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Bühnen, Corona und das Netz Warum ich an das Theater glaube

Liebhaber*innen des Theaters haben es gerade schwer. Der Spielbetrieb ist gefährdet, weil im Zuschauerraum die Angst sitzt. Die BR-Theaterspezialistin Stephanie Metzger gibt aber ihre Version eines "Theaterfiebertraums" nicht auf.

Von: Stephanie Metzger

Stand: 16.10.2020 | Archiv

Franziska Hackl (Marie) im Scheinwerferlicht allein auf der Bühne | Bild: Sandra Then

Manchmal stelle ich mir die Theaterbühne als einen großen schwarzen Schlund vor. Das Bühnenportal ein aufgerissenes Maul, das alles hineinlässt, was ihm zum Fraß vorgesetzt wird. Gefährlich oder aggressiv ist dieses Wesen nicht. Eher hedonistisch und exzessiv. Neugierig auf alles, was da ankommt an Stücken und Stoffen, Spielenden und Tanzenden, Farben und Klängen, Bildern und Netzverbindungen. Sogar auf ein Virus. Leisten kann sich dieses hungrige Theatertier seine Offenheit, weil es immun ist. Es muss keine Angst haben vor dem Selbstverlust durch mediale Parasiten. Oder vor denen, die auf ihm herumtrampeln. Und schon gar nicht vor dem Internet. Auch nicht vor einem Virus. Denn ihrem Wesen nach bietet eine Theaterbühne all dem, nun ja, eine Bühne. Darin ist sie sich treu.

Theater hält auch Corona aus

Obwohl ich diese Vorstellung, man könnte auch sagen: dieses Vertrauen habe, war ich gerührt und erleichtert, als bei einem der ersten Corona-Projekte des Münchner Residenztheaters die Schauspielerin Barbara Melzl einsam auf der großen Bühne stand und trotzig behauptete: "Dieser Raum hält alles aus!" Auch das Virus. Letzteres sagte sie nicht, sondern dachte ich mir dazu. Und die kurzen Szenen, gespielt vor und nach diesem Plädoyer, waren wie Beweise meines Glaubens an die theatrale Unverwundbarkeit. Verifizierung der Immunität einer Bühne.

Und sie waren nur Beginn des Erfindungsreichtums der Theater, die in diesen Tagen vielerorts in ihre erste Corona-Spielzeit starten und zeigen, was unter Einhaltung der neuen Spielregeln alles geht. Sei es in Schutzkleidung, Plastiksäcken, Glaskästen oder über weite Distanzen. Die Lust an der Erforschung einer Corona-Ästhetik, die auch nur dem Grundsatz der Prä-Corona-Ästhetik treu bleibt: Spiegel der Welt zu sein, Bretter, die die Welt bedeuten. In ihr gibt es nun mal das Virus. Und das Internet. Das wissen jetzt auch die Theater.

Zwischennutzung Internet

Vor der Wiedereröffnung der Spielstätten wurde das Netz der Ort, den Häuser und Künstler*innen als neue Bühne erkundet haben. Site Specific Theatre (ortsbezogene Bühnen also), das aber nicht selten erkennen musste, dass zwar das Internet in den großen Schlund der analogen Bühne passt, ohne dass die sich verliert; dass Theater deswegen aber nicht zwingend in den noch größeren Schlund des Internet passt, ohne sich zu verlieren. Was nicht schlimm ist, wenn Theater Selbstlosigkeit übt und seine Neugier behält. Auf eine virtuelle Bühne nämlich, die andere Spielweisen fordert, andere Dramaturgien, andere Tempi und andere Technik.

Das einmal begriffen, konnte die Zwischennutzung Internet ziemlich gut gelingen. Wenn ausgefeilter Sound Atmosphäre schuf, Blicke von einem Zoom-Fenster zum anderen virtuos choreographiert waren oder das Spiel sich gekonnt auf Einwürfe der User einließ. Vielleicht mehr Medienkunst als Theater, aber immerhin. Es konnte aber auch ziemlich grandios scheitern – wenn Szenen zu langatmig waren, Anschlüsse verrutschten, Einspielungen auf sich warten lassen. Theater war das vielleicht, aber im falschen Medium. Wobei die Idee von falsch und richtig, auch die von der Zwischennutzung zu kurz greifen könnte. Die digitalen Experimente, mit denen Theater in der Wunschvorstellung endlich viral gehen wollten, könnten ja im Idealfall nachwirken. Wenn das große Theatermaul zuschnappt, hat es sich durch sie neue Räume erobert, neue Ästhetiken, neue Formen der Kommunikation und vielleicht sogar neue Zuschauende.

Funktioniert Theater ohne Zuschauer vor Ort?

Vielleicht ist damit die eigentliche Achillesferse eines immun geglaubten Theaters benannt. So sehr die Bühne alles verkraften mag, so sehr ist Theater eben auch soziale Situation: sprich Zuschauerraum. Ganz abgesehen davon, dass hier auch ökonomische Dimensionen lauern, sind es nicht die neu gewonnene Beinfreiheit, die Eindämmung interaktiver Intermezzi oder die Wiederentdeckung körperlicher wie kritischer Distanz als neue Zuschaukunst, die das Theater durch das Virus verwundbar machen. Der Sozialraum Theater ist da verletzlich, wo geschlossene Foyers Gespräche verhindern, Gesichtsmasken die Lust darauf sowieso nehmen und Besucher*innen schnell nach Hause eilen.

Hier könnte das Virus tatsächlich zerstörerische Kraft entfalten. Wenn nicht ein anderes – das Theatervirus gegenwirkt. Und das lässt die Infizierten dann vielleicht doch streiten über das Gesehene, draußen, in der Kälte. Oder treibt sie zuhause an den Rechner, um dort digitale Foyers zu betreten, Chats mit Regisseuren zu führen und in virtuelle Gästebücher zu schreiben. Ein hoffentlich hoch infektiöser Theaterfiebertraum, zugegeben. Aber wo sollte man sonst träumen, wenn nicht im Theater?

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