Bayern 2 - radioTexte


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Über die Wut im Osten Ines Geipel liest aus ihrem Buch "Umkämpfte Zone"

Woher kommt die große Wut im Osten? Die gebürtige Dresdnerin mit vielen Talenten - sie ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Professorin für Verssprache und gehörte früher zu den DDR-Spitzen-Sprinterinnen - sucht in ihrem Buch Antworten auf das Warum der Radikalisierung im Osten Deutschlands, auch anhand ihrer eigenen Familiengeschichte. Autorenlesung und Gespräch

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 15.05.2019 | Archiv

Blick auf heruntergekommene Gebäude auf dem Weißen Hirsch (Dresden) im Jahr 1992, hier die Siechgrundstraße, fotografiert von Thomas Lehmann | Bild: picture-alliance/dpa/Report

"Der Osten rutscht. Wir sehen eine unversöhnliche Wut. Mich hat interessiert, warum wird in den ostdeutschen Familien so viel geschwiegen? Warum kommt es zu so seltsamen Renaissancen auch rechter Positionen? Mich interessiert in diesem Buch der Konnex zwischen Gewalt und Verdrängung, das ist mein Thema."

(Ines Geipel im Gespräch mit Antonio Pellegrino)

Assoziative Memoiren, aktuelle Gesellschaftsanalyse, zeitgeschichtliche Rückschau auf ihre eigene Heimat: All das verwebt die 1960 in Dresden geborene Autorin Ines Geipel in ihrem aktuellen Buch - schon der Titel verrät es: "Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass". Sie erzählt von der NS-"Karriere" ihres Großvaters, von ihrem Vater, dem fleißigen Stasi-Agenten, und auch von ihrem an einem Tumor erkrankten jüngeren Bruder Robby, der sie bat "darüber zu schreiben". Vor nun einem Jahr ist ihr Bruder verstorben. Und die Schwester hat tatsächlich ein mutiges, ein offenes Buch geschrieben über die Frage, wie zwei aufeinanderfolgende Diktaturen sich in den Seelen der Menschen ausdehnen.

"Wie fühlte sich die postfaschistische Gegenwart im Osten Deutschlands an? Was für eine Gesellschaft entstand da? (...) Das kommunistische Paradies sah eher nach einem gebeutelten Schredderkosmos aus. aber wie konnte es anders sein?"

(Ines Geipel, Umkämpfte Zone)

Ines Geipel , aufgenommen 2010 auf der 62. Frankfurter Buchmesse

Einst Mitglied der DDR-Nationalmannschaft im Sprint und Opfer der DDR-Dopingpolitik, hat Ines Geipel nach ihrer Flucht in den Westen im Sommer 1989 Philosophie und Soziologie studiert; heute ist sie Professorin für Verskunst an der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“. Im Jahr 2000 war sie Nebenklägerin im Prozess gegen die Drahtzieher des DDR-Zwangsdopings. Ihr Buch "Verlorene Spiele" (2001) hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Bundesregierung einen Entschädigungs-Fonds für DDR-Dopinggeschädigte einrichtete. 2005 gab Ines Geipel ihren Staffelweltrekord zurück, weil er unter unfreiwilliger Einbindung ins DDR-Zwangsdoping zustande gekommen war. Sie hat neben Doping auch vielfach zu anderen gesellschaftlichen Themen wie Amok, der Geschichte des Ostens und auch zu Nachwendethemen publiziert.

2011 wurde die in Berlin lebende Autorin wegen ihres Engagements für in der DDR unterdrückte Literatur und für ihre Aufarbeitung des DDR-Dopingsystems sowie den Kampf um Entschädigung der Doping-Opfer mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Superwahljahr im Osten

"Umkämpfte Zone" erzählt von den Schweigegeboten nach dem Ende der NS-Zeit, der Geschichtsklitterung der DDR und den politischen Umschreibungen nach der deutschen Einheit. Verdrängung und Verleugnung prägen die Gesellschaft bis ins Private hinein, so zeigt es die Autorin eindrücklich mit Blick in ihre eigene Familienchronik. In ihrer soghaften Erzählung stellt sie schlüssig dar, wie die Empfänglichkeit für rechte Parolen mit der Verdrängung von Schuld im Dritten Reich verzahnt sein kann.

Ines Geipel sieht sich als politische Schriftstellerin, ist ständig aktiv und unterwegs, um Aufklärung, Auseinandersetzung und Kontakt zum Lesepublikum bemüht. Im Herbst sind Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Es steht viel auf dem Spiel.

"Umkämpfte Zone"

von und mit Ines Geipel

am 21. Mai 2019 in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21 Uhr auf Bayern2

Ines Geipels sehr persönliches Buch "Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass" ist bei Klett-Cotta erschienen.

Autorenlesung und Gespräch

Das Buch "Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass" ist bei Klett-Cotta erschienen.

Das ganze Gespräch mit Ines Geipel können Sie auch noch einmal nachhören, hier im Stream, im BR-Podcastcenter oder wo immer Sie ihre Podcasts hören.

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Podcast 7 Tage verfügbar


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