Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von den Sleaford Mods, Fever Ray und Frittenbude

Die Neuheiten der Woche im Überblick. Mit dabei unter anderem die neuen Alben von den Sleaford Mods, Fever Ray und Frittenbude.

Von: Ralf Summer

Stand: 09.03.2023

Das Albumcover von „„UK Grim“ von den Sleaford Mods | Bild: picture alliance / empics | -

Lichen Slow – „Rest Lurks“

„Lichen“ ist im Englischen die Flechte. Und „Lichen Slow“ ist das neue Duo von Malcolm Middleton, dem Kopf der schottischen Band Arab Strap. Dabei ist auch Joel Harries, der schon für Katie Melua und The Jazz Butcher gearbeitet hat. „Rest Lurks“ ist das Debüt der beiden und erscheint beim renommierten schottischen Label Rock Action, das von der Post-Rock-Band Mogwai betrieben wird. Oft beginnen „Lichen Slow“ die Songs mit Akustik-Gitarre, dazu harmonischer Gesang. Hier und da Shoegaze-Touch und pluckernde Indietronica-Sounds. Eine harmonische Platte, die man in eine Playlist zwischen Belle & Sebastian und The Broken Family Band packen kann. Vielleicht etwas aus der Zeit gefallen – aber womöglich ist dieses Debüt der Beginn einer weiteren Indie-Formation aus dem Norden Großbritanniens von Weltrang? Flechten sind extrem anpassungsfähig. (7,9 von 10 Punkten)

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Hobbies - Lichen Slow (Official video) | Bild: RockActionRecords (via YouTube)

Hobbies - Lichen Slow (Official video)

Fever Ray – „Radical Romantics“

Wir kennen Karin Dreijer als Stimme von The Knife, dem schwedischen Electro-Pop-Geschwister-Duo, gegründet 1999 in Stockholm mit Bruder Olof, das es jedoch seit 2014 nicht mehr gibt. Leider. Umso mehr freuen sich die Fans nun über ein Lebenszeichen. Karins exzentrisch angehauchtes Solo-Projekt mit leichtem Goth-Touch heißt Fever Ray. Album Nummer drei ist wieder voll mit avanciertem, experimentellem Electro-Sound – Olof hat mitproduziert. Ebenso wie Nídia, Vessel sowie Oscar-Gewinner Trent Reznor und Atticus Ross. Das Lied „Kandy“ ist ein wunderbar-wundersamer Fake-Karibik-Hit. Auf dem Album geht es um Außenseitertum, die Klimakatastrophe und die Liebe unter den Bedingungen des Kapitalismus. Auf dem Cover von „Radical Romantics“ sehen wir Karin Dreijer mit weiß-braun geschminktem Gesicht und seitlichem Haarkranz im mausgrauen Business-Anzug. Eine der diversen Rollen, die Karin für dieser Platte mimt. (8,1 von 10 Punkten)"

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Fever Ray - 'Kandy' (Official Video) | Bild: Fever Ray (via YouTube)

Fever Ray - 'Kandy' (Official Video)

Sleaford Mods – „UK Grim“

Die Sleaford Mods machen das Dutzend voll: Kaum zu glauben, aber Andrew und Jason liefern schon das zwölfte Album ab. Dabei ist Dry-Cleaning-Sängerin Florence Shaw, wodurch das coole „Force 10 From Navarone“ herausgekommen ist. Perry Errell von Jane's Addiction ist bei „So Trendy“ mit von der Partie. Die Sleaford Mods ätzen wie gewohnt: „Die Fäulnis hat eingesetzt“, klagt Jason Williamson – und nimmt sich dabei selbst nicht aus. Und mit „D.I.Why“ hinterfragen die beiden Musiker aus Nottingham tätowierte, bärtige Bands aus der D.I.Y.-Szene. Shitstorm-Gefahr! Um mehr musikalische Abwechslung zu erreichen, haben die Sleaford Mods „Midtempo-HipHop-Tracks und Banger“ auf der Platte – was man aber so gar nicht wahrnimmt. Kritik am falschen Platz? Zuhause im UK, wo sie schon in eine Reihe mit Bands gestellt werden, die wie The Clash oder Public Enemy als „Stimmen einer Generation“ gelten, legen sie mit „UK Grim“ bestimmt die vierte Top-10-Platte seit 2019 hin. (7,9 von 10 Punkten)

