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Farin Urlaub wird 50 "Die beste Band der Welt"

Sie bezeichnen sich selbst als "die beste Band der Welt". Trotzdem nannten sie sich "Die Ärzte" - was besseres fiel ihnen nicht ein. Frontmann Farin Urlaub wird 50. Zeit für eine Rückschau.

Von: Matthias Hacker

Stand: 30.10.2013

Die Ärzte | Bild: picture-alliance/dpa

Jan Vetter ist am 27. Oktober 50 Jahre alt geworden. Wer ihn nicht kennt. Jan Vetter ist einer der größten Rockstars Deutschlands. Er ist gleichzeitig strikter Antialkoholiker, Pescharier – er isst also kein Fleisch außer Fisch und er ist ein Reisejunkie. Er hat schon über 117 Länder bereist.

Farin Urlaub veröffentlichte einen Bildband

Aus seinem Lieblingshobby „Fahr in Urlaub“ wurde sein Künstlername Farin Urlaub. Er ist Gründer, Sänger und Gitarrist der Rockband „Die Ärzte“ - oder wie sie sich selber gerne nennen – der besten Band der Welt.

1981 treffen sich Bela B. und Farin Urlaub zum ersten Mal im bürgerlichen Berliner Stadtteil Spandau. Kleinfamilien und Rentner sind hier in der Mehrheit. Zusammengebracht hat sie aber der Punk. Bela B ist nämlich gerade auf der Suche nach einem neuen Gitarristen für seine Band, als er Farin bei einem Konzert kennenlernt.

"Was machst du so?"

Farin Urlaub

"Ich hab ne Band und such gerade nen Gitarristen."

Bela

"Ich spiel Gitarre."

Farin

Wobei letzteres eher gelogen war. Farin konnte nicht Gitarre spielen – aber er hatte immerhin eine. Und wie seine Punk-Vorbilder, die Sex Pistols oder Stiff Little Fingers es vorher schon bewiesen hatten, braucht es auch nicht viel mehr. Ein paar Akkorde hatte er bald drauf. Bald geht ihnen der dröge Polit-Punk ihrer Band „Soylent Grün“ auf die Nerven. Poppiger soll es klingen – Spaß soll es machen und mehr bieten als nur Musik. Der Name „Die Ärzte“ war der beste, der ihnen einfiel.

Vom Dekorateur zu den Ärzten

Anfang der 80er kommen gerade die Neue Deutsche Welle, der Hardcore und der Deutschpunk in Mode. Und vor allem in Berlin explodiert die Bandszene. Und auch wenn sich Bela und Farin gern mit dem Punk schmücken, waren sie doch nie Idealisten oder Klassenkämpfer. Bela B hatte sich erst wenige Jahre vorher noch bei der Polizei beworben und später dann bei Hertie als Dekorateur in der Damenbekleidung gearbeitet. Und Farin hatte brav sein Abitur gemacht und wollte dann Archäologie studieren. Das Studium hat er bald hingeschmissen  – für „Die Ärzte“.

Die werden dann zwar immer erfolgreicher, aber nicht unbedingt beliebter. Die „Bravo-Punker“ kommen in der Szene nicht gut an. Ihre Credibility leidet, als sie an einem Rock-Wettbewerb vom Berliner Senat teilnehmen. Hand in Hand mit dem Establishment. Auch passten der echten Punk-Szene die apolitischen Texte nicht. Aber sie verkauften sich gut.

Das andere Markenzeichen neben der Texte waren die Punkrhythmen auf der Gitarre, die Farin Urlaub aber ohne Verzerrer spielte. Was eher an den New Wave der Pretenders als an die Sex Pistols erinnerte.

Aber wegen ihrer harmonischen Gesangsmelodien konnte man sie weder hier noch da zuordnen. Farin hat sich stattdessen immer wieder auf den Surfpop der Beach Boys und auf die Harmonien der Comedian Harmonists und der Beatles berufen. Aber so richtig erfolgreich haben die „Die Ärzte“ nicht die Harmonien gemacht, sondern die Dissonanzen in ihrem Bandkonzept. Auf der einen Seite Punkattitüde – gern auch mal mit Skandal-Texten wie Geschwisterliebe, der später auch auf dem Index gelandet ist. Auf der anderen Seite manchmal schlageresk banale Songtexte und Gassenhauer-Komik. Die Ärzte brachen die thematischen Regeln des Punk auf.  Für ihre Ironie und ihren Witz wurden sie zwar nicht von der Punk-Szene, aber oft von der Presse gefeiert. Gern auch mal großspurig als die Retter des Deutschen Pop. Das gefiel den Ärzten.

