Bayern 2 - radioTexte


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Heike Behrend Wie aus der Ethnografin ein Mensch wurde

"Der Affe, der Mensch werden will, bin ich, eine Berliner Ethnologin": So beginnt Heike Behrend ihre autobiografischen Aufzeichnungen, die sie "Menschwerdung eines Affen" genannt hat. In ihrer Rückschauf auf ihre Forschungen u.a. in Kenia und Uganda beschreibt Behrend ergreifend offen und selbstkritisch, wie groß der Anteil an Erschütterungen, Zufällen und Fehleinschätzungen im Forschungsprozess der Ethnolog*innen im Feld eigentlich ist. Über Irrungen und Wirrungen in der Fremde: eine Lesung mit Irina Wanka

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 02.11.2020 | Archiv

Zwergflamingos im Bogoria-See, Rift Valley, Kenia
Fotograf: W. Dolder | Bild: picture-alliance/dpa/blickwinkel

"Affe nannten mich die Bewohner der Tugenberge im Nordwesten Kenias, als ich 1978 zu ihnen kam. Affe, Närrin oder Clown, Hexe, Spionin, satanischer Geist und Kannibale waren Namen, die mir auch auf späteren Forschungen in Ostafrika gegeben wurden. Über diese ethnografischen Forschungen möchte ich hier berichten."

(Heike Behrend, Menschwerdung eines Affen)

Diese Autobiografie der ethnografischen Forschung erzählt keine heroische Erfolgsgeschichte, sondern berichtet von dem, was in herkömmlichen Ethnografien gern unerwähnt bleibt: die persönlichen Niederlagen, die kulturellen Missverständnisse, die Konflikte, Fehlleistungen und Situationen des Scheiterns in der Fremde.

Wer kommt aus der Wildnis? Forschungsobjekt Berliner Ethnologin

Die heute 73jährige Ethnologin musste während ihren langjährigen Feldforschungen quer durch Ostafrika einige Erschütterungen einstecken, die ihre Perspektive auf andere und auf sich selbst radikal änderten. Als sie in den 70er Jahren als junge Frau mit prächtig langem Haar und Großstadt-Tempo in den Tugen-Bergen Kenias forschte, galt sie beispielsweise als "kannibalistischer Kinderschreck", als ungepflegtes "Monster aus der Wildnis", das mit hektischen Bewegungen für Heiterkeitsausbrüche sorgte. Und doch, so berichtet Behrend in ihrer Rückschau, wurde sie damals mit großer Gastlichkeit aufgenommen, wurde ihr "Verwandtschaft gegeben", damit aus ihr eine "kleine Person" werden konnte.

"In den Tugen-Bergen wird erzählt, dass eine Frau, die sich ein Baby wünscht, in die Wildnis geht und ein Affenbaby stiehlt, es an ihre Brust nimmt und pflegt, bis es schließlich den Namen eines Ahnen bekommt und sich durch Rituale in einen Menschen verwandelt."

(Heike Behrend im Gespräch mit BR-Redakteurin Judith Heitkamp)

Fremdheit und Vielfalt - Erfahrungsbericht aus Ostafrika

Die Ethnologin und Autorin Heike Behrend lebt heute in Berlin.

In der Tradition der "inversen Ethnografie" interessierte Behrend auch die Frage, wie die "Kolonisierten die Kolonisatsoren (...) zum Objekt ihrer eigenen Ethnografien machten". Wie und unter welchen Bedingungen beispielsweise wurde sie als fremde Frau unter den Tugen als Person angenommen? Welches Wissen wurde mit ihr geteilt, welche Grenzen gesetzt? Heike Behrend erzählt herrlich selbstkritisch von ihren so reichen und diversen Erfahrungen auch während späterer Reisen nach Uganda, wo sie sich mit dem Thema Hexerei und Kannibalismus beschäftigte oder mit der Rolle der katholischen Kirche während der Aids-Epidemie. In Nord-Uganda wurde sie "besessen" von Besessenheitsritualen, von Seancen mit Geistern. Wer gilt als gelehrt, wer als unwissend, wer forscht und wer ist das beobachtete Objekt? Wer schreibt Geschichte, hat das Wissen inne, wer führt die Erzählung? Heike Behrend führt schnörkellos und sympathisch vor Augen, wie fragil Forschung und Wissensgerüste eigentlich sind.

"Globalisierungsprozesse, die Afrika mit einschlossen, führten eben nicht zu einer allgemeinen Entzauberung, Nivellierung und Homogenisierung der Welt, sondern auch zur neuen Verzauberung, (...) zu einer Vielfalt von Modernen."

(Heike Behrend, Menschwerdung eines Affen)

Heike Behrend in aller Kürze

1947 in Stralsund geboren, studierte Heike Behrend Ethnologie und Religionswissenschaft in München, Wien und Berlin, wo sie auch eine Filmausbildung absolvierte. Ihre Forschungen führten sie vor allem nach Ostafrika, Kenia und Uganda. Sie unterrichtete u.a. in Berlin, Bayreuth, Mainz, Paris, Evanston (USA), Wien und Tokio. Heike Behrend leitete diverse Forschungsprojekte zur "populären Kultur in Afrika" und zum Verhältnis von Religion, Krieg und Gewalt. Des Weiteren kuratierte sie zahlreiche Ausstellungen. Seit ihrer Pensionierung 2012 lebt und arbeitet Heike Behrend in Berlin.

"In publizierten Texten ist das Scheitern meist ausgelöscht; die Ethnografin erzählt vor allem eine Erfolgsgeschichte. Die Produktivität, die auch im Scheitern liegen kann, wird selten anerkannt und der Reflexion unterzogen. Tatsächlich aber bestimmten Irritationen, Missverständnisse und Zufälle wesentlich den Forschungsprozess, denn sie zwangen mich, in nicht vorhersehbare Richtungen zu denken und den Gegenstand der Forschung immer wieder neu zu fassen."

(Heike Behrend)

"Menschwerdung eines Affen"

Irina Wanka

Am 17. November liest die Schauspielerin Irina Wanka aus Heike Behrends Buch - in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2
Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino
Das Buch "Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung" ist bei Matthes & Seitz erschienen.

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