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Anmerkungen zur Gewohnheit

Von: Jens Berger / Sendung: Rolf Cantzen

Stand: 22.01.2018 | Archiv

Ethik und PhilosophieMS, RS, Gy

Ob Spleen oder Sucht, ob Ritual oder Gesetzestreue: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das ist gut so, denn es spart Energie. Und das ist schlecht so, denn üble Gewohnheiten lassen sich nur mit Tricks und Aufwand ändern.

Nur eine Frage der Gewohnheit?

Na endlich: Ab dem nächsten Jahreswechsel wird alles besser. Viele Millionen Menschen in Deutschland werden mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport treiben, das Auto stehen lassen, mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen, auf Fast Food verzichten und nicht mehr regelmäßig Alkohol trinken. Glauben Sie nicht? Aber das behaupten doch alle.

Wenn es doch nur so einfach wäre! Doch Gewohnheit ist einer der stärksten und stabilsten Mechanismen im menschlichen Hirn. Von angewöhnten, unbewussten Regelmäßigkeiten (z. B. immer zuerst den linken Schuh zuzubinden) bis zu absichtlich trainierten Ritualen lassen sich neuronale Gemeinsamkeiten feststellen. Scans, die die Aktivität bei gewohnten Handlungen untersuchen, bestätigen, wie tief unterhalb der Großhirnrinde - in den Basalganglien - diese Muster verankert sind.

Gewohnheitstier Mensch

Das hat auch Vorteile. Man spart doppelt Energie, indem man nicht immer wieder von Neuem seine Aktionen und Reaktionen kritisch bedenken und sich zu ihnen durchringen muss. Der Denkaufwand für Kontrolle und Motivation sinkt. Damit werden Kapazitäten für spontane Entscheidungen frei - ein entscheidender evolutionärer Vorteil. Zudem können Gewohnheiten verlorene Instinkte ersetzen und ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Der erfahrene Handwerker arbeitet aus Gewohnheit routiniert und fühlt sich auch noch wohl dabei.

Über den Einzelnen hinaus können Gewohnheiten zudem als gesellschaftlicher Kitt wirken, wenn sie - von Mehreren übernommen - schließlich Sitte, Brauch und Tradition werden oder sogar zu Gesetzen gerinnen. Diese Kultivierung der Gewohnheiten gibt dem Einzelnen zwar einen festeren und engeren Handlungsrahmen; er kann sich in diesem aber nun ungezwungener bewegen. Eine Änderung der Gewohnheiten wird jedoch immer schwierig bleiben.

Gewohnheiten sind unser Schicksal

So sagte es William James. Tatsächlich wirken auch scheinbar belanglose Gewohnheiten wie kleine Süchte. Will man sie loswerden, muss man sich anstrengen. Dazu gilt es, die Gewohnheitsschleife aus Auslösereiz, Routinehandlung und Belohnung zu durchbrechen, genauer gesagt: den Auslösereiz neu zu belegen, indem man z. B. beim Weckerklingeln nicht die Haus-, sondern die Turnschuhe anzieht. Was man solcherart mindestens vierzig Tage lang durchhält, verspricht, die alte Gewohnheit zu ersetzen.

Gewohnheiten sind unsere Chance

Schließlich haben wir viel vor. Wir wollen uns ändern, die Gesellschaft ändern, den Planeten ändern - oder durch unsere Verhaltensänderung zumindest erhalten. Die Mechanismen der Gewohnheit können dazu gute Dienste leisten, denn sie machen uns mit dem Ungeliebten so lange vertraut, bis wir es vielleicht nicht mehr missen möchten.


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