicht umsonst sieht auch Paulus in der staatlichen Gewalt das strafende Vollstreckungsorgan Gottes, das dessen Urteil lediglich umsetzt. So argumentiert er im 13. Kapitel des Römerbriefes.

Reinigenden Charakter sollten dann auch die Hinrichtungen in der nachreformatorischen Zeit haben, etwa 1757 in Paris. Hier wurde ein Vatermörder an Brustwarzen, Armen, Oberschenkeln und Waden mit glühenden Zangen gezwickt, bevor sein Körper von vier Pferden auseinander gezogen und zergliedert wurde. Mit dieser Strafe wurde er nicht nur zunächst sozial ausgeschlossen und schließlich getötet: Auch die von ihm begangene Tat, der Mord des eigenen Vaters, sollte symbolisch ausgelöscht werden.

Die Wiederherstellung der sittlichen Ordnung wurde auch dadurch gewährleistet, dass die Hinrichtungsart das Verbrechen spiegeln sollte: Gotteslästerern etwa wurde vor ihrer Hinrichtung die Zunge ausgerissen. Das erinnert an eine der bekanntesten alttestamentlichen Stellen zum Thema Bestrafung und Vergeltung...

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Heißt eine viel zitierte Stelle aus dem 2. Buch Mose, dem Buch Exodus. Das Volk Israel befindet sich gerade am Sinai und erhält den Dekalog, die 10 Gebote, etwa dieses: "Du sollst nicht töten". Auge um Auge, Zahn um Zahn - was das bedeutet erscheint auf den ersten Blick eindeutig: Tust du mir weh, tu ich dir weh, denn das ist mein gutes Recht. Rache also? Blinde Vergeltung? In der Bibel? Liest man Ex 21, 23 ff. im Gesamtkontext, entdeckt man hier auch Fortschrittliches:

"Entsteht ein dauerhafter Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde"

(Ex 21, 23 – 25)

Abkehr von unangemessenen Strafen

Im Klartext: Eine Strafe muss der Schwere der Schuld angemessen sein und nicht etwa aus blinder Wut oder Rachsucht heraus über die Strenge schlagen.

"Einen Mann erschlug ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Beule. Kain soll siebenmal gerächt werden (...)"

. Gen 4, 23b und 24

Heißt es noch in der alttestamentlichen Urgeschichte in Gen 4: Kain hatte gerade seinen Bruder Abel erschlagen. Doch soll die Strafe gleich siebenmal so hart ausfallen?

Die andere Backe

Jesus zitiert das Wort in seiner Bergpredigt:

"Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch (...): Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar."

Mt 6, 38f.

Jesus macht sich für den Aspekt der Versöhnung stark: Einer Untat darf keine neue Untat folgen, denn dann setzt sich das Unrecht fort, wusste schon Platon gut 400 Jahre zuvor.

Ist des Neue Testament also liebender als das Alte? Versöhnlicher und weniger von Rachsucht getränkt? Mitnichten, wie ein Blick in das Buch des alttestamentlichen Propheten Jesaja zeigt:

"Aber mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht."

Jes 43, 24b und 25

Wieder ein Fortschritt. Diesmal befindet sich Israel im babylonischen Exil (ab 587 v. Chr.) Deuterojesaja tröstet ab Kapitel 40 sein Volk und verkündet Gottes Willen zur Versöhnung, zur Aufhebung der Strafe. Liebendes auch im Alten Testament. Strafe und Vergeltung sind in der Bibel ein weites Feld. Auch hier bleiben die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht ohne Folgen.

Wie würden Sie entscheiden?

In unsere Rechtssprechung sind all solche Gedanken eingeflossen. Wir denken an die Opfer von Verbrechen und bestrafen Mörder auch deswegen, damit die Hinterbliebenen einer solchen Straftat Trauerarbeit leisten können, aber auch im Sinne Platons, Genugtuung erfahren. Grundlage solchen Reflektierens ist die so genannte Vergeltungstheorie: Die Strafe muss der Schwere der individuellen Schuld entsprechen. Strafe muss so etwas wie ein Gegengewicht zur Tat sein, eine Vergeltung.

Präventionstheorie - Gnade für die Täter?

Und doch berücksichtigen wir nicht nur die Tat in unserem Urteilsspruch sondern fragen immer auch: Was können wir tun, damit sich ein Verbrechen nicht wiederholt? Wie verhindern wir Straftaten in der Zukunft? Grundlage hierfür ist die Präventionstheorie: Mit ihrem Urteil schreckt eine Gesellschaft potentielle Nachahmertäter ab (Generalprävention). Doch dann fragt sie auch immer, ob sich der konkrete Täter bessern kann - etwa durch soziale Arbeit in einem Gefängnis und ob er möglicherweise nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gesellschaft integriert, resozialisiert werden kann (Spezialprävention).

Die Bestrafung unserer Straftäter ist eine ethisch knifflige Frage. Theologisch könnte man sagen: Straftaten sind Sünde am Nächsten, ein Verstoß gegen das Doppelgebot der Liebe. Und doch gilt auch, was der ehemalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium über den Täter sagte: "Was immer ein Mensch getan hat, er bleibt doch ein Mensch."


14