Bayern 2 - radioSpitzen


4

Fußball-EM 2016 Eine Einschätzung von Mathias Tretter

Der Kabarettist Mathias Tretter hat die EM 2016 bis jetzt genauestens erforscht und gibt seine Einschätzung ab. Für Deutschland drückt er dennoch die Daumen ...

Stand: 07.07.2016

Mathias Tretter | Bild: Inka Meyer/BR

Ohne Analyse nicht mehr zu verstehen

Jeder sozial unauffällige Mensch schaut um diese Zeit EM-Fußball. Vorberichterstattung, Nachberichterstattung, den Zwischenbericht zur Vorberichterstattung der Nachberichterstattung –  und natürlich - ganz wichtig - die Analyse. Ein EM-Spiel ist ja für viele Zuschauer ohne Analyse eigentlich gar nicht mehr zu verstehen - vor allem nicht, wenn sie in der Schlussphase schon fünf Bier im Schädel hatten. Es gab mal eine Zeit, da war Abseits das größte intellektuelle Problem des Fußballs, heute scheitert der Großteil schon am Verständnis einer Flanke. Stellt sich die Frage: „Ist das Spiel so komplex geworden, oder die Bevölkerung so dumm?"

Doppelpass begreifen ohne Computeranimation?

Nun, was die Komplexität angeht, Fußball wird immer noch von Menschen wie Lukas Podolski gespielt und Menschen wie Tim Wiese kommentiert, also schauen wir uns lieber die Bevölkerung an. Und unter der gibt’s eine Menge Leute, die auch nihct mehr ohne GPS auch nicht mehr nachhause finden. Wie sollen die einen Doppelpass begreifen, ohne Computeranimation? Deshalb haben wir ja die so genannten Apps – um das Einfachste so zu verkomplizieren, dass wir es ohne sie nicht mehr können.

Fußball lesen

Die echten 'digital natives' hängen ja sowieso nur noch vor dem Live-Ticker, der surrealsten Erfindung seit dem EU-Beitritt Bulgariens. Fußball gucken ist so Neunziger. Die Nerds stellen sich einen Kasten Club-Mate neben den Laptop, dazu ein paar Tüten Süßkartoffelchips – und dann ist Fußball lesen.

Fan der Russland-Fans

Ich selber bin ja auch Fan und muss mitkriegen, was meine Jungs so treiben. Bei jedem Turnier suche ich mir jemand anderen aus, den ich unterstütze; und dieses Jahr ist’s zum ersten Mal keine Mannschaft. Nein, heuer bin ich Fan der Fans, und zwar derer Russlands. Die Hooligans von Marseille machen mir nach langem ein bisschen Hoffnung: Vielleicht kehrt ja die Männlichkeit doch zurück in den Fußball, und wenn's nur am Spielfeldrand ist.

Schaulaufen auf dem Rasen

"Auf dem Rasen ist ja nur noch Schaulaufen. Nationalspieler gehen heute vor dem Spiel nicht mehr in die Umkleide, sondern in die Maske. Strähnchen, Haarwachs, Tattoos, verschiedenfarbige Schuhe, Mikrofaser-Shirts, bei denen man so schön die Nippelchen sieht, hier ein Freundschaftsbändchen, da ein Diamant - und so laufen die dann ins Stadion ein. Und man sitzt vor dem Fernseher und muss erstmal googeln: Ist das das Vorrunden-Spiel oder der Christopher Street Day?"

Mathias Tretter

Immer dieses Geflenne

Früher sahen Fußballer einfach aus wie dumme Jungs; heute wie Models. Also noch dümmer. Mit einer Puderquaste wie Ronaldo hätte Horst Hrubesch früher den Torpfosten gewischt. Und zwar nass. Denn der heult ja immer. Überhaupt, dieses Geflenne! Ich weiß nicht, man kommt doch irgendwann in ein Alter, in dem man nicht mehr heult, wenn man bei einem Spiel verliert. Da beißt man die Zähne zusammen – wenn einen die Eltern abholen!

Gottseidank die Russen

"Aber nun gibt’s ja Gottseidank die Russen. Männer, die noch hässlich sind wie nur Männer."

Mathias Tretter

Der Moskauer Voll-Hool Alexander Schprygin, seines Zeichens Vorsitzender des Dachverbands russischer Fußballfans – klingt erstmal komisch, aber wenn man kurz drüber nachdenkt: Leute, die einen akuten Dachschaden haben, brauchen natürlich einen Dachverband – jedenfalls hat Schprygi-Boy jüngst gesagt, er will im russischen Team nur noch slawische Gesichter sehen. Richtig so! Nur wenn alle scheiße aussehen, ist endlich wieder echter Fußball. Und sich auch so anhören. Den Prügelslawen wird ja Rassismus vorgeworfen, weil sie auf den Rängen mitunter Affenlaute ausstoßen – mein Gott, so sprechen Paviane eben.

Bolzplatzgesicht erster Kajüte

Das Schöne ist, dass in Russland das Testosterongehabe bis in die hohe Politik reicht. Igor Lebedew, Vizepräsident der Duma und selbst ein Bolzplatzgesicht erster Kajüte, hat die Randalierer ausdrücklich gelobt - Zitat: "Gut gemacht, Jungs! Weiter so." Alex Schprygin arbeitet als sein parlamentarischer Mitarbeiter. Da wird das Personal noch mit dem Schwanz ausgesucht. Bei uns ginge das gar nicht – Parlamentsvize ist Claudia Roth ...

Fest der Männlichkeit

Umso verständlicher ist es, dass viele den Kreml selber hinter den Krawallen vermuten. Russische Kombattanten in Jogginghosen, das kennen wir schon aus der Ostukraine. Und Putin muss schließlich üben, für die WM im eigenen Land. Das wird ein Fest der Männlichkeit! Eröffnung ist am 14. Juni 2018, im neu erbauten russischen Nationalstadion in Warschau."


4