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Gotthold Ephraim Lessing Minna von Barnhelm

Die Komödie Minna von Barnhelm spielt 1763, kurz nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges, in einem Gasthof in Berlin. Die zwanzigjährige Minna ist in Begleitung einer Kammerzofe dort abgestiegen, um nach ihrem flüchtigen Geliebten zu suchen. Sie hat Glück. Major von Tellheim logiert zufällig unter demselben Dach. Aber er will – Liebe hin oder her – nichts mehr von Minna wissen. Einst stolzer Offizier in preußischen Diensten, ist er nun unehrenhaft entlassen worden und völlig am Ende, seelisch und finanziell.

Stand: 22.07.2019 | Archiv

Büste von Gotthold Ephraim Lessing | Bild: picture-alliance/dpa

"Meinen Sie nicht, dass ich der Mädchen endlich zu viel mache? Sara! Minna! Emilia!", fragte Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) seinen Freund Johann Wilhelm Ludwig Gleim in einem Brief von 1772. Das klingt fast so, als wären ihm seine literarischen Frauengeschöpfe manchmal selbst nicht ganz geheuer. Gotthold Ephraim Lessing versenkt sich beim Schreiben seiner Dramen tief in die weibliche Seele, inszeniert die Verwirrungen der Geschlechter, stellt Fragen nach dem Sinn des Menschen als geschlechtliches Wesen, als Mann oder Frau. Wie kaum ein anderer inszeniert er die Psychodramen der bürgerlichen Welt im 18. Jahrhundert in einer durch große Kriege, wirtschaftliche Umwälzungen, bröckelnde Standesschranken, die Herausforderungen der Aufklärung und die wachsende Macht des Geldes zutiefst erschütterten Zeit.

Die Ehre des Mannes – ein Heiligtum

Die Komödie Minna von Barnhelm spielt 1763, kurz nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges, in einem Gasthof in Berlin. Die zwanzigjährige Minna ist in Begleitung einer Kammerzofe dort abgestiegen, um nach ihrem flüchtigen Geliebten zu suchen. Sie hat Glück. Major von Tellheim logiert zufällig unter demselben Dach. Aber er will – Liebe hin oder her – nichts mehr von Minna wissen. Einst stolzer Offizier in preußischen Diensten, ist er nun unehrenhaft entlassen worden und völlig am Ende, seelisch und finanziell. Er hat den unterworfenen Sachsen Geld vorgestreckt, damit die die Kriegssteuern bezahlen können, und ist deshalb unter Bestechungsverdacht geraten. Das greift an die Ehre, das kann er nicht verwinden. Die Ehre ist einem militärisch sozialisierten Mann aus den preußischen Kaderschmieden ein absolutes Heiligtum. Ohne Ehre ist man ein Niemand, ohne Ehre hat man keinen sozialen Wert; ohne Ehre kann man nicht heiraten.

Minna: eine starke Frau, die um ihre Liebe kämpft

Moderne Inszenierung der "Minna" am Theater Augsburg

Minna sieht das anders. Für sie zählt nur die Liebe. "O über die wilden, unbeugsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten!" Um den Panzer um das Herz ihres Liebsten zu sprengen, verwickelt sie Tellheim in ein trickreiches Spielchen mit Irreführungen und Winkelzügen – das diesem wie ein "schreckreicher Traum" vorkommt, aus dem er nur allzu gern wieder erwacht, um zu entdecken, dass Minna die Seine ist und bleiben wird. König Friedrich der Große rehabilitiert ihn außerdem, sogar sein Geld bekommt er wieder. Ohne Geld und Macht geht es eben doch nicht, auch nicht in Liebesdingen. Die Welt bleibt eine Welt der Männer, doch Minna, das sächsische Edelfräulein, hat ihren Verhaltensweisen, ihren Neurosen und ihrer Beziehungslosigkeit meisterhaft den Spiegel vorgehalten. Minna von Barnhelm besticht durch ihre Selbstständigkeit, durch die Unerschütterlichkeit und das Selbstbewusstsein, mit dem sie um den Mann kämpft, den sie liebt.

Goethe: schwer beeindruckt von Minna

Goethe war im Jahre 1767 als achtzehnjähriger Student bei der Leipziger Uraufführung des Stückes dabei und zeigte sich zeitlebens, noch Jahrzehnte später beim Schreiben von Dichtung und Wahrheit, davon beeindruckt: "Eines Werks aber, der wahrsten Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschem Nationalgehalt, muss ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen; es ist die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung tat: Minna von Barnhelm."

Lessing: Revolutionär des deutschen Theaters

Lessing setzte sich mit seinen Stücken ein für Gleichheit und Gerechtigkeit.

Neben der psychologischen Komplexität der Charaktere – Lessing liebte es, gebrochene, vielschichtige Figuren auf die Bühne zu bringen – war es auch der zeitgenössische Hintergrund, der das Publikum elektrisierte: So viel Politik, so viel Zeitkritik in einer Komödie war bislang noch nicht dagewesen. Neben dem Drill im preußischen Militär, den Schrecken des Siebenjährigen Krieges, den Schwierigkeiten bei der Aussöhnung ehemals verfeindeter Mächte prägen zeitgenössische Diskurse diese Komödie, die typisch sind für das Zeitalter der Aufklärung und ihre Brisanz bis heute nicht verloren haben: die Bedeutung der sozialen Gleichheit für die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Macht des Geldes in einer Gesellschaft, in der die Standesschranken eine immer geringer werdende Rolle spielen. Gotthold Ephraim Lessing war ein Revolutionär des deutschen Theaters, das sich zu seiner Zeit größtenteils der anspruchslosen Unterhaltung verschrieben hatte; er setzte, mit seinen bürgerlichen Trauerspielen und seinen Komödien, völlig neue Maßstäbe.


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