Bayern 2 - radioWissen


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Genie mit Langzeitwirkung

Von: Jens Berger / Sendung: Markus Vanhöfer

Stand: 04.07.2016 | Archiv

Literatur und MusikMS, RS, Gy

Als er starb, hatten ihn seine Söhne als berühmte Komponisten ihrer Zeit überflügelt. Heute ist sich die Musikwelt jedoch ausnahmsweise einig: Es gibt ein Synonym für zeitlose Weltspitze. Und das ist "Johann Sebastian Bach".

Provinziell und der Zeit hinterher?

Wer heute in seinem Lebenslauf "Eisenach, Ohrdruf, Arnstadt, Weimar, Köthen, Leipzig" als Lebens- und Ausbildungsstationen angäbe, dem nähme man keine Musikerkarriere von Weltgeltung ab, keine Erfahrung mit den Arbeitsmethoden verschiedener Länder, kein Horchen am Puls der Zeit, keine internationale Vernetzung mit den wichtigsten Künstlern. Und doch hat Johann Sebastian Bach ein musikalisches Erbe hinterlassen, das in seiner Fülle überwältigt. Über 1.000 Werke sind erhalten, viele weitere verschollen. Es ist nicht die schiere Masse, sondern der kompositorische Reichtum, der - aus heutiger Sicht - seine Komponistenkollegen überstrahlt. Bach gelang es, bestehende Stile und Kompositionsweisen zu vervollkommnen, höchsten technischen Anspruch mit höchstem Ausdruck zu vereinen. Er zieht ein Resümee der Barockmusik und stellt galant die Weichen für kommende Komponistengenerationen, künstlerisch wie familiär: Ohne seine Söhne, die ihm bald in der Publikumsgunst den Rang abliefen, wäre auch der Weg zu Haydn und Mozart ein anderer gewesen.

Arbeitsbedingungen für Genies

Bachs eigene Karriere lief in der Tat nicht ganz so, wie er es sich erhofft hatte. Immer wieder war er unzufrieden und bewarb sich fort. Die Stelle als Thomaskantor in Leipzig hatte er nur mit Glück erhalten und wollte eigentlich auch nicht lange bleiben. Lieber hätte er in Dresden den Posten des Hofkomponisten des sächsischen Königs übernommen. Dann hätte er sich auch nicht mehr mit den Schülern an der Thomasschule und dem Rat der Stadt Leipzig herumärgern müssen. Immer war zu viel zu tun und zu wenig Geld dafür da. Auf den wirklich einträglichen Stellen saßen Andere. Die Publikumsmassen jubelten Anderen zu. War auch ein bisschen Wehmut dabei, wenn er seine Stücke "soli deo gloria" (nur dem Ruhm Gottes) widmete?

Kirchenmusik ins Weltliche gebügelt

Wollte er hier in der (Thomas-)Kirche ausleben, was ihm bisher versagt blieb: eine Oper zu komponieren? Wir schreiben das Jahr 1721 – in anderen Städten kennt man schon länger diese mo­derneren Passionen: neu, musikalisch aufwendig, ein wenig gewagt, nicht ohne einen gewissen weltlichen Charme und Vielen viel zu opernhaft. Leipzigs Kirchenobere misstrauten musikalischer Pracht und wollten kein Theater vor dem Altar. Aber mit der Johannes-Passion gewinnt Bach die Herzen der Zuhörer und treibt ein paar Jahre später mit der Matthäus-Passion das Spiel mit weltlichem Ausdruck in der Kirchenmusik auf die Spitze. Dass Bachs Stil "altbacken, überladen und verkünstelt" sei, hätten die Zuhörer wahrscheinlich nicht bestätigt.

Mehrmals wiederentdeckt

Unter den Komponistengenerationen, die Bach nachfolgten, kursierten seine Werke und wurden fleißig studiert, doch im Konzertsaal war er schnell wieder verschwunden. Dass sich das 79 Jahre nach seinem Tod ändern sollte, ist eben dieser Matthäus-Passion zu verdanken - und dem zwanzigjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy, der mit ihrer Wiederaufführung in Berlin die Weichen für die Bach-Renaissance stellte. Deren zweite große Welle ab den 1950er Jahren kann man zwei Phänomenen in Rechnung stellen: der Schallplatte und der "historischen Aufführungspraxis", vereinfachend manchmal 'Originalklangbewegung' genannt, die rekonstruieren möchte, wie es wohl seinerzeit geklungen haben mag.

Der 'Liebe Gott der Musik' - ein einträgliches Geschäft

"Bach, das ist Anfang und Ende aller Musik" - und Tourismusfaktor. Gleich mehrere Städte können sich mit ihm schmücken, voran Leipzig, wo das erste Bachdenkmal aufgestellt wurde, und Eisenach, wo sein Geburtshaus steht. Mittlerweile ist man sich aber nicht mehr so sicher, ob Bach dort überhaupt jemals gelebt hat.


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