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Chemnitz und die Arbeit der Geheimdienste "Kein Ergebnis polizeilicher Ermittlungsarbeit!"

Die Erleichterung war riesig: Der in Chemnitz entwischte Terrorverdächtige ging dank der Hilfe anderer Flüchtlinge doch noch ins Netz - kein Ruhmesblatt für die Sicherheitsbehörden. Der Linken-Politiker André Hahn fordert jetzt Asyl für die Syrer, die den Mann festgesetzt haben.

Stand: 11.10.2016

André Hahn (Archivbild) | Bild: picture-alliance/dpa

Die Erleichterung war riesig, als die sächsische Polizei am Montag die Festnahme des terrorverdächtigen Syrers aus Chemnitz gemeldet hat: "Wir sind geschafft, aber überglücklich!", so die erste Twitter-Meldung. Der anfangs entwischte Mann ging dank der Hilfe anderer syrischer Flüchtlinge doch noch ins Netz. Der Einsatz könnte einen möglicherweise verheerenden Terroranschlag verhindert haben. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden hat in diesem Fall offenbar gut funktioniert - trotz der Polizeipanne bei der Festnahme. Oder? Der Bundestagsabgeordnete André Hahn von der Linkspartei ist stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste.

radioWelt: Dass der Hauptverdächtige zunächst entkommen konnte, trübt das aus Ihrer Sicht die Bilanz des Einsatzes?

André Hahn: Ich freue mich über jeden Erfolg unserer Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus. Wenn es gelingt, Anschläge in Deutschland zu verhindern und damit Leben zu retten, dann gebührt den Einsatzkräften dafür Dank und Anerkennung. Trotzdem: Man hat den Tatverdächtigen in Chemnitz seit längerem observiert, und dass ihm trotz eines Großaufgebots von Beamten und Spezialeinheiten die Flucht gelungen ist, war gewiss kein Ruhmesblatt. Und dass man ihn am Ende dennoch festnehmen konnte, war nicht das Ergebnis polizeilicher Ermittlungsarbeit, sondern dem mutigen Einsatz anderer syrischer Flüchtlinge zu verdanken.

radioWelt: Gibt es innerhalb der Geheimdienste immer noch Vorbehalte, das eigene Wissen zu teilen?

André Hahn: Wenn man berücksichtigt, dass es europäische Datenbanken gibt, in die nur fünf von - jetzt - 27 EU-Ländern Daten eingeben, dann ist das viel zu wenig. Wenn man immer noch auf seinen Informationen hockt und Sachen nicht weitergibt, die andere Länder eigentlich wissen müssten, dann ist das eine Fehlentwicklung. Ich glaube, dass in den vergangenen Monaten aber auch ein Umdenken stattgefunden hat, um - wie jetzt geschehen - Anschläge im Vorfeld zu verhindern.

radioWelt: Die Linke will aber auch die Abschaffung von Geheimdiensten bewirken. Wie passt das zusammen?

André Hahn: Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass Geheimdienste überwunden werden müssen. Es ist Aufgabe der Polizei, solche Dinge aufzudecken. Dafür müssen die Polizeibehörden gestärkt werden. Wir haben ja auch erlebt, dass in den letzten Monaten die Bundespolizei aufgestockt wurde. Stellen bei der Polizei abzubauen, war eine Fehlentwicklung. Die Leute brauchen für ihr individuelles Sicherheitsgefühl auch die Präsenz der Polizei. Es sollte nicht in erster Linie um die Geheimdienste gehen. Der Staat kann auch andere Zeichen setzen: Es wäre ein ganz wichtiges Signal, den mutigen Menschen, die den Verdächtigen festgesetzt haben, in Deutschland schnellstmöglich Asyl zu gewähren! Das wäre sehr wichtig für alle hilfebedürftigen und ehrlichen Flüchtlinge, die in ihrer absoluten Mehrheit nichts mit dem selbsternannten Islamischen Staat oder mit irgendwelchen Terroraktivitäten zu tun haben.


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