Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Unknown Mortal Orchestra, Trettmann und Yves Tumor

Die Neuheiten der Woche im Überblick. Mit dabei unter anderem die neuen Alben von Unknown Mortal Orchestra, Trettmann, Yves Tumor und Genevieve Artadi.

Von: Angie Portmann

Stand: 16.03.2023

Unknown Mortal Orchestra - V (Cover) | Bild: Jagjaguwar

Unknown Mortal Orchestra – V

Der hawaiianisch-neuseeländische Musiker Ruban Nielson, besser bekannt als Unknown Mortal Orchestra, hält auch auf seinem fünften Album „V“ an seinem Trademark-Sound fest, nämlich funky Psychedelic-Pop, hübsch lo-fi und weird. Seine Songs bzw. Instrumentalstücke haben immer eine sanfte Schräglage, etwas leicht slackerhaftes. Toll auch die Videos dazu, wenn Nielson z.B. seine Mutter Deedee Aipolani Nielson, die Miss Aloha Hula 1973, am Strand tanzen lässt, als wäre sie nicht von dieser Welt. Auch dieses Album war wieder Family Business. Rubans Bruder Kody saß am Schlagzeug und sein Vater Chris spielte Saxophon und Flöte. Zusammen hatten sie offensichtlich Spaß. „Fuzzy, funky and seriouly fun“ nennt das der NME. Entstanden ist „V“ in Palm Springs im sonnigen Kalifornien, das – blickt man nur kurz hinter die glamourösen Kulissen – bekanntlich oft alles andere als sonnig ist. Was auch für dieses Album gilt. Hinter den catchy Popsongs, ihrer entspannten West-Coast-Anmutung, lauert auch immer eine David Lynch-hafte Dunkelheit, stehen Lyrics, in denen es um Depressionen und Schuldgefühle, Konsumfixierung und gescheiterte Lebensentwürfe geht. Ein cooler Twist, der auch dieses Album von Unknown Mortal Orchestra wieder zu einem besonders tollen macht. (8,1 von 10 Punkten)

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Unknown Mortal Orchestra - Layla (Official Video) | Bild: UMOVEVO (via YouTube)

Unknown Mortal Orchestra - Layla (Official Video)

Yves Tumor – Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume

Sean Bowie alias Yves Tumor ist Teil einer Queer-Pop-Bewegung, die tradierte Vorstellungen von Gender, aber auch von Pop und Rock begeistert zerschreddert. Anfangs noch mit ausgesprochen avantgardistischer Elektronik, später mit doomy Electro-Soul, irgendwo zwischen klassischem Songwriting und apokalyptischem Sample-, Sound- und Rhythmusgewitter. Auf „Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume (Or Simply, Hot Between Worlds)”, dem jüngsten Album von Yves Tumor, setzt der in Turin lebende genderfluide US-Amerikaner jetzt noch eins drauf. Denn Tumor goes New Wave bzw. Postpunk, lässt die Gitarren kreischen, die Synthies klirren, überschüttet uns gleichzeitig aber auch mit coolen Pop-Hooks a la Yungblud. Klingt mal nach Slowthai („God Is A Circle“) mal nach Frank Ocean („Parody“) im Progrock-Fieber. Schiebt düstere Elektronik („Purified By The Fire“) zwischen Rock-Bretter („Meteora Blues“). Spielt mit Genres und Pop-Klischees als gäbe es kein Morgen und klingt dabei wie es der Albumtitel verspricht: „Hot Between Worlds“.(8,2 von 10 Punkten)

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Yves Tumor - Parody (Official Audio) | Bild: Yves Tumor (via YouTube)

Yves Tumor - Parody (Official Audio)

Emiliana Torrini & The Colorist Orchestra – Racing the storm

Zuletzt ist mir The Colorist Orchestra zusammen mit Howe Gelb über den Weg gelaufen. Howe Gelb, the coolest cat around, hatte sich das belgische Kammerpop-Ensemble für sein Album „Not On The Map“ ins Studio geholt. Die dabei entstandenen Songs klangen ziemlich speziell. Ein interessanter Mix aus Howe Gelbs trockener Wüsten-Stimme und den ausgefeilten neo-klassischen Arrangements der beiden Belgier Aarich Jespers und Kobe Proesmans. Eine krasse Fallhöhe. Bei Emiliana Torrini existiert diese Fallhöhe leider nicht. Hier passt die sanfte Stimme, die immer leicht melancholischen Melodien der isländisch-italienischen Sängerin perfekt zu den hübschen Harmonien des Colorist Orchestra, zu ihrer dezenten Elektronik, dem Hauch von Weltmusik. Vielleicht etwas zu perfekt, fast etwas cheesy das Ganze. Da hätte die ein oder andere Irritation, eine „Jungle Drum“ wie in Torrinis einzigem Hit, vielleicht nicht geschadet ... (6,8 von 10 Punkten)