Ihre Songtexte wurden massenkompatibler und sie selbst zur ersten Boyband Deutschlands. Da liefert man dann schon mal Sommersongs und Liebeslieder für die Zielgruppe. Wie „Westerland“ oder „Komm zurück“. Zur Überraschung vieler machten Bela und Farin und ihr dann schon zweiter Bassist Haagen 1988 plötzlich Schluss. Nach der Devise: Aufhören, wenn es am schönsten ist – ohne Streit.

Danach quetschten ihre Plattenfirmen noch das Letzte aus ihren Vertragsrechten heraus. Mit Erfolg –  „Die Ärzte“ Platten verkauften sich nach der Auflösung besser denn je. Bela und Farin hatten derweilen schon neue Projekte gestartet. Sowohl Farins Band „King Kong“ als auch Bela`s „Depp Jones“ waren zwar deutlich ernster und teilweise auch mit englischen Texten - aber auch kommerzielle Flops.

"Schrei nach Liebe" und "Arschloch"

Für fast fünf Jahre waren „Die Ärzte“ kein Thema mehr, bis Farin Urlaub im Fußballstadion von St. Pauli hört, wie der gesamte Fanblock einen Ärzte-Song aus voller Brust singt. Er war so berührt, dass er Bela einen Brief schrieb. Der zierte sich zwar erst noch, aber die Reunion klappt schließlich, und „Die Ärzte“ kommen 1993 mit „Die Bestie in Menschengestalt“ rockiger und politischer zurück als je zuvor – jetzt fast nur noch mit Verzerrern auf der Gitarre und einer Single, die Deutschland und die Band verändert.

„Schrei nach Liebe“ mit klarem Statement gegen rechts. Diese Single - nach 5 Jahren Pause war ein gewagter Schritt. Anfangs wurde er von den Radiosendern nicht gespielt, das Wort „Arschloch“ war damals im Radio undenkbar. Bis die Radioredakteurin Lidia Antonini vom Hessischen Rundfunk einen Rundbrief an ihre Kollegen schreibt.

"Als Aufschrei gegen brennende Asylantenheime und dem Rechtsruck im Land empfinde ich [...] die textliche Entgleisung angebracht und dem Thema des Liedes angemessen. „Schrei nach Liebe“ ist eine wirksame Waffe gegen Neonazis."

Lidia Antonini

Auf diesen Apell hin wird „Schrei nach Liebe“ auch im Radio gespielt und zum größten Erfolg der Bandgeschichte. Das Album „Bestie in Menschengestalt“ landet auf Platz 2 der deutschen Albumcharts und hält sich 21 Wochen in den Top 10.

Zusätzlich haben sie auf einen Schlag ihre Credibility in der Punkszene zurück. Und der neue Bassist, Rodrigo Gonzales, wird von den Fans als neuer dritter Mann akzeptiert. Er bleibt bis heute der Basser der Ärzte.

Die Ärzte sind nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Da wird beim Albumtitel „Planet Punk“ wieder einmal die Diskussion laut: Wieviel Punk steckt eigentlich noch in den Ärzten? Diese Frage stellt sich vor allem immer wieder im Vergleich mit der Pendant-Band aus Düsseldorf, den Toten Hosen. Was im britpoppigen England „ Blur oder Oasis“ ist,  heißt in Deutschland in den 90igern „Ärzte oder Hosen“. Dabei waren sich die beiden Bands gar nicht so Spinne-Feind, wie es gerne dargestellt wurde. Es gab sogar gemeinsame Konzerte am Anfang ihrer Karrieren damals im Punkschuppen SO 36. Aber es gab auch Streitereien, vor allem mit Hosen-Sänger Campino und einen ständigen Kampf um den Status des Branchenprimus. Heute sieht man es eher unter dem Gesichtspunkt: „Konkurrenz belebt das Geschäft“.

