Bayern 2 - Nachtmix


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Rebel Music Der Sound des Widerstands

Diese Playbackausgabe würdigt einige Rebellen in der Geschichte der Popmusik, deren Musik und Haltung bis heute nachwirken. Darunter Elvis, Jim Morrison, The Raincoats (nicht zu verwechseln mit den Cardigans!) und The Gossip.

Von: Noe Noack

Stand: 24.07.2012 | Archiv

Iggy Pop | Bild: picture-alliance/dpa

Die Bayern2 Nachtmix-Playbackausgabe würdigt einige Rebellen in der Geschichte der Popmusik, deren Musik und Haltung bis heute nachwirken.

Elvis Presley
Der Rebell mit der eindeutigen Pose als Markenzeichen, mit dem Hüftschwung wurde Elvis zum King Of Rock'n Roll. Damit codierte er ein für alle Mal Rock mit Sex und provozierte  so die konservative Oberschicht der USA. Elvis war für viele Jugendliche das erste Ventil, durch das der Frust über den Muff der 50er Jahre entweichen konnte.

Elvis Hüftschwung blieb in vielen Staaten der USA lange Zeit verboten. In Fernsehshows durfte der Jugendverführer nur hüftaufwärts gefilmt werden.

Jim Morrison
Aus heutiger Sicht betrachtet konnte es Elvis in Punkto Sex mit Jim Morrison erst in seiner „Black Leather-Phase“ ab 1968 aufnehmen. Der Lehrersohn Jim Morrison stolzierte ab 1966 als lasziver  Sänger und Poet in engen Lederhosen über die Bühnen.
Von da weg, wurde er schon mal von der Polizei wegen obszöner Gesten verhaftet.
Für seine König-Ödipus-Inszenierung während des Songs „The End“: „Father I wanna kill you! Mother I wanna fuck you“ flogen die Doors aus dem „Whisky a Go Go-club“ in L.A., während auf dem Sunset Strip die ersten Anti-Vietnam Demonstranten marschierten.

Jim Morrisons Körper- und Seelenstriptease faszinierte Massen von Teenagern und Twens, weil er mit seinen Doors die beste aller Hippie-Botschaften anzubieten hatte: Nämlich „es“ auzuprobieren und anzunehmen: Die andere Seite aller Dinge und das Fremde genussvoll zu erforschen: "Nimm einen Trip. Tu etwas Verbotenes. Verschwende Deine Jugend. Gehe über Los, ziehe Milligramm 4000 ein", so hat der Pop-Kritiker und -Gelehrte Diederich Diederichsen seinen Lieblingssong der Doors einmal treffend zusammengefasst.

Jim Morrison war der Archetyp der Underground-Kultur. Im musikalischen, sexuellen und drogengetriebenen Rausch rebellierte er gegen das verspiegelte Layrinth des menschlichen Daseins. Das "Break on through“ sollte den Durchbruch zur anderen Seite, nämlich zum anderen Menschen bringen. Die Tragik dieser Botschaft steckt in der Erkenntnis, auf der anderen Seite Dir Selbst zu begegnen. Jim Morrison riss diese Erkenntnis in einen Strudel selbstzerstörerischer Exzesse.

Iggy Pop
Gleich mit ihren ersten Konzerten und ihrem Debütalbum von 1969 sollten Iggy Pop und seine Stooges die Welt des Pop verändern. Mit roher Gewalt erschütterte der Selbsterreger Iggy mit seiner Combo die Heilsversprechungen des „American Dream“. „Dieser Traum hatte sich bereits mit der Ermordung John F. Kennedys für mich erledigt“, erklärte Iggy Pop einmal in einem Interview mit der BBC.  Damals hieß Iggy Pop noch James Osterberg, ging in Michigan auf die Junior High School, trommelte in einer Schülerband und wollte Politiker werden. In den späten 60ern verließ James Spitzname „Iggy“ Osterberg seine Band die Iguanas, um bei den Stooges als Sänger seine Dämonen zu bekämpfen. Die Stooges waren der krasse Gegenentwurf zum „Peace&Love“-Modell der Hippies. Iggy Pop entpuppte sich als der Punk-Godfather, sowohl auf der Bühne wie im Leben exzessiv unterwegs. Heute mit 65 ist Iggy Pop fitter denn je und seine Lebensweise mit Thai Chi-Übungen und makrobiotischer  Ernährung entspricht eher dem einstigen Feindbild.

David Bowie
Es war der 8.Juli 1972, als Ziggy Stardust auf die Erde kam. Zu den Klängen von „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie.

