Tomer Gardi "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
"Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück", der neue Roman des israelischen Schriftstellers Tomer Gardi ist ein wilder Ritt durch bizarre Situationen mit sprachlichen Versatzstücken, rhythmisch und oft staccatohaft in kurzen Sätzen und Reihungen geschrieben. Erzählen, um zu überleben wie Scheherazade. Im Knast, auf dem Arbeitsamt, in einer Stierkampf-Arena. Atemlos, grotesk, satirisch. Eine wilde, phantastische Reise durch abgründige, absurde Alltagssituationen in Israel.
"So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller"
Geschichtenerzählen ist das, wovon ein Schriftsteller gemeinhin lebt. Und wenn er damit zu wenig verdient, geht er aufs Arbeitsamt, wie jeder andere Bürger auch. So auch in Tomer Gardis neuem Erzählwerk "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Nur Beamte folgen leider den Regeln ihrer Bestimmungen und Gesetze und nicht der Phantasie.
"Ich erzähl Ihnen eine Geschichte. Und wenn Sie die gut finden, sagt er dem Beamten, und schön, und wenn Sie die mögen, dann stempeln Sie meine Karte. Arbeitslosengeld. Eine Art Bezahlung, sagt er. Ist ja Arbeit. Und wenn nicht, dann stempeln Sie eben nicht, sagt er, der arbeitslose Mann, wartet die Antwort nicht ab, fängt einfach an zu erzählen."
aus: 'Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück'
Tomer Gardi, der beim Bachmann-Wettbewerb 2016 die Jury überforderte mit seiner Lesung aus "Broken German" und der grotesken Situation, in der ein verwechselter Koffer und dessen Inhalt ein Kaleidoskop von Mißverständnissen, Metaphern, fremdenfeindlichen Erfahrungen entfaltete, arbeitet in seinem neuen Roman mit ähnlichen Versatzstücken. Der Alltag wird verhackstückt in groteske Situationen und Absurditäten mit anarchisch subversivem Humor und nur der überlebt, der die Kunst des Fabulierens beherrscht, wie die Schriftstellerin Tolli Grotesky mit "Drei-Tage-Bart", die auch auf dem Arbeitsamt versucht, den gestrengen Staatsbeamten auf ihre Seite zu ziehen, natürlich mit Geschichten, aber "So einen Beruf gibt es nicht, Schriftsteller", weiß der Beamte.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Anne Birkenhauer
"Tolli, sagte er. Dieser Name passt ganz gut zu Ihnen. Sagen Sie mir, Tolli, sagte er, Tolli Grotesky – Schriftstellerin, an was für einem Buch arbeiten Sie denn gerade, wenn ich fragen darf? Ich lächelte. Sagte zu ihm, ich weiß nicht, weiß es wirklich nicht, ich bin noch auf der Suche. Noch am Anfang. Bisher hab ich nur den Titel und einige Seiten vom Anfang. Das ist alles, was ich bisher habe. Ich glaube an writing in progress. Ich fang an zu schreiben und seh, wohin es mich führt. Was sich entwickelt. Im Voraus weiß ich es nicht. Nie. Er schaute mich an. Ich hab’s gesehn. Ihm war die Kraft ausgegangen. Ich hab ihm zu viel rumphilosophiert."
aus: 'Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück'
Mit Tolly Grotesky, Lea Agunis, Abu Adwan und anderen zeichnet Tomer Gardi unvergessliche Figuren, die im Alltag der Staatsgewalt ausgesetzt sind und auf ihre eigene Weise ihr Leben meistern müssen. Ob Tomer Gardi nun Bücher in "Broken German" oder auf Hebräisch schreibt, er bleibt sich in seiner Verspieltheit und seinem stilistischen Eigensinn treu. Mit großer Leichtigkeit wechseln die verschiedenen ErzählerInnen zwischen märchenhaftem Ton und Umgangssprech.
Tomer Gardi wurde 1974 im Kibbuz Dan in Galiläa geboren. Mit 12 Jahren zog er mit seinen Eltern für drei Jahre nach Wien, lernte Deutsch über das Hören. In diesem gebrochenen Deutsch schrieb er seinen Debütroman "Broken German", aus dem er beim Bachmann-Wettbewerb 2016 las. Dort wurde diskutiert, ob denn ein Text, der in gebrochenem Deutsch geschrieben ist, überhaupt zulässig sei bei so einem Literatur-Preis. Cornelia Zetzsche urteilte damals, dass dieser eigentlich interessanteste Text des Wettbewerbs völlig leer ausgegangen sei, sei eine Kapitulation vor der berührendsten, riskantesten, nachhaltigsten Geschichte dieser drei Lesetage gewesen. Wo Avantgardisten lange tüfteln, sei Tomer Gardis Sprache hinreißend und spielerisch kreativ Nun stellt sie den neuen Roman vor, "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück", für den Tomer Gardi 2019 das Alfred-Döblin-Stipendium bekam.
Lesung und Gespräch in "radioTexte - Das offene Buch"
Schauspielerin Katja Bürkle im Bayern 2 Studio
Die Schauspielerin Katja Bürkle folgt Tomer Gardi und der Schriftstellerin Tolli Grotesky auf ein israelisches Arbeitsamt, vorbei an einem Aquarium mit einem rosa Fisch zu einem völlig überforderten Beamten, der dem Beruf eines Schriftstellers, der Phantasie skeptisch gegenüber steht. Im Gespräch der Schriftsteller Tomer Gardi.
Regie, Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche
radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2