Bayern 2 - radioTexte


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Erasmus, der Weltbürger Zeitlose Weisheiten als europäischer Wertekanon

Es gäbe „kaum einen weltbürgerlicheren Intellektuellen als Erasmus“, so Wolfgang Hörner und Tobias Roth, die Herausgeber des Büchleins "Der sprichwörtliche Weltbürger", das eine Auswahl aus Erasmus von Rotterdams Weisheiten-Sammlung, den "Adagia", präsentiert. Der Anspruch des Humanisten war kein geringerer als ein kulturelles Gedächtnis der abendländischen Kultur lebendig zu halten. Lesung mit Thomas Lettow und Hans-Georg Panczak und Gespräch mit Herausgeber Tobias Roth

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 14.01.2019 | Archiv

Erasmus von Rotterdam Porträt | Bild: picture-alliance/dpa

"Ich liebe die Freiheit. Ich will und kann keiner Partei dienen."

Desiderius Erasmus von Rotterdam

Im Sommer 2018 hat die AfD die Desiderius-Erasmus-Stiftung als parteinahe Stiftung anerkannt. Will also die rechtspopulistische Partei eine weltanschauliche Verbindung mit dem großen Humanisten eingehen? Das wäre insofern mindestens erstaunlich, da Erasmus für sein Weltbürgertum, für Toleranz und Herzensgüte bekannt ist, auch für seinen Widerwillen gegen jede Form des Extremismus oder parteiliches Schubladendenken. Sollte die AfD nunmehr auf neuen bzw. nicht neuen, aber anderen geistigen Pfaden wandeln wollen? Die politische Realität spricht dagegen. Der kleine, feine Verlag Das kulturelle Gedächtnis (Motto: "Austu non vi" - Mit List, nicht mit Kraft) und insbesondere natürlich die Herausgeber des Büchleins "Der sprichwörtliche Weltbürger" Wolfgang Hörner und Tobias Roth nahmen diese Entscheidung der AfD zum Anlass, sich in Erasmus von Rotterdams Hauptwerk, den "Adagia", zu vertiefen, um eine Auswahl aus der kommentierten Sprichwörter-Sammlung nunmehr neu zu publizieren. Denn: Gegen die „feindliche Übernahme seines Namens" müsse Widerspruch eingelegt werden - am besten von ihm selbst, heißt es auf der Verlagsseite. 

Sprichwörter als abendländischer Wertekanon

Während die Schriften des 1466 geborenen Holländers kaum mehr gelesen werden, beanspruchen doch erstaunlich zahlreiche und immer ungewöhnlichere Institutionen seinen Namen. Um Erasmus im "Originalton" wieder Gehör zu verschaffen, lesen in den radioTexten am Dienstag Thomas Lettow (Residenztheater) und Hans-Georg Panczak aus den erstmals im Jahre 1500 erschienenen „Adagia“ (Plural von lat. adagium, "Sprichwort"), sage und schreibe 4251 gesammelte und kommentierte Sprichwörter und Weisheiten seit der Antike.

"Freundesgut, gemeinsames Gut.
Kein Sprichwort ist so beglückend und so berühmt wie dieses, darum soll es als gutes Omen meine Adagien-Sammlung eröffnen. Würden die Menschen dieses Wort so bewusst im Herzen tragen, wie es ein jeder beständig im Munde führt, wahrhaftig, unser Leben wäre um eine gut Teil seiner Sorgen leichter."

(Erasmus von Rotterdam, Der sprichwörtliche Weltbürger)

Es sind konzise, elegante und entschiedene Mikro-Essays, wortgewandte Positionierungen zu Werten wie Weltbürgerlichkeit und Freigiebigkeit, Plädoyers für das rechte Maß und für Herzensgüte gegenüber Freunden, Fremden und Verfolgten. Daran wird sich jede Institution, die den goldenen Namen des Erasmus trägt, messen müssen, so die Herausgeber Tobias Roth und Wolfgang Hörner.

"Bestraft wird, wer englisches Tuch für venezianisches ausgibt, aber die Früchte seiner Unverfrorenheit genießt, wer unter dem Namen großer Autoren nichts als Pein und Geistesqualen verkauft."

(Desiderius Erasmus von Rotterdam)

Der Fürst der Humanisten

Albrecht Dürers Stich von dem niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam, Autor u.a. des Lobs der Torheit, wurde im Oktober 1466 in Holland geboren, 1536 starb er in Basel. Mehrere Städte trugen ihm, der sich selbst den Beinamen Desiderius gab, das Bürgerrecht an. Er lehnte alle Angebote ab, weil er sich als Bürger der Welt verstand. Seine Adagia, eine kommentierte Sammlung antiker Sprichwörter (erstmals 1500 erschienen), begleiteten ihn sein ganzes Leben lang und wurde von ihm bis zu seinem Tode immer wieder überarbeitet und erweitert. Der viel reisende Erasmus zählte zu den geachtetsten Gelehrten seiner Zeit - er wurde "der Fürst der Humanisten“ genannt. Er korrespondierte mit fast allen Herrschern und Päpsten seiner Epoche und wurde für seine offenen Worte und den eleganten Stil bewundert und geachtet, beispielsweise vom englischen König Heinrich VIII.

"Der sprichwörtliche Weltbürger“

Der Lyriker, Übersetzer, Essayist und Herausgeber Tobias Roth ist zu Gast in den radioTexten.

Eine Auswahl aus den „Adagia" von Desiderius Erasmus von Rotterdam am 15. Januar 2018 in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21 Uhr auf Bayern2

Lesung mit Hans-Georg Panczak und Thomas Lettow 

Studiogast: Tobias Roth (Herausgeber)

Moderation: Antonio Pellegrino

Der Band „Der sprichwörtliche Weltbürger“, herausgegeben von Wolfgang Hörner und Tobias Roth, übersetzt von Tobias Roth und Theresia Payr, ist im Verlag Das kulturelle Gedächtnis erschienen. 

Podcast verfügbar


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