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Reise in andere Dimensionen Georg-Büchner-Preis für Lukas Bärfuss

Ein Mann stürzt vom Fahrrad, und auf einmal ist nichts wie vorher. Mit dieser Situation beginnt die Erzählung "Der Keller", eine von 13 Geschichten aus Lukas Bärfuss' neuestem Erzählband "Malinois". Sicheres Terrain löst sich auf, Koordinaten brechen weg, alles beginnt zu schweben, Außen- und Innensicht verschmelzen zu einer Art Lebensbilanz über Liebe und Begehren, zu einer Grenzerfahrung.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 22.10.2019

Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Lukas Bärfuss | Bild: picture-alliance/dpa

Georg-Büchner-Preis für Lukas Bärfuss

"Mit Lukas Bärfuss zeichnet die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen herausragenden Erzähler und Dramatiker der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aus. In einer distinkten und dennoch rätselhaften Bildersprache, karg, klar und trennscharf, durchdringen sich nervöses politisches Krisenbewusstsein und die Fähigkeit zur Gesellschaftsanalyse am exemplarischen Einzelfall, psychologische Sensibilität und der Wille zur Wahrhaftigkeit. Mit hoher Stilsicherheit und formalem Variationsreichtum erkunden seine Dramen und Romane stets neu und anders existentielle Grundsituationen des modernen Lebens. Es sind Qualitäten, die zugleich Bärfuss‘ Essays prägen, in denen er die heutige Welt mit furchtlos prüfendem, verwundertem und anerkennendem Blick begleitet."

Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Schweizer Dramatiker und Erzähler Lukas Bärfuss | Bild: Stefano de Marchi

Als der Schweizer Dramatiker und Erzähler von seiner Auszeichnung erfuhr, war er total überrascht. "Wenn man das Gefühl hat, man sei so talentiert, wie das in diesem Text zum Ausdruck kommt, dann ist das eigentlich eher kompliziert. Aber was mich besonders gefreut hat, dieser Hinweis darauf, dass es mehr gibt als das politisch Gesellschaftsrelevante. Die Auseinandersetzung mit der Sprache und der menschlichen Natur, die Gesellschaft, die ich vorfinde, ist wichtig gar keine Frage. Aber sie kann nicht der alleinige Grund sein für meine Literatur. Weil meine Literatur über die augenblicklichen Befindlichkeiten hinausweist," erzählt Lukas Bärfuss im Gespräch mit Cornelia Zetzsche.

Lukas Bärfuss begann zunächst 1998 als Dramatiker und avancierte zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Theaterautoren. Seine Theaterstücke wurden in rund ein Dutzend Sprachen übersetzt und werden weltweit gespielt. Als Erzähler debütierte Lukas Bärfuss 2002 mit der Novelle "Die toten Männer". Sein erster Roman "Hundert Tage" über den Völkermord in Ruanda erschien 2008. Auch sein zweiter Roman "Koala" aus dem Jahr 2014, in dem er den Suizid seines Bruders verarbeitet, wurde mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

Lukas Bärfuss: "Ich kann sagen, dass ich mich in allen meinen Figuren spiegle. Der grundsätzliche Motor meines Schreibens sind diese Figuren, diese Menschen und ihre Erfahrungen darzustellen. Und da gibt es nichts, das nichts mit mir zu tun hat. Ich bin in allen meinen Figuren vorhanden, manchmal direkter, manchmal indirekter, aber eine gewisse Identifikation oder sogar ein Erfahrungs-Kongruenz braucht es schon unbedingt."

Auszüge aus dem Gespräch mit Cornelia Zetzsche gibt es am 27. Oktober in "radioTexte - Das offene Buch" und natürlich eine Lesung aus Lukas Bärfuss' neuem Erzählband "Malinois". Die Schweizer Schauspielerin Sibylle Canonica vom Münchner Residenztheater liest die Geschichte "Der Keller" und so beginnt sie:

"Einmal, im Spätsommer, als er nach Hause kam, nach dem Bad im See, nach der Arbeit, auf dem Fahrrad, im Durchgang zum Hof, nahm Daniel am Rande seines Sichtfeldes eine Frau wahr, eine schöne, wie er glaubte, nach der er sich umdrehen wollte, was nicht so gleich möglich war, weil die Frau genau hinter dem Fahrrad stand, hinter seinem Rücken, wohin er den Kopf nicht dreghen konnte und deshalb weiter fahren musste, in den Hof hinein, durch die Pfütze hindurch, die sich vor den Garagen ausbreitete und die nicht einmal an den heißesten Tagen austrocknete."

aus 'Malinois' von Lukas Bärfuss, Wallstein Verlag

Lukas Bärfuss: "Der Impuls war ein Hinterhof, ein Ort, an dem ich gelebt habe. Ich sehe die Türen. Ich sehe den Fahrradständer und ich sehe das Moos am Boden. Es ist eigentlich fast was Topografisches, erstaunlicherweise gar nicht so sehr etwas Dramatisches oder gar nicht so sehr die Geschehnisse in dieser Geschichte, sondern eher die Erkundung dieses Raumes und dieses Hinterhof. Dieser Zwischenbereich eigentlich. Aber ich versuche eine Geschichte zu schreiben, die ich nicht vollständig verstehe, und deshalb bin ich ein denkbar schlechtes Gegenüber, wenn es um die Interpretation meiner eigenen Erzählungen geht."

radioTexte - Das offene Buch
jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche


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