Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Jen Cloher, Slowthai, Macklemore und Helge Schneider

Die Neuheiten der Woche im Überblick. Mit dabei unter anderem die neuen Alben von Kali Uchis, Slowthai, Macklemore, Helge Schneider, Chiiild und Jen Cloher.

Author: Angie Portmann

Published at: 2-3-2023

Musiker Slowthai | Bild: George Muncey

Jen Cloher - I am the river, the river is me

Der Titel des neuen Jen Cloher-Albums "I am the river, the river is me" beruht auf einem alten Maori-Sprichwort. Dahinter steckt die Idee, dass wir alle ein Teil dieses wunderschönen Planeten sind. "I am the river, the river is me". Untrennbar miteinander verbunden. Cloher singt hier auch zum ersten Mal – zumindest teilweise – in ihrer Muttersprache, also der Sprache der Maori. Über die schlimmen Waldbrände, die 2019 und 2020 in Australien wüteten und dort so viel Natur, ja ganze Ökosysteme zerstört haben. Über den Kolonialismus. Aber auch über die LGBTQ+-Community bei den Maoris. Dementsprechend heißt dann auch der letzte Song auf dem Album "I am coming home". Aber auch schon davor klingt die Exfreundin von Courtney Barnett, als wär sie ganz bei sich angekommen, sehr klar und präsent. Thematisch etwas aus der Reihe fällt dabei der Song "My witch". Hier geht es ganz explizit um Sex. "I am the river, the river is me" ist ein mächtiges Album, selbst in seinen reduziertesten Momenten. Protestieren lässt sich auch leise. Jen Cloher weiß das. Die Melancholie von einst ist verflogen. Cloher hat ihre Heimat, ihre Community gefunden. Und wenn dann im Titelsong "I Am The River, The River Is Me" Maori-Chöre auftauchen, wird aus dem besungenen Fluss eine regelrechte Flut. Aus ruhigen Folkklängen mitreißender Indie-Rock. Tolles Album. (8 von 10 Punkten)

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Jen Cloher - My Witch (Official Video) | Bild: Jen Cloher (via YouTube)

Jen Cloher - My Witch (Official Video)

Slowthai – Ugly

"Nothing great about Britain", das Slowthai-Debut, war eines meiner Lieblingsalben 2019. Eine gnadenlos wütende Abrechnung mit dem Brexit-England, irgendwo zwischen Grime und Punk. Unvergessen damals auch sein Auftritt bei der Verleihung des Mercury Prize. Slowthai aus Northampton schwenkte eine Kopf-Atrappe von Premierminister Boris Johnson hin und her und schrie dazu: "Fuck Boris Johnson … there's nothing great about Britain". Jetzt also, vier Jahre später, Album Nr 3: "Ugly" – und Slowthai ist immer noch wütend. Schon der Albumopener ist eine Ansage: die schroffen Beats und der extrem druckvolle Rap erinnern an den Industrial-Sound von Bands wie den linken Kaliforniern Consolidated. Wobei Slowthai schon bald wieder einen Gang zurückschaltet und mit Songs wie dem eben gehörten "Selfish", "Sooner" oder "Feel good" grandiosen Post-Punk beziehungsweise Punk-Rock liefert. Catchy und rough. "Never again" beginnt dann sogar balladesk, um in ein an The Streets erinnerndes Neighbourhood-Drama zu münden. Grandioses Storytelling by the way. Slowthai rappt hier weniger, singt dafür mehr. Über sich selbst und sein direktes Umfeld und weniger über Great Britain generell. Was nicht heißt, dass der Adrenalin-Pegel bei Slowthai gesunken wäre. Auch was die eigene Person angeht, sprich Tyron Kaymone Frampton, gibt es genug, um sich drüber aufzuregen. Über die eigenen Dämonen, die Selbstzweifel, die Zerrissenheit. "One drink is never enough" vs. Slowthais neue Vaterrolle zum Beispiel. Musikalisch unterstützt wird Slowthai diesmal übrigens auch von den Fontaines D.C. Übrigens: Der Albumtitel "Ugly" steht für "U gotta love yourself". Aber nicht nur dich selbst, sondern auch dieses Album bitte. Schon jetzt eines meiner Alben des Jahres 2023. (8,5 von 10 Punkten)

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slowthai - Selfish (Official Video) | Bild: slowthai (via YouTube)

slowthai - Selfish (Official Video)