Ein einzelner roter Lichtstrahl wies diesem Pop-Alien mit den orangenen Haaren den Weg auf die Bühne der Londoner Royal Festival Hall. Ziggy kam im grünroten Raumanzug und auf roten Plateaustiefeln. Mitgebracht  hatte er drei Begleitmusiker. „Hello I'm Ziggy Stardust and these are the Spiders from Mars“, hauchte dieser androgyne Pop-Messias einer hysterischen Menge entgegen. Ziggy war gelandet und zelebrierte seine Operette „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“. Voller überdrehter, außerirdischer Erotik und glitzernd-funkelnder Garagenrock-Hymnen. Ein aufgedonnerter Rebell hatte das androgyne Gegengift gegen das Hippietum der späten 60er mitgebracht: GLAMROCK. David Bowie transformierte nicht nur in Ziggy Stardust, sondern gleichzeitig auch in einen Pop-Superstar. Bowie war wie sein Freund und Bruder im Geiste, Iggy Pop bereit, in seiner Rolle nicht nur aufzugehen, sondern um der Musik, der Kunst willen, exzessiv in der Grauzone zwischen Ziggy Stardust und David Bowie zu experimentieren. Dabei setzte er sogar sein Leben aufs Spiel, wie er in einem Interview meinem Kollegen Karl Bruckmayer erzählt hat. Ziggy Stardust und die Drogen hatten von David Bowie Besitz ergriffen. Nachdem er diese Phase überstanden hatte, ging er  mit seinem Freund Iggy Pop 1976 nach Berlin. Für beide war die Zeit in der Mauer- und Frontstadt, mit die produktivste und erfolgreichste in ihrer Karriere. Ziggy-Iggy und Bowie-Pop beinflussten maßgeblich die nächste Rebellen-Generation, die angetreten war, um selbstgefälligen, satten Hippies, Muckern, zynisch-korrupten Politikern und boring old farts in den Hintern zu treten:

John Lydon
alias Johnny Rotten, war die Stimme der Sex Pistols. Seine eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem konfessionellen Schulsystems in Großbritannien verarbeitete er in wütenden Songs. Diese Tiraden spuckte er als quäkender Muezzin wieder aus und hob die adelshörige Klassengesellschaft Großbritanniens mit Songs wie "Anarchy in the U.K." und "God Save The Queen" zumindest für kurze Zeit aus den Angeln, Musikgeschäft inklusive. Die nihilistische Revolte dauerte 1976 nur einige Monate. Was die Punk-Explosion aber auslöste, war eine kulturelle Lawine, die nicht nur Rock'n'Roll revolutionierte.

Malcolm McLaren, der Manager der Sex Pistols, und damals Lebensgefährte von Vivienne Westwood, erinnert sich in seiner Biographie an die erste Begegnung mit John Lydon: “Er kam mit grüngefärbten Stoppelhaaren in unseren Modeladen und trug ein Pink Floyd-T-Shirt,auf das er eigenhändig „I hate“ gekritzelt hatte. Er konnte überhaupt nicht singen, aber seine Wut und Aggression reichten, um Sänger der Sex Pistols zu werden“. Er inszenierte Punk und die Sex Pistols als seine Erfindung,s einen Masterplan, unterfüttert mit Ideen der französischen Situationisten. John Lydon war jedoch zu intelligent, um als Marionette von Malcolm McLaren in dessen Punk Zirkus um die Welt zu tingeln. Er stieg aus und gründete mit Public Image Ltd., kurz PIL, eine eigene Band, die er als Firma deklarierte, um das Geschäftsmodell Rock endgültig ad absurdum zu führen, wie sich John Lydon in diversen Interviews dazu ausdrückte: „Public Image ltd. will das Versprechen der Sex Pistols einlösen und Rock endgültig beerdigen.“

Gelungen ist das John Lydon bis heute nicht, auch nicht mit seiner jüngsten Comeback-Platte. Aber die Mischung aus Dub-Reggae-Bässen, Krautrock, experimentieller Elektronik und radikalem Individualismus machten PIL vor allem in den späten 70igern und frühen 80ern zu einem einschneidenden Erlebnis, vor allem ihre Metal Box mit drei Maxi-Singles.

Bob Marley
Mit seinem radikalen Beharren auf den Menschenrechten wurde der Reggae-Rebell zur ersten Pop-Ikone  aus der III. Welt. Der König des Reggae, der nur 36 Jahre alt wurde, wollte nie ein König oder Anführer sein, deshalb wirken seine Botschaften, die von Nächstenliebe und dem Kampf für die Menschenrechte handeln, bis heute. Nicht umsont wurde Marleys Song „Get up, stand up“ zur inoffiziellen Hymne von Amnesty International.