Die Punkdiskussion beenden die Ärzte kurzerhand mit dem rotzigen Album „1,2,3,4 Bullenstaat!“

Endlich Urlaub

Mit „13“ erscheint 1998 dann das achte, grundsolide Studioalbum. Der große Hit darauf: „Männer sind Schweine“. Aber man merkt den Ärzten mittlerweile ihre Zerrissenheit an. Sie sind nicht mehr die Punks aus dem alten Berlin, sie sind aber auch noch lange nicht die Elterngeneration mit Zeigerfinger. Auf „13“ wirken die Ärzte angestrengt bedeutungsschwanger und altersmüde. Vom Bürgerschreck ist wenig zu spüren, auch wenn sie den Ruf im Song „Rebell“ krampfhaft versuchen, aufrecht zu erhalten.

Was die Ärzte aber immer noch unnachahmlich beherrschen, ist das Entertainment auf der Bühne. Schon in den Anfangsjahren hat vor allem Bela B ihre Liveshow konzeptioniert. Das Prinzip: Ohne Frontmann, sondern mit drei Frontmännern in Reihe zu spielen. Das schaute Bela sich bei einem Konzert der Rockabilly Punker „The Stray Cats“ ab. Da hat er auch beschlossen immer im Stehen Schlagzeug zu spielen. Im Lauf der Jahre perfektionieren sie ihre „Live“- Shows. Großes Entertainment, gewürzt mit Improvisationen, Spontanität und Selbstironie. Ein Grund für den anhaltenden Erfolg: Die Ärzte spielen nicht nur in den Großstädten der Republik – unermüdlich schaffen sie sich eine Fanbase in der ganzen deutschsprachigen Provinz.

Alle Mitglieder der Ärzte schreiben und Komponieren. Aber Farin Urlaub ist der Hauptsongwriter. Und weil auf einem Ärzte Album für seinen  Output nicht genug Platz ist, veröffentlicht er 2001 seine erste Soloplatte „Endlich Urlaub!“. Zwei Solo-Alben folgen noch bis 2008. Später gründet er auch noch die Band „Farin Urlaub Racing Team“. Was aber keineswegs Stillstand bei den Ärzten bedeutet. Nachdem sie 2002 mit  „Rock n`Roll Realschule“ – nochmal vielen ihrer alten Hits neuen Unplugged Charme verpasst haben, erscheint 2003 „Geräusch“ Das Album steht für mehr Sounds und Rhythmen, die Farin Urlaub von seinen zig Reisen wieder mit nach Deutschland bringt.

Neben Farin hat auch Bela B sich wieder selbstständig gemacht. Neben Sprecher-Jobs in Zeichentrickfilmen, unzähligen Filmauftritten von Alarm für Cobra 11 bis hin zum Platzanweiser bei Tarantinos „Inglourious Basterds“ macht er 2006 das Solo-Album „Bingo“. Darauf arbeitet er unter anderem mit Charlotte Roche und Lee Hazelwood. Vor allem mit Hazelwood kann er seiner Liebe zum düsteren Americana und Westernsound mit Mariachi Bläsern ausleben.

Ende der Nullerjahre sind „Die Ärzte“ schon lange nicht mehr die Punkband für die sie gerne noch gehalten werden.Wenn sie es überhaupt jemals waren. Diesen Widerspruch reflektieren sie auch selbst im Song „Ist das noch Punkrock, ich glaube nicht“ . Bela B. Im Interview mit DasDing erklärt.

"Ganz ehrlich, so viele Jahre nach den entscheidenden Jahren nach Punkrock ´77,´78,´79 – so viele Jahre später ist das ehrlich gesagt Blödsinn. Was Punkrock definitiv noch nie war, ist Nostalgie. Aber Romantik und Punkrock in einem Song, das hat mich wirklich berührt. Deshalb bin ich ganz froh darüber, diesen Song als Opener auf dem Album zu haben."

Bela B

Zwar nicht mehr Punkrock, aber immer noch viel Freude am Texten, Reimen, Komponieren und Spaß haben „Die Ärzte“ heute noch – die selbsternannte beste Band der Welt, die gerade wieder in deutschen Album-Top-Ten steht, mit dem Live-Triple-Album „Die Nacht der Dämonen“.


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