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Screenshot aus dem Musikvideo der Sleaford Mods ft. Florence Shaw zu "Force 10 From Navarone" | Bild: Sleaford Mods/ Florence Shaw

Sleaford Mods ft. Florence Shaw - Force 10 From Navarone (Official Video)

Frittenbude – „Apocalypse Wow“

Frittenbude ist ein Electro-Punk-Rap-Trio aus Geisenhausen bei Landshut, inzwischen in Berlin zum Duo geschrumpft. PULS kürte vor ein paar Jahren ihr Lied „Mindestens in 1000 Jahren“ zum besten jemals in Bayern aufgenommenen Song. Nun erscheint ihr siebtes Album „Apokalypse Wow“. Es beginnt mit der Solidaritäts-Hymne „Stoli”. Klingt wie immer. Obwohl Gitarrist Martin Steer ausgestiegen ist. Die neue Platte kommt auch nicht mehr auf dem Hamburger Label Audiolith raus, der deutschen Adresse für explizit linke, laute Popmusik. von Frittenbude hat nun seine eigene Plattenfirma gegründet: „Nachti“. So oder so: Die Mischung der drei lauten Jugendkulturen Rap, Rave und Rock bekommt nach wie vor und weit und breit niemand so catchy-gut hin wie Frittenbude. Jakob Häglsperger und Johannes „Strizi“ Rögner musizieren weiterhin gegen die Polizei, für die Gemeinschaft und gegen Rechte und Konservative: : Im Video zu „Sandradome“ bekommen sie ihr Fett weg, von Jörg Haider über die AfD bis Helmut Kohl. Während die Politik über Waffen für die Ukraine diskutiert, skandieren Frittenbude selbstironisch: „Komm, wir fahren mit dem Panzer, erst zum Macci, dann zum Tantra“. Ein schönes Bild für den Album-Titel: „Apokalypse Wow“. (8,1 von 10 Punkten)

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Frittenbude - Sandradome | Bild: Frittenbude (via YouTube)

Frittenbude - Sandradome

Cava – „Damage Control“

Was für eine Energie! Peppi und Mela bilden das Berliner Garagen-Girl-Duo, dessen Debüt nur so scheppert vor Punk, D.I.Y. und Wildheit. Auf „Damage Control“ hauen sie zwölf wüste, zweieinhalbminütige Kracher raus, dass man die beiden Berlinerinnen sofort live sehen will; ab 11.03. sind sie auf Tour. Alle Songs sind Englisch gesungen, nur bei „No Breakfast“ tauchen ein paar Fetzen Deutsch auf. Nicht dass man den Sound nicht kennen würde, aber sie rocken und pogen so herzerfrischend, dass man den Mosh-Pit-Schweiß förmlich riecht. Ihre Themen: Zuneigung, Schmerz, Depressionen, Leben, und der Tod. Das Stück „Copy & Paste“ ist, wie sie sagen, „ein Plädoyer für weniger (Lohn-)Arbeit, mehr Zeit für schöne Dinge und ein selbstbestimmtes Leben.“ Das sollte den beiden mit der Platte, die beim renommierten Buback-Label in Hamburg erscheint, hoffentlich bevorstehen. (8,4 von 10 Punkten)

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CAVA - Copy & Paste Me | Bild: Buback Tonträger (via YouTube)

