Bayern 2 - radioTexte


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Anna Drexler liest Bernardine Evaristo: Blondes Herz

Die britische Schriftstellerin verkehrt historische Tatsachen, um die Geschichte vom Sklavenhandel zu erzählen. Weiß ist schwarz, Versklavte sind Sklavenhalter. Hat Spaß gemacht, überrascht Bernardine Evaristo im Gespräch. Anna Drexler liest.

Stand: 04.06.2025 | Archiv

Schriftstellerin Bernardine Evaristo | Bild: Picture alliance / Montage: BR

"Europa – dieser Name floss jedem Seemann, Abenteurer und Kaufmann von den Lippen, der davon träumte, durch den Handel mit Sklaven Reichtümer anzuhäufen. Und doch wagten sich nur die Tapfersten und Abgebrühtesten an seine sturmumtosten Küsten, denn wenn man nicht dem Husten, Röcheln und Schniefen der tödlichen Grippe zum Opfer fiel, dann mit Sicherheit den wilden Eingeborenen."

(Aus: „Blondes Herz“ von Bernardine Evaristo)

Literarische Grenzgängerin

Kaum jemand probiert so viel aus, geht so sehr an Grenzen, wagt so viel im Schreiben wie Bernardine Evaristo. 2019 hat die britische Schriftstellerin dafür völlig zurecht den Booker Prize bekommen, damals für ihren Roman Girl, Woman, Other. Jetzt erscheint in deutscher Übersetzung ein satirischer Roman, den die Autorin im Original schon 2008 veröffentlicht hat: Blondes Herz.

Eine kontrafaktische Welt: Afrika als Kolonialmacht

In Blondes Herz erzählt Evaristo vom transatlantischen Sklavenhandel – jedoch mit einem radikalen Perspektivwechsel. Nur hält sie sich nicht an die Tatsachen, sondern stellt Geschichte und Geografie auf den Kopf. Afrika und Europa haben ihre Plätze getauscht und Afrikaner ziehen los, um in Europa Millionen von Menschen zu versklaven.

Satire mit Tiefgang

„Der Roman ist Satire“, erzählt die Booker-Preisträgerin im Gespräch. „Er behandelt ein offensichtlich ernstes Thema, aber er nutzt Humor, um einen frischen Blick darauf zu werfen.“ Evaristo erzählt aus zwei Perspektiven, gibt einer Versklavten und einem Sklavenhalter eine literarische Stimme und schafft es, beide in ihrer Menschlichkeit zu zeigen. Der Täter wird nicht zur Karikatur, das Opfer nicht zur einfach nur Leidenden. „Die Menschen haben überlebt, trotz Hunderten von Jahren des Sklavenhandels“, sagt Evaristo dazu. „Sie haben gelebt, so gut sie es konnten – als vollwertige, wenn auch nicht freie Menschen. Und davon wollte ich erzählen: von dem Grauen, aber auch der Freude, die immer da ist, weil Menschen Überlebensstrategien finden.“

Lesung und Podcast

Der Roman„Blondes Herz ist im Tropen-Verlag erschienen, in der Übersetzung von Tanja Handels. Für den Bayern 2-Podcast „Buchgefühl. Lesung und Gespräch“ hat die Schauspielerin Anna Drexler, Ensemble-Mitglied am Münchner Residenztheater, aus der kontrafaktischen Geschichte über den Sklavenhandel gelesen. Dank der freundlichen Genehmigung es Verlages können wir die Lesung im Podcast „Buchgefühl“ vorstellen, zu finden in der ARD Audiothek. Moderation: Marie Schoeß, Redaktion: Niels Beintker.


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