Bayern 2 - Nachtmix


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The Stepping Razor Peter Tosh zum 25. Todestag

Am 11.September 1987 wurde Peter Tosh in seinem Haus in Kingston bei einem Raubüberfall erschossen. Unbeugsam und kompromisslos legte sich Peter „The Stepping Razor" Tosh mit den Mächtigen an, immer gut für einen Eklat.

Von: Noe Noack

Stand: 24.07.2012 | Archiv

Peter Tosh | Bild: EMI

Als Winston Hubert McIntosh kommt er am 19. Oktober 1944 im jamaikanischen Church Lincoln, West Moreland, zur Welt. Der Bezirk ist berühmt für sein hervorragendes Ganja. Peter Tosh war das einzige Kind von Alvera Coke. Sein Vater war der Prediger James McIntoshs, der sich allerdings weigerte, die Vaterschaft anzuerkennen. Vater und Sohn treffen sich erstmals, als Peter Tosh bereits zehn Jahre alt ist.

Peter wird von einer Tante großgezogen und zieht mit ihr über die Zwischenstation Savanna-La-Mar 1957 in die Hauptstadt Kingston. Er ist 15 Jahre alt, als seine Tante stirbt. Ein Onkel nimmt ihn auf, und so landet er schließlich im Ghetto Trenchtown. Wie viele andere Jugendliche in Kingston hört auch Peter Tosh Tag und Nacht die US-amerikanischen Radiostationen mit den neuesten Rhythm and Blues-Hits. Aber auch einige Mento- und Jazzmusiker aus der Nachbarschaft interessieren den baumlangen Schlacks.

Seinen Spitznamen "Stepping Razor", die wandelnde Rasierklinge, bekommt Peter Tosh von seinem musikalischen Mentor Joe Higgs verpasst. Der erkennt das musikalische Talent des Heißsporns und bringt ihn 1961 mit Bob Marley und Bunny Wailer zusammen, seinen beiden anderen Rohdiamanten. Zwei Jahre lang coacht Joe Higgs die Gruppe, bevor er ein Vorsingen in Coxsone Dodds Studio One arrangiert. Der Hitmaker erkennt sofort das Potential von Bob Marley, Peter Tosh und Bunny Wailer und lässt die Aufnahmebänder laufen. Schon mit einer ihrer frühen Singles können die Wailers 1964 einen Nummer Eins-Hit auf Jamaika landen: Mit der Ska-Nummer „Simmer Down“.

Die Wailers - die erfolgreichste Gruppe Jamaikas

Ska war der euphorische Sound, der die kurze Aufbruchsstimmung Jamaikas nach der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien im August 1962 ausdrückte. Dabei wurden die Wailers schnell zur erfolgreichsten Gruppe Jamaikas. Als Bob Marley 1966 für einige Monate seine Mutter in den USA besuchte, machten Peter Tosh und Bunny Wailer jeweils solo weiter. Tosh veröffentlichte unter anderem das populäre „Maga Dog“, das er in anderen Versionen auch noch in den 70er und 80er Jahren herausbringen sollte.

Der „Maga Dog“, das ist der abgemagerte, dürre Hund aus dem Ghetto, hungrig, angriffslustig und schlau. Die perfekte Metapher für Peter Tosh, der schon immer kantiger, rebellischer und politischer war als seine Freunde Bob Marley und Bunny Wailer. Peter Tosh schrieb den Wailers die ersten Rebellensongs und ließ sich in den späten 60ern spirituell beeinflussen von den Rasta Camps in Kingston.

Lee „Scratch“ Perry – Platz für Experimente

Die Zusammenarbeit mit Coxsone Dodd und Studio One geht 1970 zu Ende. In dieser Zeit verändert sich der Beat nach dem hektischen Ska, über den verlangsamten, souligen Rocksteady hin zum frühen Rootsreggae. Peter Tosh, Bob Marley und Bunny Wailer treffen den Produzenten Lee „Scratch“ Perry, der die Band mit seinem kreativen Enthusiasmus elektrisiert. Zwar zahlt sich der Deal mit Perry, wie schon zuvor bei Coxsone, finanziell nicht richtig aus, aber die Zusammenarbeit mit dem experimentierfreudigen Genie Perry beschert den Wailers einige ihrer schönsten Stücke: "Duppy Conqueror", "400 Years", "Small Axe" oder "Soul Rebel".

Die gemeinsamen Wege mit Lee Perry trennen sich 1972. Kurz darauf treffen die Wailers den Engländer Chris Blackwell. Blackwells Familie hat Wurzeln in Jamaika geschlagen. Er liebt Reggae, aber auch Rockmusik und beschließt, auf seinem jungen Island-Label die Wailers wie eine Rockband zu vermarkten. Die Idee funktioniert schon mit dem ersten Album der Wailers für Island Records “Catch A Fire”, das 1972 aufgenommen wird. Es folgen „African Herbsman“ und „Burning“.