CAVA - Copy & Paste Me

H. Hawkline – „Milk For Flowers“

Der Musiker aus Cardiff legt sein fünftes Album  vor – auf dem ihn Mitglieder der Band von Aldous Harding und PJ Harvey begleiten. Und, wie immer, die ebenfalls aus Wales stammende Cate Le Bon. Wie auch Huw Evans – so heißt H. Hawkline bürgerlich – immer auf ihren Alben mit von der Partie ist. Die Songs auf „Milk For Flowers“ bestechen durch seine helle, klare, freundliche Stimme. Teilweise schlägt er einen lässigen Piano-Swing an, inklusive 70er-Jahre-Glam, ganz so, als ob Randy Newman heute im Studio der Lemon Twigs aufschlagen würde. Was dann irgendwie flott und ungestüm wirkt. Dann bremst H. Hawkline und lässt melancholischen Gefühlen freien Lauf. Seine Lyrics sind wie „kleine, grüne Lebenskerne, gewachsen aus dem Humus der Tage, voller Hoffnung, die in sich die Blüten von Morgen tragen.“ Eine Hoffnung und Mischung, die das Zeug hat, dass er bei seinen drei Konzerten als Support von Aldous Harding im März und April dem Hauptact die Show stehlen könnte. (7,8 von 10 Punkten)

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H. Hawkline 'Milk For Flowers' | Bild: H Hawkline (via YouTube)

H. Hawkline 'Milk For Flowers'

Ali Farka Touré – „Voyageur“

Khruangbin haben 2022 mit seinem Sohn Vieux Farka Touré das gemeinsame Tribut-Werk „Ali“ veröffentlicht – eine Verbeugung vor dem verstorbenen „king of desert blues“. Nun erscheint das erste posthume Album des Gitarristen aus Mali – mit lauter unveröffentlichen Aufnahmen. Sohn Vieux hat es mit dem World-Circuit-Labelchef Nick Gold produziert. Damit gibt es erstmals seit dem Grammy-Gewinn 2010 wieder neue Lieder von Ali Farka Touré zu hören. Die Original-Aufnahmen entstanden über einen Zeitraum von 15 Jahren – in Studios, aber auch on the road. Denn Ali war immer unterwegs, ein „Voyageur“ eben. Leider keine Wertung möglich, da nur zwei Songs vorhörbar waren. (Keine Wertung)

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Ali Farka Touré - Voyageur - New Album (Trailer) | Bild: World Circuit Records (via YouTube)

Ali Farka Touré - Voyageur - New Album (Trailer)

Frankie Rose – „Love As Projection“

Sweet Synthie-Indie-Sound. Frankie Rose war bisher in Bands aus New York und Los Angeles unterwegs – wie Crystal Stilts, Dum Dum Girls oder Vivian Girls. Nach ihrem The-Cure-Cover-Album „Seventeen Seconds“ klingt sie auf ihrer fünften Solo-Platte weniger düster, sondern bisweilen auch richtig optimistisch. „Sixteen Ways“ erinnert an den Electro-Pop von Ladytron. Sie beruft sich aber auf die vergessene 80er-Band Strawberry Switchblade, ein schottisches Girl-Duo, das „wie die Bräute von Robert Smith von The Cure aussahen“. Womit sich der Kreis schließt. Der Song „Sleeping Night And Day“ arbeitet mit Kate-Bush-Sounds. Auch wenn wir viele Hooks und Refrains hören, geht es um Angst, Unbehagen und Wahrheit vs. Fake. Könnte der Startschuss für etwas Größeres für Frankie Madaline Rose aus Brooklyn sein. Vielleicht wird man sie künftig als Produzentin buchen. (7,6 von 10 Punkten)

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Frankie Rose  - Sixteen Ways (Official Video) | Bild: Slumberland Records (via YouTube)

Frankie Rose - Sixteen Ways (Official Video)

