Bayern 2 - radioTexte


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Deutscher Buchpreis 2019 Für Saša Stanišić und seinen Roman "Herkunft"

Er ist vom Flüchtlingsjungen zum preisgekrönten Schriftsteller geworden, nun geehrt mit dem verkaufsfördernden Deutschen Buchpreis 2019, der dem großartigen, autofiktiven Bestseller „Herkunft“ noch einmal Auftrieb gibt. Saša Stanišić erzählt darin Geschichten seiner Familie, seiner bosnischen Herkunft, seiner Ankunft als Flüchtlingsjunge und seiner gelungenen Integration. Aus Anlaß des Deutschen Buchpreises bieten die „radioTexte“ nochmal die Lesung mit Shenja Lacher und Gespräch mit Saša Stanišić vom Mai 2019.

Stand: 17.10.2019

Sasa Stanisic | Bild: picture-alliance/dpa

Deutscher Buchpreis 2019 für Saša Stanišić

Ein Sprachakrobat, ein begnadeter Formulierer, ein heiter melancholischer Geschichtenerzähler, dem der Leser mit "Wie der Soldat das Grammofon repariert" und "Vor dem Fest", dem presigekrönten Dorfroman aus der Uckermark, längst in die Falle gegangen ist. In seinen Sätzen möchte man wohnen, schrieb eine begeisterte Leserin an Saša Stanišić. In seinem neuen hinreissenden 'Selbstportrait mit Ahnen' erforscht der Schriftsteller seine "Herkunft", sucht seine Wurzeln, seine Zugehörigkeit, und erhielt dafür den Deutschen Buchpreis 2019.

Begründung der Jury

"Saša Stanišić ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut. Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist. Verfügbar wird sie nur als Fragment, als Fiktion und als Spiel mit den Möglichkeiten der Geschichte. Der Autor adelt die Leser mit seiner großen Phantasie und entlässt sie aus den Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit. „Das Zögern hat noch nie eine gute Geschichte erzählt“, lässt er seine Ich-Figur sagen. Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen. „Herkunft“ zeichnet das Bild einer Gegenwart, die sich immer wieder neu erzählt. Ein „Selbstporträt mit Ahnen“ wird so zum Roman eines Europas der Lebenswege."

"Erfinden und übertreiben, heute verdienst du sogar dein Geld damit!"

Der rote Faden, der sich durch den Roman von Saša Stanišić zieht, sind Episoden mit seiner bosnischen Großmutter, die es kaum glauben kann, dass ihr Enkel allein mit dem "Erfinden von Geschichten und seinen Übertreibungen" seinen Lebensunterhalt verdienen kann und damit sogar berühmt geworden ist. Auf der Suche nach sich und seinen Wurzeln begleitet den Autor seine Großmutter. Sie sagt ihm nicht nur die Zukunft voraus, sondern hat wundersame Weisheiten, etwa: "Das Zögern hat noch nie eine gute Geschichte erzählt" oder "Das Ankommen kann warten". Mit ihr begibt sich Saša Stanišić in die Vergangenheit und entdeckt die Gegenwart.

Geburtsstadt Višegrad an der Drina

"Am 7. März 1978 wurde ich in Višegrad an der Drina geboren. In den Tagen vor meiner Geburt hatte es ununterbrochen geregnet. Der März in Višegrad ist der verhassteste Monat, weinerlich und gefährlich. Im Gebirge schmilzt der Schnee, die Flüsse wachsen den Ufern über den Kopf. Auch meine Drina ist nervös. Die halbe Stadt steht unter Wasser. Im März 1978 war es nicht anders. Als bei Mutter die Wehen anfingen, brüllte ein heftiger Sturm über der Stadt. Der Wind bog die Fenster vom Kreißsaal und brachte Gefühle durcheinander, und mitten in einer Wehe schlug auch noch der Blitz ein, dass alle dachten, aha, soso, jetzt also kommt der Teufel in die Welt. So unrecht war mir das nicht."

aus: 'Herkunft', Luchterhand

"Ich bestehe aus so vielem"

Saša Stanišić im Gespräch mit Cornelia Zetzsche: "Man sagt ja immer, Herkunft hat damit zu tun, wo man geboren ist, mit der Sprache, die man lernt. Das hat bei mir zweimal stattgefunden, einmal in Bosnien, damals noch Jugoslawien, und das zweite Mal in Heidelberg mit der Ankunft, der neuen Sprache, der neuen Sozialisation, wenn man so will. Herkunft ist tatsächlich etwas, was ich nicht festmachen kann. Ich bestehe aus so vielem, genetisch, sozial und was noch meine Biographie angeht, dass ich gar nicht festlegen könnte, was Herkunft wirklich für mich ist, und deswegen ist dieses Buch eigentlich die Antwort darauf."

Podcast der Sendung vom Mai 2019 im "Offenen Buch"

Schauspieler Shenja Lacher vor dem Bayern2-Studio

Schauspieler Shenja Lacher liest aus "Herkunft" und Cornelia Zetzsche unterhält sich mit dem Schriftsteller über sein Ankommen und seine Suche nach seinen Wurzeln.


Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche

Saša Stanišić wurde am 7. März 1978 als Sohn einer Bosniakin und eines Serben in Višegrad geboren. Wegen des Bürgerkriegs musste die Familie 1992 aus dem von Serben besetzten Gebiet fliehen. Bei einem Onkel in Heidelberg kamen sie unter. Hier besuchte er die Internationale Gesamtschule, wo sein schriftstellerisches Talent von seinem Deutschlehrer entdeckt und gefördert wurde. Nach dem Abitur 1997 studierte er an der Universität Heidelberg Deutsch als Fremdsprache und Slawistik.

Kindheitstraum vom Schreiben

Während des Studiums entstanden immer mehr literarische Texte und sein „Kindheitstraum vom ‚nur Schreiben‘ wurde größer und größer.“ Nach einem Lehraufenthalt in den USA besuchte er 2004 das renommierte Literaturinstitut in Leipzig. Im darauf folgenden Jahr nahm er mit einer Erzählung "Was wir im Keller spielen ..." beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis 2005 teil. Das autobiographisch gefärbte Werk, das den Krieg in Ex-Jugoslawien aus der Sicht eines Kindes Revue passieren lässt, bekam in Klagenfurt den "Kelag-Publikumspreis".

Sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ war 2006 nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde 2007 mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises ausgezeichnet. 2008 erhielt Saša Stanišic dafür den Adelbert-von-Chamisso-Preis und den Förderpreis des Heimito von Doderer-Literaturpreises.
Stipendienaufenthalte führten ihn in die Villa Waldberta bei München, ins Künstlerhaus Ahrenshoop in Mecklenburg-Vorpommern und als Stadtschreiber nach Graz. Sein zweiter Roman "Vor dem Fest" wurde 2014 mit dem Leipziger Buchpreis und dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet.


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