Peter Tosh verlässt die Wailers

Gerade, als sich der internationale Durchbruch für die Wailers und ihren Reggae-Sound nach drei Alben für das Island-Label von Chris Blackwell abzeichnete, verlässt Peter Tosh 1974 wütend und verbittert die Wailers. Er war kein Mann für Kompromisse und misstraute dem englischen "Whitey" Chris Blackwell, von Peter Tosh „Whiteworst“ tituliert. Blackwell sah in Bob Marley den Kopf der Band und drängte die dicken Freunde Bunny Wailer und Peter Tosh in den Hintergrund. Peter Tosh fühlte sich zum Backgroundsänger degradiert: Ausgerechnet er, der älteste und musikalisch versierteste der Wailers, der seinen beiden Freunden über zehn Jahre lang so viel beigebracht hatte.

Peter Tosh bricht aber nicht mit Bob Marley. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Shirley Livingston, der Schwester von Bunny Wailer und Mutter seines Sohnes Andrew, besucht er Bob 1974 in den Bergen von Nine Miles. Bei der Rückfahrt nach Kingston verunglücken Shirley und Peter schwer. Shirley Livingston wird tot aus dem Autowrack geborgen, Peter Tosh mit schweren Kopfverletzungen. Drei Jahre braucht der Unbeugsame, um sich von diesem Schicksalsschlag zu erholen, dann veröffentlicht er sein Solo-Debüt „Legalize it“. Im Song „Why must I cry“ versucht Peter Tosh den Verlust seiner Freundin zu verarbeiten. „Legalize It“ sorgt 1976 wegen seiner beeindruckenden Songs, aber auch durch die provozierend-rebellischen Inhalte, weltweit für Aufsehen. Das Cover zeigt den Reggae-Rebellen, Ganja-Pfeife qualmend, in einer Cannabis-Plantage.

Legalize It!

Für sein aufrührerisches Verhalten und den Besitz von Cannabis wird er in den folgenden Jahren mehrmals von der jamaikanischen Polizei verhaftet und verprügelt. Wegen des Titels "Legalize It" erhält er Jahre später in Bayern Auftrittsverbot. Trotz diverser Repressalien wegen seiner Texte und politischen Haltung geht der „Stepping Razor“ Peter Tosh seinen steinigen Weg weiter. 1977 erscheint das Album „Equal Rights“. „Jeder schreit nach Frieden, keiner aber nach Gerechtigkeit. Ohne Gerechtigkeit wird es aber keinen Frieden geben", singt Peter Tosh im Titelstück "Equal Rights". Europa und die USA, die imperialistischen Ausbeuter- und Sklaventreiber-Nationen verkörperten für den bekennenden Rasta Peter Tosh "Babylon", das verhasste System, das "Shitstem".

Unbeugsamer Kämpfer mit militanter Rhetorik

Wo sich Bob Marley als die Stimme der Unterdrückten und ausgebeuteten Schwarzen verstand, der ihre Hoffnungen formulierte, ihnen Würde gab und eine versöhnliche "One Love-Vision" entwarf, da war Peter Tosh geradezu sein Antipode: Ein unbeugsamer Kämpfer mit militanter Rhetorik, der die brutale Realität eines korrupten und gewalttätigen politischen Systems in seinen Songs beschrieb. Peter Tosh legte sich ständig mit der Staatsgewalt an, weil er auf offener Bühne die Missstände im Dritte Welt-Land Jamaika anprangerte oder als bekennender Rastafarier die Legalisierung des heiligen Krauts Marihuana forderte.

Wenn Bob Marley die Friedenstaube des Reggae verkörperte, dann war Peter Tosh sein tobender Racheengel. So stahl Tosh Marley die Show beim legendären "One Love Peace Concert" am 22. April 1978 im Nationalstadion von Kingston, das die Wogen zwischen den beiden verfeindeten politischen Parteien Jamaikas, die ihre bewaffneten Milizen in den Ghettos aufeinanderhetzten, glätten sollte.

One Love Peace Concert

Peter Tosh attackierte Premierminister Michael Manley und Oppositionsführer Edward Seaga ob ihrer Tatenlosigkeit. Das Heer der Armen in den Ghettos werde täglich größer, aber die Politik benutze diese Menschen lediglich als Kanonenfutter in den Wahlkämpfen. Es war ein gewaltiger, furioser Auftritt, bei dem sich Peter Tosh mit Kung Fu-Tritten als Freiheitskämpfer des Reggae inszenierte und flammende Reden gegen Korruption und Machtmissbrauch hielt. Seine Gitarre, war wie ein M15-Sturmgewehr designt. Anschließend tat sich Bob Marley bei seinem Auftritt schwer mit seinem Bemühen, die verfeindeten politischen Lager und das Publikum zu einem symbolischen Friedensschluss zusammenzubringen.

