Bayern 2 - radioTexte


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César Vallejo Ein peruanischer Poet im Paris der 20er Jahre

Hierzulande ist er noch unbekannt, doch in den Augen vieler Lateinamerikaner ist der peruanische Autor einer ihrer größten Dichter des 20. Jahrhunderts. César Vallejo lebte bis zu seinem 31. Lebensjahr in Peru, dann wagte er im Sommer 1923 den Sprung über den Atlantik nach Paris, um sich einen Traum zu erfüllen - die "Alte Welt" kennenzulernen. Seine stimmungsvollen, auch ironischen "Berichte aus Europa" aus den tumultigen Zwanziger Jahren liest Martin Umbach. Zu Gast im Studio ist BR-Autorin Constanze Alvarez, die eine begeisterte Vallejo-Leserin ist und mehr zu Leben und Werk erzählt.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 15.11.2018 | Archiv

Der peruanischer Schriftsteller César Vallejo (1892-1938)
© www.griffinpoetryprize.com | Bild: www.griffinpoetryprize.com

"Paris ist keine grandiose Weltstadt voller Literaturkneipen, romantisch-hingebungsvollen Frauen, Absinthtrinkern und schwindsüchtigen Künstlern, in Wirklichkeit ist Paris das genaue Gegenteil - eine Stadt wie jede andere..."

(César Vallejo, 1928)

Als der 1892 in einer kleinen peruanischen Andenstadt geborene Dichter im Sommer 1923 in seiner Traumstadt ankam, schlugen die Wellen der Enttäuschung heftig über seinem Kopf zusammen. Nicht ungern hatte er Lima verlassen - nach mehreren dramatisch gescheiterten Beziehungen und einem Gefängnisaufenthalt wegen angeblicher Beteiligung an einem bewaffneten Aufstand. Nach zwei in Peru erschienenen Gedichtbänden, die von Kritikern und Schriftstellerkollegen hochgelobt worden waren, aber auch heftige Diskussionen ausgelöst hatten, hoffte der 31-Jährige auf bessere Zeiten in Europa.

Doch wie viele Künstlerkollegen der Ära hatte der melancholische Mestize, dessen Großmütter Indios vom Stamm der Quechua und dessen Großväter Priester aus dem spanischen Galizien gewesen waren, in der französischen Metropole stets mit Geldsorgen zu kämpfen. Er arbeitete als Journalist und Korrespondent für lateinamerikanischer Zeitungen, musste jedoch ständig seinem Honorar hinterherlaufen und "Bettelbriefe" schreiben. Die über dreihundert so entstandenen Artikel setzen sich zu einem interessanten Stimmungspanorama aus dem Europa der Zwanziger Jahre zusammen - eine Auswahl davon präsentiert das Buch "Reden wir Spanisch - man hört uns zu", aus dem Martin Umbach in den radioTexten liest.

Constanze Alvarez empfiehlt César Vallejo

"Vallejo entspricht dem Archetyp des leidenden Dichters. Er hatte die Gabe, das in wirklich wunderschöne Poesie umzuwandeln."

(Constanze Alvarez im Gespräch mit Antonio Pellegrino)

Gemeinsam stellen BR-Autorin Constanze Alvarez und radioTexte-Redakteur Antonio Pellegrino den peruanischen Dichter César Vallejo vor.

Eine leidenschaftliche Vallejo-Leserin ist die Journalistin und Autorin Constanze Alvarez, die in den radioTexten den ihrer Meinung nach zu Unrecht hierzulande noch unbekannt gebliebenen Dichter näher vorstellt. Bereits in den 1960er Jahren hatte Hans Magnus Enzensberger Vallejos Poesie für sich entdeckt, übersetzte die Gedichte ins Deutsche, brachte eine Anthologie heraus und äußerte sich begeistert über die "unerhörte" Sprache des jungen Poeten, über dessen "chaotische Kraft". Doch auch die journalistischen Arbeiten Vallejos offenbaren seine Genre sprengenden Talente. Seinen etwas anderen, fremden, auch pessimistisch und zynischen Blick auf Paris und die Moderne bündelt der Schriftsteller zu einem federleichten und gänzlich unbetagt wirkenden Stil. Die Themen - ein wildes Gewirr der tagesaktuellen Geschehnisse: Vallejo witzelt über die fragwürdige Entwicklung des "modernen, schnellen, anspielungsreichen und kinohaften Pariser Journalismus", der zu einem "populistischen Orakel" verkomme.

"Zwei Menschen betrachten ein Gemälde - wer sich zuerst ergriffen zeigt, ist der modernere."

(César Vallejo, 1925)

Er betrachtet ironisch das Gebot der Schnelligkeit als Kennzeichen der Moderne, erzählt aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz mit Jean Cocteau oder Pablo Picasso. Oder er stellt seine Heimat in Beziehung zu der in Paris brisanten Diskussion um Orient und Okzident: Peru, bzw. ganz Lateinamerika werde in dieser Debatte stets vergessen. Im nächsten Artikel wiederum muss man laut lachen bei seinen treffenden Worten über einen absurden Zirkusbesuch in Berlin im Jahre 1929.

Reise ohne Wiederkehr

Vallejo, der im Laufe der Jahre kreuz und quer durch Europa reiste und der nie wieder nach Peru zurückkehren sollte, war ein scharfer Beobachter von für ihn fremden und seltsamen Menschen und Ereignissen. Und ein Dichter, dem ein Gespür für Wahnwitz und Fantastik einen ganz neuen Blick auf überraschend aktuell und vertraut wirkende europäische Themen erlaubt.

"Ich werde sterben in Paris, mit Wolkenbrüchen, 
schon heut erinnre ich mich jenes Tages. 
Ich werde sterben in Paris, warum auch nicht, 
an einem Donnerstag vielleicht, wie heut, im Herbst."

(Auszug aus Schwarzer Stein auf weißem Stein von César Vallejo)

Der Mann aus den Anden sollte Recht behalten - und auch wieder nicht. César Vallejos Leben fand tatsächlich in der Stadt an der Seine sein Ende, jedoch an einem Karfreitag im Jahr 1938 - vor Hunger, wird vermutet, vielleicht auch an Malaria. Der Autor mit „chaotischer Kraft“ und „grenzenlosem Pessimismus“, wie sein Übersetzer Hans Magnus Enzensberger über ihn schrieb, wurde auf dem Friedhof Montparnasse in Paris beerdigt. Die Grabrede hielt Louis Aragon

Martin Umbach liest César Vallejo

Martin Umbach liest aus César Vallejos journalistischen Werken.

Martin Umbach liest ausgewählte „Berichte aus Europa 1923-1930“ - so der Untertitel des Buchs „Reden wir Spanisch - man hört uns zu“, übersetzt von Peter Kultzen, erschienen im Berenberg Verlag. 

Zu Gast im Studio: Constanze Alvarez

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Podcast verfügbar


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