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Tiere und Therapie Tiere helfen heilen

Sie helfen körperbehinderten Kindern, psychisch kranken Menschen oder von Demenz Betroffenen: Tiere werden immer häufiger als Co-Therapeuten eingesetzt. Stolperstein hat ganz verschiedene Projekte für junge wie alte Patienten mit unterschiedlichen Tieren begleitet. Eines ist allen gemeinsam: Die Wirkung ist oft erstaunlich. Und wenn es nur ein Lächeln ist, das kurzzeitig das Leiden vergessen lässt.

Von: Tom Fleckenstein

Stand: 15.06.2022

Tiere helfen in der Therapie: Von kleinen Bienen, über Hunde, Pferde, Kaninchen bis zu ausgewachsenen Alpacas. Die Bandbreite ist groß. Doch was steckt genau dahinter? Welches Tier wird bei welcher Therapie eingesetzt? Und wo sind die Grenzen?

Monis kleine Farm

Hühner, Schafe, Kaninchen, Meerschweinchen, Alpacas. Insgesamt 35 verschiedene Tiere leben auf der Farm von Monika Posmik in Garching bei München. Sie kennt jedes Tier beim Namen und ist ausgebildete Fachkraft für tiergestützte Therapie.

"Tiere sind keine Allheilmittel, aber sie können Lebensfreude schenken, von Schmerz und Einsamkeit ablenken und so zum Seelenheil beitragen."

Monika Posmik, Fachkraft für tiergestützte Therapie

Tiere besuchen Schulen und Altenheime

Mit ihren „Mitarbeitern“ besucht sie Kindertagesstätten, Schulen, Kliniken und Altenheime. Die Bewohner im Seniorenheim Garching freuen sich jeden Dienstag auf die willkommene Abwechslung. Dann verwandelt sich das Pflegeheim in einen kleinen Bauernhof. Das weckt alte Erinnerungen. Die zumeist über 80jährigen Heimbewohner werden in der Regel gepflegt. Doch jetzt können sie sich einmal um ein anderes Lebewesen kümmern, indem sie es füttern und streicheln. Viele reden dann auch laut mit den Tieren, die mehr sind als ein mobiler Streichelzoo.

Tiergestützte Therapie: den Alltag hinter sich lassen

Regelmäßig kommen auch behinderte und nichtbehinderte Kinder und deren Familien auf Monis kleine Farm. Sie können gemeinsam einen schönen Nachmittag mit den Tieren verbringen und den Alltag hinter sich lassen. Kinder mit Muskelschwund etwa, die im Rollstuhl sitzen, sind mächtig stolz, ein  Alpaca hinter sich herzuziehen. Anderer Kinder, die oft im Schatten ihrer behinderten Geschwister stehen, weil die einfach mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, blühen auf. Eltern mit einem gemeinsamen Schicksal können sich austauschen und merken, dass sie mit ihrem Los nicht alleine sind.

"Es ist wichtig zu sehen, dass es ganz normal ist, dass wir alle verschieden sind."

Monika Posmik, Fachkraft für tiergestützte Therapie

Finanziert wird dieses vorbildliche inklusive Projekt vom Verein „Luzia Sonnenkinder“ aus Oberschleißheim. Das ehrenamtliche Engagement wurde vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer ausgezeichnet.

Das Problem bei der Tiertherapie: Es gibt noch keine standardisierte staatlich geprüfte Ausbildung. Der Beruf ist nicht geschützt. Jeder kann sich theoretisch Tiertherapeut nennen. Doch der „Berufsverband tiergestützte Therapie“, in dem Monika Posmik Mitglied ist, arbeitet daran, dass es in Zukunft offizielle Richtlinien gibt.

Kontakt

Bundesverband Tiergestützte Intervention e.V.
info@tiergestuetzte.org
Postadresse:
Anne Gelhardt
Unterstr.3
41516 Grevenbroich

Pferde und Hunde helfen heilen

In atemberaubender Kulisse zu Füßen der Chiemgauer Berge liegt die Pferdekoppel. Martina Schaudeck, Physiotherapeutin in der Schön-Klinik, bietet hier einmal pro Woche Reittherapie an. Der Schwarzwälder Kaltblut Wallach „Merlin“ ist ein besonders gutmütiges Pferd. Über eine Rampe steigt Leo auf. Der Junge hatte einen Schlaganfall und danach war seine rechte Seite gelähmt.

"In der normalen Physiotherapie ist es schwerer, ihn zu motivieren. Doch auf dem Pferd bewegt er sich viel mehr und hat große Fortschritte gemacht."

Martina Schaudeck, Physiotherapeutin, Schön Klinik Vogatreuth

Hippotherapie zeigt positive Wirkungen bei Spastiken und Gleichgewichtsproblemen. Das hat eine Studie der Uni Jena bewiesen. Auch Martina Schaudeck kann das nach 20jähriger Erfahrung bestätigen.

Hippotherapie: Keine Kassenleistung

Doch in der Regel wird dieses Therapie mit Tieren von den Kassen nicht bezahlt, weil es noch nicht ausreichend wissenschaftliche Belege gebe. Und so finanziert eine ehrenamtliche Elterninitiative auch in Vogtareuth die Tiertherapie mit. Der Verein „Silberstreifen“ hat nicht nur das Pferd gekauft, er vermittelt auch Wohnungen für Eltern behinderter Kinder in der Klinik und unterstützt auch die Therapie mit Hunden. 