Mick Jagger und Keith Richards waren Zeugen dieser denkwürdigen Nacht im Nationalstadion von Kingston und beschlossen spontan, Peter Tosh auf ihrem Rolling Stone-Label unter Vertrag zu nehmen. Es folgten gemeinsame Konzert-Tourneen und die Zusammenarbeit bei der Reggae-Version des Temptations-Songs "You Gotta Walk - Don't Look Back". Dieser veritable Hit für Peter Tosh eröffnet auch sein Album "Bush Doctor " von 1978.

Es folgten erfolgreiche Jahre für den Multiinstrumentalisten und seine „Word, Sound And Power Band“, angetrieben vom besten Schlagzeug-Bass-Duo des Reggae: Sly Dunbar und Robbie Shakespeare. Mit ihnen tourte der Bush Doctor um die Welt und nahm die roots-rockenden Alben „Mystic Man“ und „Wanted Dread&Alive“ auf. Eric Clapton war so begeistert, dass er Peter Tosh als Gast auf Tour begleiten wollte, um von ihm die Geheimnisse seines Reggae-Gitarrenspiels zu erfahren.

Suche nach spiritueller Inspiration

Nach der Veröffentlichung des Albums "Mama Africa" überwarf sich Peter Tosh 1983 mit Mick Jagger, von dem er sich mehr Unterstützung erwartet hatte. Vielleicht stand sich der kompromisslose Reggae-Warrior Tosh für die ganz große Karriere auch manchmal selbst im Weg. 1983 trat Peter Tosh in Jamaika ein letztes Mal live auf. Danach suchte er spirituelle Inspiration bei längeren Aufenthalten in Afrika.

Erst drei Jahre später begann Peter Tosh an seinem musikalischen Comeback zu arbeiten. Sein Album "No Nuclear War" erschien Anfang September 1987 und er kehrte nach Jamaika zurück. Am 11. September 1987 wurde er in seinem Haus in Kingston von drei bewaffneten Männern überfallen. Das Trio forderte Geld. Ihr Anführer war Dennis „Leppo“ Lobban, ein Bekannter Toshs aus der Nachbarschaft. Tosh hatte sich um Leppo nach einer längeren Gefängnisstrafe gekümmert und ihm Jobs vermittelt. Als Tosh Leppo erklärte, dass er kein Geld im Haus habe, wollte der das nicht wahrhaben. Mehrere Stunden hielt das Trio Peter Tosh im Haus fest, um Geld zu erpressen. Die Zimmer wurden auf den Kopf gestellt, aber offensichtlich war nichts zu holen. Die Lage spitzte sich zu, als immer mehr Freunde von Peter Tosh zu seinem Haus kamen, um seine Ankunft und sein Album zu feiern. Frustriert und nervlich am Ende tötete „Leppo“ Lobban Peter Tosh mit zwei Kopfschüssen. Die beiden anderen begannen auf der Flucht, um sich zu schießen. Mehrere Anwesende wurden verletzt, der DJ Jeff „Free-I“ Dixon wurde tödlich getroffen.

Verschwörungstheorien um Peter Toshs Tod

Dies ist die Version der Polizei- und Gerichtsakten, aber gründlich aufgeklärt wurde dieses Verbrechen bis heute nicht. Denn nur „Leppo“ Lobban wurde gefasst und in einem 15-minütigen Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Dieses Urteil wurde allerdings in eine Gefängnisstrafe umgewandelt. „Leppo“ bestritt, der Mörder zu sein. Auf seinem letzten Album „No Nuclear War“, das 1988 mit einem Grammy ausgezeichnet wurde, zeigte sich Peter Tosh im Song „Lessons in my Life" geradezu prophetisch: "Take always care of your friends, money can make friendship end" singt er da: Seinen 43.Geburtstag hat Peter Tosh nicht mehr erlebt.

Bis heute ranken sich Verschwörungstheorien um dieses Verbrechen. Wurde die Ermordung von Peter Tosh von Regierungskreisen in Auftrag gegeben, aus Furcht vor dem heimgekehrten Reggae-Revoluzzer? Oder steckten mächtige Dons aus der maffiös strukturierten Musikindustrie dahinter? Was bleibt, ist das beeindruckende, musikalische Vermächtnis eines der charismatischsten Live-Performer. Peter Tosh war ein Prediger und spiritueller Führer. Nicht nur zahllose Reggae-DJs und Sänger, sondern auch Public Enemy und viele andere HipHop-Gruppen wurden von seiner Rhetorik und Bühnenpräsenz geprägt. Im Oktober 2012 wird Peter Tosh posthum die höchste Auszeichnung Jamaikas, der "Order Of Destinction" verliehen. Ob er den zu Lebzeiten angenommen hätte?


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