Bayern 2 - radioTexte


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Deutschlandreisen Reiseberichte berühmter Globetrotter

Von Tübingen bis Hiddensee, von Köln bis Bad Kissingen: Quer durch Raum und Zeit hat Rainer Wieland bemerkenswerte Berichte von Deutschlandreisenden aus aller Welt über einen Zeitraum von 2000 Jahren gesammelt. Wie wirkten damals die "Germanen", wie wirken wir Deutsche heute auf die Außenwelt? Vier fremde Blicke auf die uns so vertrauten Landschaften: von der britischen Autorin Mary Shelley bis zum äthiopischen Prinzen Asserate. Lesungen und Gespräch mit dem Herausgeber

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 20.12.2018 | Archiv

Kreidefelsen auf Rügen, Nationalpark Jasmund bei Sassnitz | Bild: picture-alliance/dpa

Offenbar darf man auf das eigene Image stolz sein, zumindest auf nationaler Ebene: Laut "Nation Brands Index" liegt Deutschlands Image auf Platz 1 weltweit. Das ging aus einer Image-Rangliste des Marktforschungsinstituts GfK und des Politikberaters Simon Anholt für das Jahr 2017 hervor. Vor allem in den Kategorien "Kultur", "Regierung" und "Bevölkerung" konnten die Deutschen in der globalen Wahrnehmung hinzugewinnen.

Wie wäre wohl ein "Nation Brand Index" vor 2000 Jahren ausgefallen? Für die alten Römer - die ersten Reisenden auf "deutschem" Gebiet, von denen Zeugnisse überliefert sind - galten die Bewohner des rauen und unwirtlichen Germania als "Barbaren". Nicht wenige Stereotypen aus antiken Zeiten haben bis heute überdauern können, doch immerhin fanden sich im 15. Jahrhundert einige Reisende, die das Land und seine Bewohner in Schutz nahmen: Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., hatte als päpstlicher Legat Deutschland kreuz und quer bereist und hielt seine doch nachdrücklich positiven Eindrücke 1457 fest:

"Mit allen Völkern lebt ihr im Geist der Humanität zusammen, dass man sagen muss: Nichts Barbarisches haftet euch mehr an außer eurer Muttersprache."

(Enea Silvio Piccolomini, Germania, 1457-1458)

Der Papst in spe erfreute sich ins besondere an der Sauberkeit und am "jugendlichen" Glanz deutscher Städte, die den Vergleich mit Italien gar nicht zu scheuen bräuchten: "Man mag ihnen vielleicht einige italienische Städte vorziehen wie Venedig, Genua, Florenz und Neapel, die in höchstem Glanz und Schmuck erstrahlen. Wenn man aber Nation mit Nation im Ganzen vergleicht, dann kann man die italienischen Städte nicht über die deutschen stellen".

Die Deutschen - Barbaren, Elefanten, Ungeschickte?

Nunmehr quasi päpstlich freigesprochen vom Barbarentum, sollten alsbald jedoch andere nicht unbedingt schmückende Berichte übers deutsche Temperament folgen. Zu Zeiten, in denen die "Kavalierstour" oder die legendäre "Grand Tour" viele Söhne von europäischen Adeligen und Patriziern auch durch deutsche Städte führte, hielt 1728 ein französischer Vordenker der Aufklärung seine Eindrücke über "la république fédérative d'Allemagne", zu deutsch "die Bundesrepublik Deutschland" in seinem Tagebuch fest.

"Die Deutschen sind gute Leute. Sie sind mit Elefanten vergleichbar; zunächst wirken sie schrecklich, doch sobald man sie gestreichelt hat und ihnen schmeichelt, werden sie sanftmütig."

