Bayern 2 - Notizbuch


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Freihandelsabkommen TTIP Zoff um Zölle, Chlorhühner und Sondergerichte

Es ist das wichtigste politische Projekt seit langem, doch verhandelt wird hinter verschlossenen Türen. Befürworter versprechen Wirtschaftswachstum, Gegner warnen vor einer Selbstauslieferung der Demokratie an Konzerne. Was steckt dahinter?

Von: Michael Kubitza

Stand: 29.10.2014 | Archiv

Illustration: Wirbelnde Pfeile über dem Atlantik zwischen USA und Europa | Bild: Montage: BR

Seit vier Verhandlungsrunden wird in Brüssel und Washington gefeilscht. Noch ist nicht sicher, was genau drinsteht. Doch schon jetzt ist klar: Sollte das Freihandelsabkommen (TTIP) kommen, könnte es unseren Alltag stärker bestimmen als jedes andere Abkommen der letzten Jahre. "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) verspricht das Projekt, und es könnte darüber entscheiden, ob demnächst geklonte oder gentechnisch veränderte Nahrungsmittel im Kühlregal liegen, welche Chance Bürgerinitiativen bleiben, künftige Großprojekte zu stoppen, ob europäische Autofahrer demnächst rot blinken und wie lange die Buchhandlung am Eck noch existiert.

Sicher ist: Hat der Bundestag das künftige Abkommen einmal abgesegnet, gibt es kein zurück mehr. Als Vertragspartner tritt dann der EU-Kommissar auf - Deutschland allein kann nicht kündigen.

Was die Verfechter sich erhoffen

Die Idee hinter TTIP: Einen im Völkerrecht verankerten gemeinsamen 800-Millionen-Markt mit gleichen Startbedingungen für alle zu schaffen. Anders als der Name andeutet, geht es nicht primär um Zollbestimmungen, sondern um "nichttarifliche Handelshemmnisse" - zum Beispiel doppelte Zulassungstests, aber auch Finanzmarktregeln, Verbraucherschutzstandards, Arbeitnehmerrechte. Von ihrer "Harmonisierung" verspricht sich EU-Handelskommissar Karel de Gucht "hunderttausende neue Arbeitsplätze" - freilich ohne diese Prognose genauer zu begründen.

Was Kritiker befürchten

Gegner des Abkommens kritisieren, dass unter strengster Geheimhaltung vor allem Vertreter von Industrie und Banken verhandeln. Sie befürchten eine "Revolution gegen die Bürger" durch die Entmachtung von Politik und Justiz in den Nationalstaaten.

Hauptkritikpunkt: Im Konfliktfall - etwa bei Themen wie Fracking, Gentechnologie und Lebensmittelrecht - sollen künftig Schiedsgerichte entscheiden, deren Urteil über der nationalen Gesetzgebung läge. Über diese "Investorenschutzklausel" ist aber noch nicht endgültig entschieden.

Galerie: wer am Verhandlungstisch sitzt - und wer nicht

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Was die Europawahlkandidaten über TTIP denken

FDP dafür, Grüne, Linke und AfD dagegen, Union gespalten, SPD unentschlossen: Das Meinungsbild unter den Kandidaten für die Europawahl ist diffus. Der Bund Umwelt- und Naturschutz hat eine Umfrage gestartet. Erste Antworten - und ein Frageformular für Ihren Kandidaten.

Was Brüssel und Washington jetzt vorhaben

Nach dem Ende der fünften Verhandlungsrunde in Arlington, Virginia, ist für kurze Zeit Ruhe zwischen den Stürmen. US-Unterhändler Dan Mullaney bemühte sich, zumindest die Bedenken der Verbraucherschützer zu zerstreuen. Niemand fordere, "dass Europäer irgendetwas essen, was sie nicht essen wollen - darum geht es bei diesem Abkommen auch nicht". Die nächste Gesprächsrunde ist für Juli geplant.

Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte die Verhandlungen "im Lauf des nächsten Jahres" abgeschlossen sehen - 2016 stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an. Die Lage in der Ukraine könnte die Verhandlungspartner näher zueinander bringen. Doch die Stimmung in Brüssel ist zunehmend skeptisch. In Deutschland sorgte ein Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (s. Link unten) für Aufsehen, demzufolge EU-Handelskommissar Karel de Gucht die nationalen Parlamente von der Entscheidung über TTIP ausschließen will.

Auch im US-Kongress, wo parallel zu TTIP noch über ein transpazifisches Abkommen (TTP) diskutiert wird, wächst der Unmut darüber, ein hochkomplexes Gesamtpaket am Ende nur noch absegnen oder ablehnen zu können. Einig sind sich EU-Bürger und US-Amerikaner - in der Ablehnung des Abkommens. Einer Umfrage des PEW-Instituts lehnt eine Mehrheit auf beiden Seiten des Atlantiks zentrale Forderungen wie die Abschaffung von Zöllen und Investitionsschranken ab. Lediglich die Angleichung der Standards findet in den USA eine Mehrheit.

Mehr zum Thema im Netz: Die Macher und Befürworter von TTIP

Die EU-Kommission informiert über den Stand der Verhandlungen. Die US-Regierung protokolliert unter anderem eine Pressekonferenz zur dritten Verhandlungsrunde. Die IHK Bayern erklärt, was sie sich von TTIP verspricht.

Mehr zum Thema im Netz: TTIP in der Kritik

Die Grünen haben Teile der geheimen Verhandlungsprotokolle ins Netz gestellt. SZ und Zeit durchleuchten die rechtlichen Hintergründen von TTIP. Campact organisiert die größte von mehreren Unterschriftenaktionen gegen das Freihandelsabkommen.


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