Bayern 2 - radioTexte


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"Putz- und Flickstunde" Nadolny und Sparschuh im Ost-West-Dialog

Zwei Bestsellerautoren, Sten Nadolny und Jens Sparschuh, lesen gemeinsam aus dem wohl kuriosesten Buch zur deutsch-deutschen Geschichte. Es geht um die Weltlage, die märkische Prärie und ihre ganz persönlichen Erfahrungen als Soldaten in damals gegnerischen Armeen: Sparschuh bei der NVA, Nadolny bei der Bundeswehr in Starnberg.

Stand: 30.09.2019 | Archiv

Sten Nadolny und Jens Sparschuh haben gemeinsam ein Buch geschrieben über die Zeit, als es noch die BRD und die DDR gab: "Putz- und Flickstunde - Zwei kalte Krieger erinnern sich" (Pieper). | Bild: picture-alliance/dpa/Report

Im Ernstfall hätten sie aufeinander schießen müssen. Denn die heute befreundeten Schriftsteller Jens Sparschuh und Sten Nadolny haben in gegnerischen Armeen gedient. Nadolny war von 1961-1963 Rekrut bei den Fernmeldern in Starnberg, Sparschuh musste 1983 drei Monate als Reservist in die NVA. Für beide Veteranen waren die Erfahrungen als Soldaten eine "Karambolage mit dem Leben", die sie in dem gemeinsam verfassten Buch "Putz- und Flickstunde. Zwei kalte Krieger erinnern sich" thematisiert haben - mit einigen Scheiben trockenem Humor im Marschgepäck.

Putz- und Flickstunden

Soldaten hissen nach der Vereinigung von Bundewehr und Nationaler Volksarmee am 04.10.1990 die bundesdeutsche Fahne.

"Jens Sparschuh: Ich erinnere mich an diese kompanieweiten Reinigungsorgien, da waren Putzmittel, zum Beispiel Formaldehyd, in der Größenordnung von chemischen Waffen im Einsatz. Dagegen war nun die offizielle Putz-und Flickstunde, in der man sich den persönlichen Ausrüstungsgegenständen und Bekleidungsteilen widmete, fast schon so etwas wie in Privatissimum.
Sten Nadolny: Ja, sie erschien uns, als wir mal drüber sprachen, als ein liebenswürdiger, geradezu charmanter Begriff. Warum? Es war gewiss ein relativ friedliches Tun. Man saß da und unterhielt sich und wienerte an der Waffe rum (…), und meist hörte man euren Soldatensender 904, wegen der Musik…"

(Aus: Putz-und Flickstunde, Sten Nadolny und Jens Sparschuh)

In gemeinsamen Gesprächen und Kurzgeschichten erinnern sich beide Autoren oft auf unterschiedliche Weise ans Kasernenleben: an das erste Befremden beim Ankommen, die Uniformen, an die mehr oder minder sinnvoll anmutenden Übungen im Gelände, an die Putz- und Flickstunden, an Offizierstanzkurse, an Freizeitgestaltungsmaßnahmen und - doch, auch - an Frauen. Insbesondere Letzeres sei, so Sparschuh, ein endloses Thema gewesen.

"Wir kennen ja aus dem Schatzkästlein des Marxismus den goldenen Spruch: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Aus dem täglichen Leben aber wissen wir: Das Nichtsein bestimmt unser Bewusstsein unter Umständen noch viel mehr. Insofern spielten Frauen – einfach kraft ihrer Abwesenheit – doch eine Rolle. Meist in der platonischen Form."

(Jens Sparschuh)

Jens Sparschuh, heute bekannt durch vor allem "Der Zimmerspringbrunnen" oder "Im Kasten", war 1983 "in der schönen Stadt Havelberg" stationiert. Allerdings nahm er die Hansestadt in Sachsen-Anhalt erst Jahre später wirklich wahr, da er in seiner NVA-Zeit ziemlich oft Ausgangssperre hatte.

Zwei "Kalte Krieger" im Dialog

Die beiden unfreiwilligen Gegner von einst räsonieren über das Verteidigungsbündnis der Nato und den Warschauer Pakt, der in der DDR "Warschauer Vertrag" genannt wurde. Und beide heute erfolgreichen Schriftsteller entdecken in ihrer Rückschau auch "liebenswerte" Momente in der Armee. Dazu fällt Sten Nadolny (berühmt vor allem mit seinem Bestseller von 1983 "Die Entdeckung der Langsamkeit") beispielsweise die manchmal zunächst eher unfreiwillige Naturnähe ein: Man begegne der Landschaft als Fußgänger und manchmal noch etwas intensiver in der Waagrechten, als "Durch-den-Wald-Kriecher".

Der in Karl-Marx-Stadt geborene Jens Sparschuh kann nur zustimmen: "Die Havellandschaft, wo wir unsere Pontons gebaut haben, hätt ich bestimmt nie so intensiv kennengelernt wie bei diesen Übungen." Um die Landschaftsromantik im wahrsten Sinne wieder auf den Boden zurückzuholen: Die Umwelt, so Sparschuh, habe damals noch niemanden interessiert. Mit Altöl und Diesel sei man auf haarsträubende Weise umgegangen. Dem Militär stehen beide Schriftsteller kritisch gegenüber. So ist ihr Buch, ihr Ost-West-Dialog, auch gleichzeitig ein Plädoyer für Demokratie und Frieden.

Lesung zum Tag der Deutschen Einheit

Im Jahr des dreißigjährigen Jubiläums des Mauerfalls sowie zum Tag der Deutschen Einheit lesen Jens Sparschuh und Sten Nadolny in den radioTexten am 3. Oktober um 14.30 Uhr aus ihrem Buch "Putz- und Flickstunde - Zwei Kalte Krieger erinnern sich" (erschienen bei Piper).

Redaktion: Antonio Pellegrino

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