Seine Musik und sein Leben waren der ideale Nährboden für Pop-Mythen. Vom armen kleinen Landjungen, der in den Ghettos von Kingston aufwuchs und zum ersten globalen Popstar aus der  dritten Welt aufstieg. Bob Marley wurde während des jamaikanischen Wahlkampfs 1976 in seinem Haus in Kingston angeschossen, überlebte aber diesen Mordanschlag. Der verwundete Marley brachte die Anführer der beiden verfeindeten politischen Parteien auf der Bühne des Nationalstadions während des Friedenskonzerts zum Handschlag zusammen. Bob Marley mischte sich ein, ließ sich aber nie politisch instrumentalisieren. Er wusste aber auch instinktiv, dass seine persönliche Mystifikation ein wichtiger Teil seines Kapitals war.

Bob Marley war ein charismatischer Singer-Songwriter und Entertainer, der weltweit für die emotionale wie politische Kraft seiner Musik bewundert wurde und in der dritten Welt als spiritueller Führer, als Stimme und Hoffnungsträger der Unterdrückten, Entrechteten und Ausgebeuteten verehrt wurde.
Seine Wirkung und Popularität zu Lebzeiten war enorm, stand aber in keinem Verhältnis zu seinen Plattenverkäufen, die mit einigen hundertausend pro Album recht überschaubar waren.

Erst nach Bob Marleys Tod verkauften sich seine Platten- und CD’s, vor allem das „Best-of-Album „Legend“ millionenfach. Heute ist Bob Marley ein Hochglanz-Mythos, die Heldenverehrung trägt mitunter absurde Züge. Das Bild vom ewig jungen Rasta-Rebellen mit der wehenden Dreadlocks-Löwenmähne, stets kiffend und kickend, dient heute als Benutzeroberfläche für Jedermann.

"Wir sind Revolutionäre, denen niemand hilft, wir sind nicht bestechlich und wir kämpfen ganz allein mit unserer Musik. Rasta ist die Zukunft!"

erzählte Bob Marley 1979 vor einer Fernseh-Kamera in Neuseeland

Durch seine Musik war Bob ein Revolutionär. Er hätte nie eine Waffe gezogen, aber er stand vor dem Mikrofon und feuerte Schuss nach Schuss", erinnert sich seine Frau Rita in einem Interview. Dieses Image und die Bilder von einem in Trance singenden und tanzenden Bob Marley wirken bis heute nach und haben aus dem König des Reggae eine Pop-Ikone gemacht. 

The  Raincoats
waren intellektuelle Londoner Girls, die zielsicher in den späten 70igern  nach Punk zum weiblichen Beat aufbrachen.  Den feministischen Ansatz, die Rebellion gegen die Männer-Domäne Rock, die Punk versprochen hatte, lösten sie ein. Leise zwar, aber beispielgebend. Im Gegensatz zu den Slits, die der Pop-Theoretiker Greil Marcus ob ihrer ersten Lärm-Sessions zwar als Dada-Offenbarung feierte, die es aber  letztlich nur durch männliche Hilfe auf die Bühne und in die Studios geschafft hatten. Die einflussreichste, britische  Pop-Journalistin Julie Burchill formulierte es einmal im New Musical Express folgendermaßen:“ Was mich wahnsinnig aufregt, sind feministische Revisionistinnen, die behaupten, Punk wäre eine wunderbare Zeit für Frauen gewesen, weil sie plötzlich jede Menge Möglichkeiten bekommen hätten sich auszudrücken und auszuprobieren. Was für ein Bockmist. Die Slits haben ihre Auftrittsmöglichkeiten, ihre Konzerte im Vorprogramm der Clash doch nur deshalb bekommen, weil sie mit den Jungs von The Clash ins Bett gegangen sind.“

The Gossip
Spätestens mit Beth Ditto und ihrer Band The Gossip erreichte „Queercore“ als Pop-Phänomen den Mainstream. The Gossip setzten sich 2006 in Kampagnen dafür ein, dass Lesben und Schwulen in den USA heiraten dürfen und landete mit ihrem Kampfaufruf "Standing In the Way Of Control" gegen die Bush-Administration einen Hit. Auch das Modediktat , das die Grenzen zur Magersucht regelmäßig überschreitet hat die pfundig-lustige Lesbe Beth Ditto ausgerechnet als Muse von Karl Lagerfeld erfolgreich unterlaufen.


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