Bayern 2 - radioTexte


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Ein Klassiker: Volker Braun "Das fertige Denken kann nur - fertigmachen"

Helene Weigel, die Witwe Brechts, holte Volker Braun 1965 zum legendären "Berliner Ensemble". Alle seine Werke, Theaterstücke, Gedichte oder seine Prosa, durchliefen lange "Genehmigungsprozesse", bis sie in der DDR erscheinen durften. Bis 1989, bis zur "totalen Folgenlosigkeit" der Kunst in der BRD. "Handstreiche" heißt das neueste Werk des Büchner-Preisträgers, Aphorismen und eigensinnige Gedanken zur Welt und dem Menschsein. Neben seiner Tätigkeit als Dramaturg veröffentlichte Volker Braun bis jetzt etwa 40 Bücher. Lesung zum 80. Geburtstag eines der wichtigsten Schriftsteller der Gegenwart.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 02.05.2019

Schriftsteller Volker Braun | Bild: Suhrkamp Verlag

"Eigentum

Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN, FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text.
Was ich niemals besaß wird mir entrissen.
Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle."

Volker Braun

So beschrieb der Literat Volker Braun die sogenannte Wende in einem seiner bekanntesten Gedichte. Über 30 Jahre rieb er sich mit einem Regime, das dem Denker zutiefst zuwider war. Obwohl er 1960 in die SED eintrat, gehörte er zu den schärftsten Kritikern des Überwachungsstaates.

"Der 9. November

Das Brackwasser stachellippig, aufgeschnittene Drähte
Lautlos, wie im Traum, driften die Tellerminen
Zurück in den Geschirrschrank. Ein surrealer Moment:
Mit spitzem Fuß auf dem Weltriß, und kein Schuß fällt.
Die gehetzte Vernunft, unendlich müde, greift
Nach dem erstbesten Irrtum ... Der Dreckverband platzt.
Leuchtschriften wandern okkupantenhaft bis Mitte.
BERLIN
NUN FREUE DICH, zu früh. Wehe, harter Nordost."

Volker Braun

Auf der Frankfurter Buchmesse 1998

Volker Braun hat sich immer als politischer Schriftsteller verstanden, der mit einer subversiven Verve die Schwachstellen einer Gesellschaft, eines System aufzudecken versucht. Sein erstes Theaterstück am legendären "Berliner Ensemble", an das ihn Helene Weigel 1965 holte, wurde zwar aufgeführt, aber dann verboten. Das Braunkohlenarbeiterstück, "Die Kipper", wurde von Erich Honecker kritisiert und verboten, auch wegen solcher Sätze wie "Das ist das langweiligste Land der Welt."

Unbequem ist auch das „Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“, aus dem Volker Braun in "radioTexte - Das offene Buch" liest. Ein sprachgewaltiger Schelmenroman über einen Arbeiter, einen "Vorzeigebergmann der DDR", der nach 1989 seine Arbeit verliert und damit seine Würde, den man aussondert wie altes Werkzeug, ein Don Quichotte aus der Niederlausitz in den Niederungen des Arbeitsamtes.

"Handstreiche"

Das neue bei Suhrkamp erschienene Werk von Volker Braun sind Beobachtungen zum schreibenden und fühlenden Ich und zur Welt. Miniaturen, die als Einsprüche, Angriffe und Verteidigungen, Burlesken, Handgriffe, Fingerzeige, Rippenstöße daherkommen. Aphorismen, Dialogfetzen, Zitate voll ironischer Skepsis der Welt gegenüber. Es sind auch Träume und eigensinnige Wahrheiten.

Anschauungen

"Mit Anschauungen ist leicht hantieren, zumal im Weltmaßstab."
"Wir stehen an der Abbruchkante der Geschichte. Unsere Erfahrung: die Verwerfung."
"Aus der Oase der Utopien in die Wüste des Wohlstands."
"Man kann ohne Hoffnung leben, aber nicht aus Prinzip."
aus: "Handstreiche" Suhrkamp 2019

Volker Braun wurde am 7. Mai 1939 in Dresden geboren. Sein Vater fiel noch in den letzten Kriegstagen, so dass die Mutter sich und die fünf Söhne allein durchbringen musste. Da sich Volker Braun nach dem Abitur vergeblich um einen Studienplatz bemühte, arbeitete er bei einer Druckerei, später als Betonrohrleger und Maschinist im Kombinat "Schwarze Pumpe". 1960, im selben Jahr, als er in die SED eintrat, begann er an der Leipziger Universität Philosophie zu studieren, bis ihn Helene Weigel ans Berliner Ensemble holte, wo Volker Braun als Dramaturg arbeitete und erste Theaterstücke schrieb.

Es ist Zeit ...

"Es ist Zeit, die Gedanken zu sammeln, die du dir aus dem Kopf geschlagen hast."
"Das Aufbegehren ist die freie Wahl."
"Man geht mit der Mode; man trägt das Verhängnis."
"Was denn für ein Hunger? Wir hatten andere Appetite, als man mit einer Banane abspeist."
aus: "Handstreiche", Suhrkamp 2019

Nach zahlreichen Veröffentlichungen und Auszeichnungen wird Volker Braun im Jahr 2000 mit dem Georg-Büchner-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis, geehrt: Der Dichter, "der mit Erbarmen und Witz eine lebendige Chronik seiner geschichtlichen Welt geschaffen hat; der in Lyrik, Drama und Erzählung die Sprache und die Formen der philosophischen Epoche der deutschen Literatur erneuert und verwandelt hat; der den Grundkonflikt seiner Epoche, die Spannung von Freiheit und Gleichheit, eigensinnig formuliert und scharfsinnig durchdacht hat; dessen Werke durch Tiefsinn, wortspielende Brillanz, Anspielungsreichtum und lyrische Intensität immer wieder zur Quelle des Vergnügens für denkende Leser werden", so die Jury.

Lesung und Gespräch mit Volker Braun

Am 5. Mai, zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag, widmet Cornelia Zetzsche dem preisgekrönten Dichter "Das offene Buch". Mit Ausschnitten aus "Handstreiche" und aus dem Schelmenroman "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer". Lesung und Gespräch mit Volker Braun.

Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche
radioTexte - Das offene Buch, sonntags um 12.30 Uhr auf Bayern 2


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