Bayern 2 - radioTexte


25

Émile Zola und nemo Muscheln für die Fruchtbarkeit

Emile Zola amüsiert sich in seiner Novelle über den braven Monsieur Chabre mit Kinderwunsch. Eine Geschichte voller unerfüllter Sehnsüchte, unbegrenztem Bürgerspott und ungesagten Gefühlen an wildfranzösischen Meeresklippen. Es liest Franz Pätzold. Im Anschluss: nemo mit Gastdetektiv Andreas Nohl, der kürzlich "Gone with the Wind" neu übersetzt hat

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 25.03.2020 | Archiv

Pointe de Castelli, Piriac, Frankreich | Bild: picture-alliance/dpa/prisma

Gönnen wir uns eine fiktive Reise an eine wildromantische Landspitze Frankreichs im ausgehenden 19. Jahrhundert: Estelle, eine 22-jährige Schönheit mit "geschmeidiger Taille", ist gefangen in der tristen Ehe mit dem pensionierten, doppelt so alten Kornhändler Chabre, dessen Gesicht immerhin insofern beeindruckt, als dass es „platt und gewöhnlich wie ein Bürgersteig“ sei.

Vier Jahre sind die Beiden nun verheiratet, doch der größte Wunsch von Monsieur Chabre - ein Erbe - ist nicht in Erfüllung gegangen. Diese Sehnsucht übersteigt alle Maße - dafür überwindet der brave Bürger auch seinen Ekel vor Wasser und Meeresgetier und schlürft, kaut und knackt auf ärztliche Anweisung in charmanter Küstenidylle allerlei Muscheln und Seeigel. Doch alsbald trifft das Muschel-kurende Paar auf den beeindruckenden Hühnen Hector. Am wildschönen Schauplatz Piriac-sur-Mer nehmen fortan die Gesetze der Natur ihren Lauf...

"Die Aufregung, die sie vorhin empfunden hatte, als sie den jungen Mann an der Felswand hängen sah, hatte ein innerliches Beben in ihr zurückgelassen. Langsam drangen sie auf einer steinigen Strandfläche vor, und sie sprachen nicht mehr."

(Emile Zola, Die Muscheln von Monsieur Chabre)

Emile Zola auf den Wellen der Schadenfreude

Emile Zola (1840-1902) mit Fahrrad unterwegs

In ihrem leichten Ton schwebt die Novelle "Die Muscheln von Monsieur Chabre" geradezu auf sanften Wellen der Schadenfreude hinsichtlich des tumben Bourgeois Chabre. Der neben Gustave Flaubert meistgelesene französische Autor des 19. Jahrhunderts, der selbst gern Muscheln und Seeigel genoss, zückt in dieser Geschichte so ganz andere Register als in seinen großen, dramatischer und sozialkritisch angelegten Romanen. Emile Zola, geboren 1840 in Paris, arbeitete zuerst beim Hafenzoll, dann als freier Journalist. 1862 bekam er eine Anstellung im Verlagshaus Hachette, das er nach dem Erfolg seiner ersten beiden Bücher wieder verließ. 1898 setzte er sich mit seinem "J'accuse" für den zu Unrecht verurteilten Dreyfus ein und wurde zu Gefängnis sowie einer Geldstrafe verurteilt, floh jedoch nach England. 1899 kehrte er nach einer Amnestie zurück. Zola starb im Jahr 1902 in Paris.

Franz Pätzold, Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, liest Emile Zola in den radioTexten.

Von manch Kritikern als "Homer der Moderne" geadelt, gilt Zola als Hauptvertreter des Naturalismus. Als einer der ersten Autoren recherchierte er nahezu journalistisch vor Ort für seine Werke. Er verfolgte den nicht geringen Anspruch, Archivar und Arzt der (ganzen) Gesellschaft zu sein. Bis heute sind seine Romane (alle aus dem zwanzigbändigen Zyklus der Rougon Macquart stammend) "Nana", "L'Assomoir", "La Bête humaine", "Le Ventre de Paris" oder "Germinal" berühmte Klassiker, die auch teilweise verfilmt wurden.

Émile Zola: Die Muscheln von Monsieur Chabre

am 31. März in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21 Uhr auf Bayern2

Lesung mit Franz Pätzold

Im Anschluss: nemo - das literarische Ratespiel mit Elisabeth Tworek, Andreas Trojan und Gastdetektiv Andreas Nohl, Schriftsteller und Übersetzer (zuletzt Margaret Mitchells Bestseller "Gone with the Wind" / "Vom Wind verweht", zusammen mit seiner Frau Liat Himmelheber)

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


25