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Emiliana Torrini & The Colorist Orchestra - Mikos (Official Video) | Bild: bellaunioninc (via YouTube)

Emiliana Torrini & The Colorist Orchestra - Mikos (Official Video)

Trettmann – Insomnia

Der große Erfolg kam für Stefan Richter alias Trettmann erst mit Mitte Vierzig. Erst als er auf das Berliner Produzententeam Kitschkrieg traf, nahm die Karriere des Rappers aus Chemnitz Fahrt auf. Trettmann und Kitschkrieg – das ist eine DER Erfolgsstories in der jüngeren deutschen Hip-Hop-Geschichte. Nach „DIY“ und „Trettmann“ geht aber jetzt mit Album Nummer drei, mit „Insomnia“, die Ära „Trettmann/Kitschkrieg“ zu Ende.

Wie auf den Vorgängern prallen auch auf „Insomnia“ wieder Mainstream und Underground aufeinander. Der Mainstream kommt diesmal allerdings geballt in Form von Featuregästen wie Nina Chuba, Paula Hartmann und … Lena, 2010 Gewinnerin beim Eurovision Song Contest. Aber auch Henning May von AnnenMayKantereit und Bilderbuch sind dabei und, Achtung, Herbert Grönemeyer. Mit dieser Auswahl positioniert sich Trettmann weit weg vom Hip-Hop und ganz nah dran am aktuellen, chartskompatiblen Singer/Songwritertum. Wäre da nicht der außergewöhnlich gute Storyteller Trettmann, wären da nicht die typischen, minimalistischen KitschKrieg-Beats, „Insomnia“ wäre für die HipHop-Community vermutlich eine kleine Herausforderung. So aber ist „Insomnia“ das perfekte Krisen-Bewältigungsalbum. Anfangs noch konsequent grau, Trettmann im Liebeskummer-Modus, rappt bzw. singt „Wieviel Nullen hat ne Million, wieviel Zimmer zum alleine wohn‘?“. Es geht um nichts weniger als das absolute Scheitern, das definitive Ende einer Beziehung. Im Laufe des Albums kommt der Protagonist aber wieder auf die Beine, findet zu sich selbst, verliebt sich neu und gönnt sich ein hedonistisches Ende. Wenn so die Charts von morgen klingen, sag ich: Danke, Trettmann.  (7,6 von 10 Punkten)

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Trettmann & Levin Liam - Für dich da (Tretti Session Berlin) | Bild: Trettmann (via YouTube)

Trettmann & Levin Liam - Für dich da (Tretti Session Berlin)

M83 – Fantasy

Der Franzose Anthony Gonzales segelt jetzt schon seit zwei Jahrzehnten durch einen Ocean of Sound voller gigantischer Gitarren- bzw. Synthiewellen. Ein Kurs, der ihm immerhin schon eine Grammy-Nominierung eingebracht hat (für sein Album "Hurry Up, We’re Dreaming"). Und der ihn zum gefragten Soundtrack-Komponisten u.a. für Tom Cruise-Filme werden ließ. War anfangs noch von Shoegaze die Rede oder auch von schnödem Synthpop ist Gonzales mittlerweile sein eigenes Genre. Ein Genre, das er auf seinem neunten Album „Fantasy“ weiter ausbaut, frei nach dem Motto: höher, größer, weiter. Hier wird auf einem Dramatik-Level agiert, das offensichtlich auch noch den hinterletzten Festival-Besucher wegblasen soll. Epischer Stadion-Pop, der mir persönlich definitiv zu bombastisch ist. Das ist kein Eskapismus, das ist der Möchtegern-Phil Spector des 21. Jahrhunderts.  (6 von 10 Punkten)

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M83 - 'Oceans Niagara' (Official Music Video) | Bild: M83 (via YouTube)

M83 - 'Oceans Niagara' (Official Music Video)

Deus – How To Replace It

Wenn schon dramatisch, dann doch bitte so dramatisch wie die gerade eben frisch auferstandenen Deus aus Antwerpen. Das Comeback-Album der belgischen Indie-Institution “How To Replace It“ beginnt relativ aufregend, mit Pauken und Trompeten und der dringlichen Stimme von Sänger Tom Barman, verliert sich im Laufe des Albums aber etwas. Was bleibt ist manchmal fast belangloser („1989“), aber ansonsten weitestgehend grundsolider, sehr erwachsener, abwechslungsreich arrangierter Art-Rock, angelehnt an große Namen wie Leonard Cohen und Frank Zappa. (7,2 von 10 Punkten)