Shana Cleveland – „Manzanita“

Eine sphärisch-elegische Platte der US-Songwriterin zwischen Americana und Country. Shana Cleveland kennen die Fans von ihrer Band La Luz. La Luz ist eine vierköpfige Indie-Frauen-Band aus Seattle, die vor zehn Jahren loslegte. Zu ihrem eigenen neuen Album „Manzanita“ sagt Cleveland: „Eine Frühlingsplatte aus Kaliforniens Wildnis. Die Natur zeigt sich, alles blüht prächtig, aber auch komische Käfer tauchen im Haus auf.“ Shana war viel zuhause in letzter Zeit: Sie bekam ihr erstes Kind, aber leider auch eine Brustkrebs-Diagnose: „Wir sind nicht von der Natur getrennt, niemand ist das“, sagt sie. So wechseln sich auf dem Album Trost und Hoffnung ab, sie spielt hier gern instrumental die Folk-Gitarre und manchmal lässt sie auch die Pedal Steel Guitar weinen – wie bei „Mayonnaise“. Was psychedelisch wirkt und leuchtet. (7,7 von 10 Punkten)

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Shana Cleveland - Walking Through Morning Dew (Official Video) | Bild: Hardly Art Records (via YouTube)

Shana Cleveland - Walking Through Morning Dew (Official Video)

Lonnie Holley – „Oh Me, Oh My“

Lonney Holley hatte zuletzt mit dem Soul-Folkie Matthew E. White eine Platte aufgenommen. Die neue läuft nun allein unter Holleys Namen. Ein feierlich-souliger Ton zieht sich durch dieses Album. „Oh Me, Oh My“ zeigt uns einen Outsider-Artist auf Platte. Es helfen respektive singen mit unter anderen: Bon Iver, Michael Stipe, Moor Mother und Sharon Van Etten. Der 73-jährige US-Amerikaner wuchs bei verschiedenen Pflegeeltern, in Kinderheimen und auf der Straße auf. Er jobbte als Müllmann, sammelte Abfall und baute daraus Kunstwerke. Mit dem Album und dieser Gästeliste dürfte er seinen Geheimtipp-Status hinter sich lassen und kunstinteressiertes Publikum weltweit finden. Zumal mit diesem Mix aus Jazz, Poetry und Soul. (8,2 von 10 Punkten)

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Lonnie Holley - Oh Me, Oh My (feat. Michael Stipe) (Official Visualizer) | Bild: Lonnie Holley (via YouTube)

Lonnie Holley - Oh Me, Oh My (feat. Michael Stipe) (Official Visualizer)

Skee Mask – ISS009 EP

Bryan Müller steht nicht still: Der Münchner Elektronik-Wizard meldet sich mit vier Jungle- bzw. Drum-'n'-Bass-Tracks, die aber mit dem augenblicklichen Comeback-Hype der beiden 90er-UK-Dance-Genres nicht viel gemein haben. Sein Skee-Mask-Projekt fühlt sich dem Club, nicht dem Pop verpflichtet. Deep, bubby, dedicated kommt die EP daher. Kurz glaubt man, der Track „Studio 626“ sei in Wahrheit ein Comeback von Super_Collider (wieso machten die damals nur zwei Alben?!). „Reviver“ bleibt auch zwischen Tech und Drum 'n' Bass, der „Bandprobe Dub“ bildet einen weiteren Höhepunkt. Der US-Blog „Gorilla vs. Bear“ beschreibt es so: „Fire EP of intoxicating and immersive drum & bass-y techno.“ Favorit ist aber der Opener „UWLSD“ – danach will man sofort googeln: „Wie heißen die Klassiker des Ambient-Jungle nochmal?“ (8,3 von 10 Punkten)

Mehr zum Revival von Drum 'n' Bass hier.

Nia Archives | Bild: picture alliance / Newscom | Yukitaka Amemiya zum Artikel Revival Diese DJs und Producer machen Drum ’n’ Bass jünger, weiblicher und diverser

Drum ’n’ Bass hat seine Wurzeln in der Breakbeat-Szene der 80er. Nun erlebt das Genre ein Revival: An die Mischpulte drängen junge und diverse DJs und Producer, die Menschenmassen zum Tanzen bringen – im Club und auf TikTok. [mehr]