Steve Mason – Brothers & Sisters

Hier haben wir gleich noch einen Brexit-Hasser: Steve Mason, ehemals bei der von mir heißgeliebten Beta Band. Für sein fünftes Album "Brothers & Sisters" hat sich Steve Mason unter anderem den pakistanischen Sänger Javed Bashir ins Studio geholt. Plus etliche britische Gospelsänger*innen. Dazu Mason: "Für mich ist diese Platte ein riesiges "Fuck you" an den Brexit. Und ein riesiges "Fuck you" an alle, die Angst vor der Einwanderung haben, denn es gibt nichts, was die Einwanderung in dieses Land gebracht hat, das nicht zu begrüßen wäre." Soweit Steve Mason, der der Einwanderung seit kurzem auch seine pakistanische Ehefrau verdankt. Für sein fünftes Album hat er einen ganz neuen Ansatz gesucht (der letztendlich vom Output seiner Ex-Band, der Beta Band, gar nicht so weit entfernt ist). Wir hören psychedelischen Indie-Rave, der uns zurückkatapultiert in die frühen 90er, zu Bands wie Cornershop und Primal Scream. Uplifting, hypnotisch und … eskapistisch. Zwischen den Polen Rock’n’Roll und Acid House sucht Steve Mason gleich im ersten Song "Mars Man" nach der Rettung auf dem Mars. Frei nach dem erprobten Motto "Space is the place". Ein kosmischer Groove zieht sich durch dieses ausgesprochen gut gelaunte Album wie die Endlosschleife durch unsere Musikgeschichte. (7,9 von 10 Punkten)

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Steve Mason feat. Javed Bashir - No More (Official Video) | Bild: Domino Recording Co. (via YouTube)

Steve Mason feat. Javed Bashir - No More (Official Video)

Macklemore – Ben

Elf Jahre nach "Thrift shop" und seinem Debütalbum "The Heist" veröffentlicht Macklemore mit "Ben" sein drittes Album - benannt nach? Genau: ihm selbst, Benjamin Haggerty. "Ben" beginnt mit einem klassischen Macklemore-Song. Positiv und fröhlich. Der Rapper aus Seattle feiert sich selbst und seine Karriere, drogeninduzierte Nah-Tod-Erfahrungen inklusive. Gefolgt von beschwingten Pop-Songs mit 80’s-Touch. So weit so unspektakulär und etwas cheap. Doch plötzlich biegt der eben gehörte DJ Premier um die Ecke, fette Bläser, Polizeisirenen … wir switchen von den 80’s in die 90’s. Zum jazzy Oldschool-Rap von DJ Premier, einst Teil des famosen Hip Hop Duos Gang Starr und erfolgreicher Produzent und DJ, der u.a. schon mit Jay-Z, Mos Def und Nas zusammengearbeitet hat. Macklemore verbeugt sich hier musikalisch vor seinem Hero, seinem Idol. Und auch der nächste Track "Grime" groovt noch angenehm funky. Im düster sich dahin schleppenden, nicht uninteressanten "Faithful" klagt Macklemore über schlaflose Nächte, Schreibblockaden, Depressionen. "Tears" thematisiert eine toxische Beziehung, nämlich jene zwischen Macklemore und den Drogen. Kurz darauf stürzt sich unser Mann aus Seattle aber schon wieder in eine beschwingte Belanglosigkeit, gibt dem Mainstream, was er vermeintlich haben will, nämlich schrecklich harmlose Popsongs. Ein reichlich unentschlossener Typ, dieser "Ben", der es mit seinem dritten Album offensichtlich einfach allen recht machen möchte – was bekanntlich selten bis nie funktioniert. Zumindest nicht bei mir. (6,5 von 10 Punkten)

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MACKLEMORE - HEROES FT DJ PREMIER (OFFICIAL MUSIC VIDEO) | Bild: Macklemore (via YouTube)

MACKLEMORE - HEROES FT DJ PREMIER (OFFICIAL MUSIC VIDEO)

Helge Schneider – Torero

Es allen recht machen – nichts liegt Helge Schneider ferner als das. Jüngster Beweis: "Torero", das neue Album des Komikers und begnadeten Jazzmusikers. Helge Schneider versteht es wie kein anderer zu improvisieren. Und selbst wenn er es mal ausnahmsweise nicht tun sollte, klingt es trotzdem so. Immer sehr spontan und immer sehr lustig. Ok, fast immer. Das gilt auch für sein neues Album "Torero". Ein leichter Wüstenwind durchweht die ersten Songs, die passenderweise dann auch "The last Torero" oder "Horses" heißen. Eine Flamenco-Gitarre und Mariachi-Bläser tun ihr übriges. Man muss wissen: der aus Mülheim an der Ruhr stammende Helge Schneider lebt mittlerweile teilweise in Spanien … das hat wohl seine Spuren hinterlassen. Später erzählt uns Helge noch von seinen Essgewohnheiten, seinen Favoriten: Schokopudding, Schweinebraten und alles aus dem Garten. Dazu swingt er begeistert. Wär der Text nicht so gaga, könnte er damit auch in einer Jazzbar auftreten. Der Multiinstrumentalist Helge Schneider macht auch auf „Torero“ wieder, wofür ihn viele Fans so lieben: nämlich musikalisch hochversierten Quatsch. Und wenn er am Ende fleht, "Mutter komm zurück", schließlich müsse er jetzt alles alleine machen, Kohlen holen, Gardinen aufschienen, bekommt der Quatsch auch schnell einen doppelten Boden, ist man kurz ganz gerührt. Helge Schneider liebt man … oder man liebt ihn eben nicht. Ich plädiere für Ersteres. (7,9 von 10 Punkten)

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The Last Torero | Bild: Helge Schneider - Topic (via YouTube)