Erfolgreicher Co-Therapeut: Schäfermischling „Jake“

Jeden Freitag sind der Schäfermischling „Jake“ und Martina Schaudeck in der Schön-Klinik im Einsatz. Vor allem bei Kindern im Wachkoma. Sie haben die Augen auf, sind aber nicht bei Bewusstsein. Über Blicke, Geräusche oder Körperkontakt kommunizieren die Hunde. Die Kinder entspannen sich, verfolgen den Hund mit den Augen. Manche können bald wieder laufen.

"Wir versuchen den Faden zum Bewusstsein zu spinnen."

Martina Schaudeck, Physiotherapeutin und Hundeführerin, Schön Klinik Vogatreuth

Mit Erfolg: In der Klinik wurden in den letzten 12 Jahren hunderte Kinder mit schweren neurologischen Schäden behandelt. Auch Professor Dr. Gerhard Kluger, der die Therapie mit Hunden wissenschaftlich von der Uni Basel begleiten und auswerten lässt, betont das. Seine schon jetzt erfolgreiche Bilanz:

"Die Tiere sind ein wichtiger Motivator und Baustein auf dem Weg der Genesung. In über 90 Prozent der Fälle konnten wir unsere Therapieziele erreichen."

Professor Dr. med. Gerhard Kluger, Schön Klinik Vogtareuth

Die Einrichtung in Vogtareuth ist die größte Klinik für neurologische Erkrankungen von Kindern in Europa.    

Mit Bienen zurück ins zivile Leben

Ganz andere Patienten und Tiere spannt die forensische Klinik im niederbayerischen Mainkofen zusammen. Hier in der Nähe von Deggendorf sind psychisch kranke Straftäter untergebracht. Viele waren drogensüchtig und finanzierten ihre Sucht mit Straftaten wie Drogendealen. Jetzt sind sie zu „Therapie statt Strafe“ verurteilt. Das wichtigste Ziel ist die Reintegration in die Gesellschaft.

Die Sozialpädagogin Silke Lederbogen hatte dafür eine Idee, als ein Imker aus der Gegend über Nachwuchsmangel klagte: Warum eigentlich nicht Bienenzüchten? Die Patienten könnten so Anschluß in einem Imkerverein finden. Der Fachberater für Bienenzucht Erhard Härtl aus Deggendorf, sowie der erfahrene Imker Sepp Hasenöhrl aus Plattling konnten für das ungewöhnliche Projekt gewonnen werden. Und so kümmern sich die Patienten, deren Leben sich jahrelang nur noch um Drogen drehte, jetzt um ein Bienenvolk. Sie lernen dabei viel über sich selbst. Denn nur wer ruhig und ausgeglichen ist, wird nicht gestochen. 20 Kilo Honig haben sie dieses Jahr geerntet und jede Menge Selbstbewusstsein.

Spaziergänge mit Alpacas

Doch dank Silke Lederbogen kommen die „schweren Jungs mit viel auf dem Kerbholz“ noch mit ganz anderen Tieren in Kontakt: Alpacas. Die aus Südamerika stammenden Kamele sind wegen ihrer weichen Wolle natürlich zum Kuscheln geeignet. Doch andererseits sind es auch Fluchttiere. Zuerst müssen die Patienten die Tiere einfangen, dann halftern und mit ihnen spazierengehen. Später müssen sie mit den Tieren auch einen Parcour absolvieren und herausfinden, wer jetzt der Chef, das Leittier in der Gruppe ist. Hier ist auch Teamarbeit gefragt.

Kontakt


Erhard Härtl, Fachberater für Bienenzucht in Niederbayern,
Bay. Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau,
Graflinger Str. 81, 94469 Deggendorf.
Tel.: 0991/208-159 oder 0991/208-143;  Fax.: 0991/208-191.
Internet: www.lwg.bayern.de / Bienen;
E-Mail:  erhard.haertl@lwg.bayern.de

Tiere und Therpaie: Was sagt die Wissenschaft?

Kinderärztin Dr. Anke Prothmann hat an der Uni-Klinik rechts der Isar in München tiergestützte Therapien wissenschaftlich untersucht. Ihr Fazit:

"Tiergestützte Therapien halten verstärkt Einzug in die westliche Medizin. Das Interesse am therapeutischen oder pädagogischen Einsatz von Tieren ist in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten immens gestiegen. Aus sporadischen Besuchsdiensten in Senioren-, Pflege- und Kinderheimen, aber auch an Schulen oder Kindertagesstätten sind mittlerweile reguläre und vielfach sehr beliebte Angebote des therapeutischen oder pädagogischen Alltags geworden. Der Bedarf ist immer noch nicht gedeckt, wie die häufigen Anfragen vieler Einrichtungen, die Besuchsdienste etablieren möchten, zeigen. Diesem ungebrochenen Interesse seitens der Bevölkerung steht ein deutlicher Mangel an wissenschaftlicher Forschung speziell in Deutschland gegenüber."

Dr. med. Anke Prothmann, Kinderärztin, Gröbenzell

Weitere Erkenntnisse aus Studien:

  • Heimtierbesitzer gehen seltener zum Arzt
  • Besuchshunde lindern postoperative Schmerzen und emotionalen Stress
  • Tiergestützte Interventionen verändern die Atmosphäre zwischen Patient/Klient und Arzt/Therapeut nachhaltig und erleichtern das psychotherapeutische Arbeiten

 


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