Ende der Welt - Die tägliche Glosse Das große Warten
Warten will gelernt sein. Aber es lohnt sich. Denn wie verbringen wir einen großen Teil unseres Lebens? Wartend! Sogar das Klima muss warten, wenn eine Pandemie oder ein Krieg die globalen Lieferketten ins Schlingern bringt. Eine Glosse von Thomas Koppelt.
Einen Moment noch… Gleich geht’s los…. Einen Augenblick Geduld… Wie bitte? Sie können nicht mehr warten? Das ist schlecht! Man muss warten können. Warten ist ja die Schlüsselqualifikation für eine erfolgreiche menschliche Existenz. Ich meine, was machen wir denn unser liebes Leben lang? Schon im Mutterleib: Monatelanges Warten darauf, dass man endlich loslegen darf. Später warten wir aufs Christkind und die Sommerferien. Auf den ersten Kuss und die große Liebe. Auf den Bus, einen Kita-Platz, die Handwerker, den Ruhestand – oder auf den Königstitel.
53 Jahre lang hat Charles gewartet. Und jetzt, endlich… wartet er seit einem halben Jahr auf seine offizielle Krönung. Warten ist die Kernkompetenz großer Geister. Donald Trump – Moment, wie komme ich denn jetzt auf den? Ach ja, Donald Trump wartet nun schon einige Tage lang auf die Verhaftung, die er vollmundig selbst angekündigt hat. Bislang vergebens.
Das Leben steckt voller Enttäuschungen. Olaf Scholz – wie komme ich jetzt bei Enttäuschungen auf Olaf Scholz? Ach ja, Olaf Scholz hat die Kunst des Abwartens in neue Dimensionen geschraubt: Er verharrt in der Deckung, und während er wartet, simuliert er Energie, Tatkraft und Entschlossenheit. Rein verbal. Toll, was er da immer wieder für neue Wörter erfindet: „Doppel-Wumms“ oder die „neue Deutschland-Geschwindigkeit“.
Die haben wir Anfang der Woche miterlebt. 20 Stunden lang hat der Koalitionsausschuss getagt, sogar in der Nacht hat er getagt, und dann…. hat er gestern am Tag weitergetagt. Aber mal ehrlich: Haben Sie einen großen Wurf erwartet? Sehen Sie. Nein, wir haben keine Eile. Warten ist eine Kunst, die das Leben bereichert. Und es lohnt sich, sie zu erlernen. Schließlich gibt es so vieles, auf das man warten kann. Auf einen neuen evangelischen Landesbischof oder eine Bischöfin zum Beispiel.
Wer nicht warten kann, verliert das Gespür fürs Besondere
Sechs Wahlgänge, kein Ergebnis. Heute will der Wahlvorbereitungsausschuss der Synode mitteilen, wie es weitergeht. Wir warten. Und das ist doch schön! Warten verleiht dem Leben einen provisorischen Charakter. Wer nicht warten kann, verliert das Gespür fürs Besondere, heißt es. Schade, dass das Warten ja nun bald ein Ende hat: Am 3. April startet der Vorverkauf für das Deutschland-Ticket. Aber wir können sicher sein, dass wir auch in Zukunft desöfteren umsonst an Haltestellen warten werden.
Der Tarifstreit geht weiter – und die Verhandlungspositionen sind Gott sei Dank noch weit voneinander entfernt. Wir können also weiter warten! Worauf? Jetzt erstmal auf den Osterhasen.