Bayern 2 - radioTexte


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Lesung am Feiertag Mit Bachmann und Pasolini nach Apulien

"Apulia petrosa", das "steinige Apulien" nannte der Stauferkönig Friedrich II. diese lang vergessene südöstliche Region Italiens, die mit der Halbinsel Salento den "Absatz des italienischen Stiefels" bildet. Dass Apulien mehr zu bieten hat als Steine, Orecchiette und Trulli, bezeugen Ingeborg Bachmann oder auch Pier Paolo Pasolini, zwei unserer literarischen Reiseführer durch die Kultur des italienischen Stiefelabsatzes.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 07.08.2019 | Archiv

Castel del Monte in Apulien: Burg aus der Zeit des Stauferkaisers Friedrich II. von 1240 bis ca.1250 erbaut, ist UNESCO Weltkulturerbe.  | Bild: picture-alliance/dpa/imageBROKER

"Der große Strom der Reisenden, der jahraus, jahrein sich durch Italien ergießt, scheint von allen Provinzen des Königreichs nur eine vergessen zu haben: Apulien sieht nichts von dem bunten Gewimmel, das von Venedig herab bis nach Sizilien in den Frühjahrs- und Herbstmonaten die italienischen Lande erfüllt. Seltsam ist diese Vergessenheit." (Arthur Haseloff, 1906)

Seltsam, diese Vergessenheit, bei der Fülle kultureller Schätze und der Schönheit der 800 km langen Küste am südöstlichen Stiefelabsatzes Italiens, denkt man heute, über hundert Jahre nach dem Erscheinen des Essays von Artur Haseloff, dem Berliner Kunsthistoriker. Doch auch noch ein halbes Jahrhundert später war Apulien immer noch ein weißer Fleck auf der (touristischen) Landkarte.

"Unter den Olivenbäumen schüttet Licht die Samen aus..."

So beginnt Ingeborg Bachmanns Ode an Apulien. Die österreichische Autorin fühlte sich wohl auch noch im Jahr 1955 in der Pflicht, zu ihrem Poem eine erklärende Notiz beizufügen:

"Apulien findet man auf einer italienischen Landkarte, es ist eins der unbekannteren Teile Italiens, ein altes Land, Teil Großgriechenlands, diffus in seinen Zeugnissen, Sandsteinbarock in Lecce, Gotik in Trani und Bari, heute verwuchert und nur noch Licht überströmt, ein Bauernland, und ein Land der kleinen Häfen, der frutti di mare, die Deutschen sind selten bis hierher gekommen. Klassische Italienwege führen nicht dorthin.“"

(Ingeborg Bachmann, 1955)

Mittlerweile gilt die Region zwischen adriatischem und ionischem Meer auch unter uns Deutschen als spannendes Reiseziel, nicht allein wegen der hervorragenden Weine und Strandidyllen, sondern auch, weil das "steinige Apulien", wie es Friedrich II. formulierte, ein großes Stück Mittelalter erzählen kann.

"Die wahren Heroen Apuliens sind mitnichten jene trojanischen Helden, (...) sondern die nordischen Eroberer, die Nachkommen und Nachfolger jener kleinen Normannenschar, die gegen Mitte des elften Jahrhunderts hier ihre Herrschaft aufrichtete."

(Arthur Haseloff)

Mit Pasolini nach Alberobello

"Apuliens Glanzstück ist vielleicht Alberobello. (...) Alberobello ist eine perfekte Stadt", so schrieb Pier Paolo Pasolini.

Ins 17. Jahrhundert führt uns der skandalumwitterte Regisseur und Autor Pier Paolo Pasolini (1922-1975). 1951 streifte er durch Alberobello, ein Ort, der durch seine große Anzahl Trulli (Rundhäuser mit Kegeldächern) mittlerweile weltberühmt und massentouristisch erschlossen ist. Für den Regisseur von u.a. "Die 120 Tage von Sodom" galt Alberobello als "perfekte Stadt", dessen weiße Rundhäuser ihm "fast wie ein Wunder" erschienen.

Von der Tarantel gebissen

Einen ganz anderen Einblick in die Geheimnisse Apuliens gewährt Ernesto de Martinos Feldstudie zum Phänomen des Tarantismus. Der Ethnologe (1908-1965) reiste durch Apulien, um das Ritual, das angebliche Tarantelbisse und ihre Folgen mittels Musik, Tanz und farbiger Gegenstände zu dokumentieren. Die "Tanzwut" ist einerseits Symptom und andererseits Teil des Rituals, mit dem die gebissenen Frauen und Männer, die "tarantati", geheilt werden. "Maria aus Nardò" heißt der Essay des berühmtesten italienischen Ethnologen des 20. Jahrhunderts.

"Maria identifizierte sich also mit der Spinne, sie unterwarf sich dem Tier, tanzte mit ihm, ja, sie war das tanzende Tier selbst. In dieser Phase überwog ihre Identifikation mit der Spinne, in der nächsten rebellierte sie..."

(Ernesto de Martino über das Ritual mit Maria aus Nardò)

Kaiser, Kastelle und Heilige: Unterwegs in Apulien

Lesungen aus Texten von Ingeborg Bachmann, Pier Paolo Pasolini, Arthur Haseloff und Ernesto de Martino

Mit Heiko Ruprecht reisen die radioTexte nach Apulien.

am 15. August 2019 um 14.30 Uhr in den radioTexten am Feiertag auf Bayern2

Mit Annette Wunsch und Heiko Ruprecht

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Die Lesungen sind entnommen aus dem Buch "Europa erlesen. Apulien", herausgegeben von Judith Krieg und Mario Desiati, erschienen im Wieser Verlag.

Unsere Lesungen können Sie immer und überall nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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