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Gentrifizierung in Bayern Occupy, don't gentrify!

Deine Boazn weicht der Szenebar? Der Döner am Eck einem Bioladen? Dein Nachbar trägt Anzug statt Blaumann? Kein Zweifel, du sitzt in der Gentrifizierungsfalle! Wir erklären, was das ist, und wie du wieder rauskommst.

Von: Johannes Dobroschke

Stand: 21.10.2011 | Archiv

Occupy, don't gentrify! | Bild: Aktionsgruppe Untergiesing

Um gegen die Gentrifizierung vorgehen zu können, muss man wissen, wie es dazu kommt. Im Prinzip ist es ganz einfach: Man nehme ein zentrales, aber günstiges Stadtviertel, füge ein paar Studenten und Kreative hinzu, lasse das Ganze ein paar Jahre gären, und schon kommen die Immobilienhaie mit ihren Luxussanierungen, die die Mietpreise in die Höhe treiben und damit alle an den Rand der Stadt drängen, die es sich nicht leisten können.

In der Realität ist das Ganze aber etwas komplexer, deshalb hier nochmal Schritt für Schritt am Beispiel München:

Schritt 1: Das richtige Viertel

Das richtige Viertel muss zwei Dinge erfüllen: günstige Preise und günstige Lage. Billige Mieten gibt es vor allem in Gebieten mit abgewirtschafteten Häusern, in Arbeitervierteln, Migrantenvierteln. Oder eben dort, wo es viel Freiraum gibt, weil beispielsweise eine Industrieanlage stillgelegt wurde. Gute Lage bedeutet, das Viertel liegt nahe am Stadtzentrum oder an einem Subzentrum. Durch eine neue U-Bahn können aber auch entlegenere Viertel näher ans Zentrum rücken. Ein Beispiel dafür ist Untergiesing mit seiner Lage an der Isar, den moderaten Mieten und der bunt gemischten Bevölkerungsstruktur.

Schritt 2: Die richtigen Leute

Als nächstes kommen die Zuagroasten: Studenten, Kreative oder die homosexuelle Szene. Niedrige Mieten und der große Freiraum locken, gleichzeitig darf die Gegend aber nicht zu gefährlich oder dreckig sein. Wenn alles passt, beginnen sich die neuen Bewohner im Viertel mit allem einzurichten, was sie zur Selbstverwirklichung brauchen: Bars, Ateliers, Galerien, Clubs, Secondhand-Geschäfte, Hinterhoftheater. Die ursprünglichen Geschäfte und Betriebe weichen. Im Münchner Westend rund um den Hauptbahnhof ist dieser Prozess in vollem Gange, im Glockenbachviertel ist man schon einen Schritt weiter.

Schritt 3: Die richtige Entwicklung

Mit der Zeit werden die armen, kreativen Hipster älter und mutieren zu jungen hippen Eltern, Designern, Unternehmern oder Gastronomen. Sie haben mehr Verantwortung, aber auch mehr Geld. Sie beziehen schicke Büros und Läden, kaufen beim Bioladen ein und essen abends beim Veganer. Noch mehr alte Geschäfte verschwinden, mit ihnen auch immer mehr Alteingesessene. Das Straßenbild ist längst bunter, die Lebensqualität höher. Vom ursprünglichen Viertel ist nicht viel übrig. Der Aufwertungsprozess ist im vollen Gange.

Schritt 4: Die falschen Leute

Und wieder kommen neue Leute ins Viertel, sie werden aber nicht von den billigen Mieten angelockt, sondern ganz im Gegenteil: Sie wittern das Geld. Das Viertel hat eine super Lage, bietet mittlerweile eine hohe Lebensqualität und vor allem haben seine Bewohner eine hohe Kaufkraft. Da lässt sich was draus machen! Immobilienfirmen kaufen ganze Blocks auf, sanieren sie bis zur Seelenlosigkeit und verkaufen die Wohnungen für Millionen. Schicke Modemarken eröffnen Filialen, edle Restaurants verdrängen die letzten Kneipen, es reiht sich Galerie an Galerie. In vielen Vierteln ist dieser Prozess längst abgeschlossen, in München zum Beispiel in Teilen Schwabings oder im Lehel.

Schritt 5: Die richtige Antwort

Nicht nur München hat mit der Gentrifizierung zu kämpfen, ähnliche Dinge passieren in fast allen größeren Städten, überall auf der Welt. Die Bemühungen, diesen Prozess zu stoppen sehen ganz unterschiedlich aus: In Berlin und Hamburg werden immer wieder Häuser besetzt, um sie vor den Reißzähnen der Immobilienhaie zu bewahren. Die Hedonistische Internationale stört in Berlin regelmäßig Wohnungsbesichtigungen, indem ein Trupp Nackter durch die Räume läuft.

So schafft man Aufmerksamkeit für das Problem, löst es jedoch nicht. Auch in München macht man sich Gedanken. Die Arbeitsgruppe Untergiesing etwa appelliert an die Stadtverwaltung, aktiver gegen Luxussanierungen und Mietwucher vorzugehen. Die Stadt besitzt einige zehntausend Wohnungen, in denen die Mieten moderat bleiben sollen, außerdem kann sie in bestimmten Fällen ein Vorkaufsrecht anwenden, um Wohnhäuser dem freien Markt zu entziehen.

Maximilian Heisler ist Student und engagiert sich in der Aktionsgruppe Untergiesing. Er hat uns mal gezeigt, was in seinem Viertel vor sich geht und was man dagegen tun kann.


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