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dEUS - 1989 (Official Visualizer) | Bild: dEUSbe (via YouTube)

dEUS - 1989 (Official Visualizer)

FEH – Right On Song

FEH, das sind die Jazz- und Soulsängerin Julia Fehenberger, Manuel da Coll, fame of LaBrassBanda, Pollyester, MeerkatMeerkat und Cpt. Yossarian. Und sein Schwager Oliver da Coll Wrage, ebenfalls Gründungsmitglied von LaBrassBanda.  Zusammen machen sie TripHop, der schwer nach den 90’s klingt, nach Bands wie Moloko, vielleicht auch ein bisschen nach Portishead. Auf alle Fälle sehr jazzy, sehr soulful, dunkel-strahlend und die Beats immer sehr sehr verschleppt. Fehenberger und ihre beiden Mitmusiker kennen sich schon lange, die Idee zu FEH kam ihnen aber erst im Frühjahr 2021, damals lag die Welt noch im pandemiebedingten Winterschlaf. Die ersten Songideen haben sie dann auch nur digital ausgetauscht. Fehenberger schickte ihre Texte und Melodien direkt in die Cloud, Oliver da Coll Wrage steuerte Bass, Samples und Elektronik bei und Manuel da Coll übernahm den Part des Drummers und Produzenten. Was teilweise wie die Wiedergeburt von TripHop klingt, war gar nicht bewusst so geplant. Dazu Julia Fehenberger in der SZ: "Das Meiste ist spontan aus dem Moment heraus passiert und hat dadurch für uns auch auf eine Weise den Nerv dieser Zeit getroffen - dieses zeitlupenartige Gefühl des Stillstands zwischen Erschöpfung und Melancholie, in dem aber immer wieder mal eine Art schwebende Euphorie aufblitzte." Schön auch Geige und Bratsche von Evi Keglmaier und das Keyboard von Tom Jahn. Sie lassen den Sound von FEH noch verheißungsvoller schimmern. (7,8 von 10 Punkten)

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FEH - FOR WHAT | Bild: Trikont Unsere Stimme (via YouTube)

FEH - FOR WHAT

100 Gecs – 10.000 Gecs

Das Gegenteil von FEH heißt 100 Gecs und ist alles, nur nicht dubby, jazzy und soulful.100 Gecs galoppieren mit hochgepitschten Stimmen durch die Genres, machen ordentlich Krawall, das ist sozusagen ihr Spezialgebiet. Das Duo aus Los Angeles kann aber auch Anti-Folk und klingen wie die Moldy Peaches, wenn sie in dem Song „Frog On The Floor“ einen Frosch interviewen. Hochgeschwindigkeits-Ska haben sie auch im Programm („I Got My Tooth Removed“), genauso wie knallharten Crossover à la Rage Against The Machine („Billy Knows Jamie“). Laura Les und Dylan Brady sind die durchgeknallten Wunderkinder des Hyperpop, lieben es mit Nine Inch Nails-Riffs und Skrillex-Noise die Gehörgänge ihrer Fans bluten zu lassen. Und in ihren Texten sämtliche Illusionen, die man als junger Mensch haben kann genüsslich zu zermalmen. „Pop-Punk-meets-Hyperpop“. Manchmal schmerzhaft, aber immer ein großer süchtig machender Spaß, vor allem wenn man 14 ist und seine Eltern explodieren sehen möchte. (7,7 von 10 Punkten)

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100 gecs - Hollywood Baby {OFFICIAL VIDEO} | Bild: 100 gecs (via YouTube)

100 gecs - Hollywood Baby {OFFICIAL VIDEO}

Genevieve Artadi – Forever Forever

Das neue Album der in L.A. lebenden Genevieve Artadi erscheint auf dem Label Brainfeeder, diesem unglaublichen Kreativpool um Flying Lotus, Thundercat & Co. Sein Titeltrack „Forever Forever“ klingt schwer nach Stereolab. Aber das ist nur eine Assoziation von vielen, die man beim Hören dieses tollen Albums hat. Da steckt sehr viel Jazz drin, aber auch Avant Pop à la Talking Heads oder besagten Stereolab … und natürlich Electronica. Genevieve Artadi zündet ein ähnlich hybrides Feuerwerk wie 100 Gecs, nur dass sie davor nicht Carly Rae Jepsen, sondern Björk, Debussy und Duke Ellington gehört hat. (8 von 10 Punkten)

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Genevieve Artadi - 'Visionary' (Official Video) | Bild: GenevieveArtadi (via YouTube)

Genevieve Artadi - 'Visionary' (Official Video)