(Baron Montesquieu, 1728)

"Das Buch der Deutschlandreisen" von Rainer Wieland

Viel prägender als diese Äußerung Baron de Montesquieus für das Deutschlandbild der Franzosen sollte das Buch "De L'Allemagne" Madame de Staëls werden, das 1814 erstmals erschien. "Man hat viel Mühe, wenn man soeben aus Frankreich kommt, sich an die Langsamkeit, an die Trägheit des deutschen Volks zu gewöhnen", so die Schriftstellerin und konnte nicht umhin anzufügen, dass es den Deutschen an allem fehle, "wozu Gewandheit und Geschicklichkeit erfordert wird". Die britische Schriftstellerin Mary Shelley, die übrigens das Labor, in dem "Frankenstein" erschaffen wird, ins deutsche Ingolstadt verortete, begab sich 1842 nach Bad Kissingen, um eine Trinkkur zu beginnen. Was sie dazu schriftlich in Briefform festhielt, klingt etwas angefasst. Das sei aber, wie sie selbst zugibt, dadurch zu erklären, dass das Wasser die Nerven "reize" und die "Gaumenfreuden" von den Ärzten systematisch "zunichte" gemacht würden. Ein weiterer Grund:

"Kann man sich in Gegenwart von Rheumatikern, Gichtkranken und allen möglichen anderen Leidenden vergnügen? Eine verrückte Vorstellung."

(Mary Shelley, Bad Kissingen, 4. Juli 1842)

Beschaulichkeit und Meeresduft

Prinz Asfa-Wossen Asserate

Kommen wir besser zu den Globetrottern des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel dem Bericht des äthiopisch-deutschen Bestsellerautors Prinz Asfa-Wossen Asserate. Der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie, der sich in seinen Büchern oft mit europäischen und auch deutschen "Manieren" (Buchtitel von 2003) beschäftigt hat, blickt in den radioTexten auf seine Studentenjahre im beschaulichen Tübingen zurück.

"Wer Dialekt spricht, kann sich nicht verstellen; in Tübingen gilt dies ganz besonders. Hier paart sich Offenheit mit Bescheidenheit."

(Prinz Asserate)

An den Wochenenden stürzte man sich oft ins Nachtleben Münchens. Bei einem dieser Ausflüge im Jahr 1968 wurde er in die High-Fish-Kommune in der Giselastraße geführt. Noch heute gerät der Prinz über Uschi Obermaiers Schönheit ins Schwärmen.

Asta Nielsen im deutschen Stummfilm "Das Liebes-ABC", 1916

A propos Schwärmerei: Der Stummfilmstar Asta Nielsen verliebte sich in den Zwanziger Jahren in die Insel Hiddensee, die zu ihrer "Oase in der Ostsee" werden sollte. Die dänische Diva der Stummfilmzeit drehte in Deutschland siebzig ihrer insgesamt vierundsiebzig Filme mit Regisseuren wie Ernst Lubitsch, G. W. Pabst und Leopold Jessner. Nielsen besaß ein Haus in Vitte, wo sie oft zusammen mit vielen anderen Künstlern, von Ringelnatz bis Hauptmann, die Sommermonate verbrachte, bis die Nazis diese Idylle zerstörten.

"Der Duft von frisch geräuchertem Fisch mischte sich mit der Meeresluft und dem Hauch trocknen Grases und geteerter Netze."

(Asta Nielsen über Hiddensee 1929)

Der Herausgeber

Rainer Wieland, geboren 1968 in Weißenburg/Bayern, arbeitet als Lektor, Herausgeber und Autor in Berlin. Er hat zahlreiche vielbeachtete Bücher veröffentlicht, darunter »Das Buch der Tagebücher«, »Die Welt der Enzyklopädie« (mit Anette Selg) und »Schreiben Sie mir, oder ich sterbe! Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer« (mit Petra Müller). 2015 erschien bei Propyläen »Das Buch des Reisens«, 2017 »Das Buch der Deutschlandreisen«. 

"Das Buch der Deutschlandreisen"

Thomas Loibl | Bild: Renate Neder

Thomas Loibl liest Deutschlandberichte des Prinzen Asserate und Papst Pius II. für die radioTexte am Dienstag.

am 25. und 26. Dezember um 14.30 Uhr in den radioTexten auf Bayern 2

Berichte aus Deutschland von Enea Silvio Piccolomini, Mary Shelley, Asta Nielsen und Prinz Asserate, gelesen von Laura Maire und Thomas Loibl

sowie ein Gespräch mit Herausgeber Rainer Wieland

Moderation: Antonio Pellegrino

Das mit vielen Bildern schön gestaltete "Buch der Deutschlandreisen" ist im Propyläen Verlag erschienen.

Podcast 7 Tage verfügbar


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