The Last Torero

Kali Uchis – Red Moon in Venus

Kali Uchis, die US-Amerikanerin mit kolumbianischen Wurzeln, ist vor allem in Nord- und Südamerika ein Star. Sie gehört zu jener Gruppe von Künstler*innen, die immer mehr dazu übergehen nicht nur englische, sondern auch spanische Songs zu veröffentlichen. Für 2023 hat Uchis deshalb auch gleich zwei Alben angekündigt, zuerst ein englisches und dann ein spanisches. Den Anfang macht "Red Moon in Venus". Ein hochromantischer Titel für ein vermutlich ebenso romantisches Album, in das leider vorab noch kein reinhören möglich war, von den Singles einmal abgesehen. Und die sind super smoother, sehr elegant produzierter R’n’B. Von einer Musikerin, die sich trotz ihres Megaerfolgs gesanglich angenehm zurückhält. Die Liste der Namen, mit denen Kali Uchis schon zusammengearbeitet hat, ist beeindruckend. Von Tyler, the Creator über Kaytranada, Gorillaz, Tame Impala bis zu SZA. Da Kali Uchis genretechnisch ein weites Feld abdeckt, ihre Songs von Jazz, Soul, Latin, Indie-Pop und zuletzt sogar House beeinflusst waren, ist für "Red Moon in Venus" auch noch alles offen. (ohne Wertung)

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Kali Uchis - I Wish you Roses (Official Music Video) | Bild: KaliUchisVEVO (via YouTube)

Kali Uchis - I Wish you Roses (Official Music Video)

Chiiild - Better Luck in the next Life

Leider ebenfalls noch unter Verschluss – das neue Album von Chiiild aus Kanada. Hinter Chiiild steckt der Kanadier Yonatan Ayal. Mit seinem schluffigen Bedroom-Pop, den er selbst "Synthetic Soul" nennt, bedient er ausgesprochen geschickt gleich zwei Lager: so sind seine bisher erschienenen perfekt produzierten Singles poppig genug um im Mainstream-Radio zu laufen, haben gleichzeitig aber auch einen herrlich psychedelischen Indie-Touch. Dazu Chiiild: "My aim with "Better Luck In The Next Life" is to give you a look inside my mind. Into the doubts and fears, ambitions, and a few connections along the way. It was a form of healing putting these real situations into songs. When everybody is out here on the same thing, we're just out here levitating." (ohne Wertung)

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Chiiild - Better Luck In The Next Life (Album Trailer) | Bild: ChiiildVEVO (via YouTube)

Chiiild - Better Luck In The Next Life (Album Trailer)

Xiu Xiu - Ignore grief

Der Kalifornier Jamie Stewart hat in den vergangenen 20 Jahren als Xiu Xiu schon die unterschiedlichsten Alben in den unterschiedlichsten Besetzungen veröffentlicht. Auf seinem letzten Album "Oh no" hatte er sich zum Beispiel für jeden Song einen anderen Gast ins Studio geladen. Die Liste reichte von Sharon van Etten bis Angus Andrew von den Liars. Diesmal hat sich Stewart den Gesang, beziehungsweise die mal geflüsterten, mal dramatisch geschrieenen Spoken-Word-Parts 50/50 aufgeteilt mit Angela Seo. Eine Stimme, die perfekt zu dem sehr düsteren Experimental-was-auch-immer-Pop von Xiu Xiu passt. Stewart wühlt wieder in den schrecklichsten Abgründen der menschlichen Existenz. Inspiriert von der Geschichte eines Mädchens, das von seiner Mutter zur Sexarbeit gezwungen wurde. Das sich in Alkohol- und Drogenabhängigkeit verloren hat. Und das sich dann nur mittels Selbstmord aus seiner Situation zu befreien wusste. Ein brutales Horror-Szenario, das Xiu Xiu aufs Verstörendste umsetzen. Das aber, laut Platteninfo, nicht oberflächlich schockieren möchte. Jamie Stewart geht es (wie immer) vielmehr darum, die Mechanismen des Grauens zu sezieren, zu erforschen, wie Horror auf uns wirkt, wie wir ihn verarbeiten (oder eben auch nicht). (7,8 von 10 Punkten)

Fakt ist: das neue Xiu Xiu-Album "Ignore grief“" ist definitiv eines der weirdesten Xiu Xiu-Alben (die generell an Weirdness kaum zu übertreffen sind). Die Tracks teilen sich auf in sehr, sehr experimentelle Klassik. Mit Streichern, Flöten, Bläsern, die die Grenzen der Spielbarkeit ausloten. Dem gegenüber steht ein nicht minder sperriger-Industrial-Noise, der ebenfalls hervorragend dafür geeignet ist, die ungemütlichsten, beklemmendsten Emotionen beim Hörer, der Hörerin hervorzurufen. Trotzdem extrem faszinierend, wie ein gut gemachter Horror-Film eben auch.

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Xiu Xiu - Maybae Baeby [OFFICIAL MUSIC VIDEO] | Bild: XiuXiuForLife (via YouTube)

Xiu Xiu - Maybae Baeby [OFFICIAL MUSIC VIDEO]