Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von u. a. Julien Baker & TORRES , Beirut, Tunde Adebimpe und Heavy Lungs

Unser wöchentlicher Neuheiten-Check mit The Concrete Boys, Tunde Adebimpe, Soft Play, Julien Baker & Torres, Beirut, Vandalisbin, Heavy Lungs, Adrian Younge, Rhiannon Giddens & Justin Robinson und Neil Young.

Von: Katja Engelhardt

Stand: 17.04.2025

Beirut | Bild: Lina Gaisser

The Concrete Boys – Everything’s Better Than You

Ein bisschen Indierock, bisschen Punk, bisschen Garage – diese Dänen toben sich aus und hier geht Flow über Ernsthaftigkeit. Das zeigt auch schon der Titel des Opening-Songs: „Uh Huh Yeah“. The Concrete Boys sind nun wirklich nicht dafür bekannt, sich sonderlich ernst zu nehmen. Das führt zu Songs wie der Vorabsingle „Boing“ mit einem Refrain, dessen Lyrics aus zig mal „Boing“ bestehen. Alles etwas albern und dabei herrlich mitreißend. Die Drei wissen, was sie tun, wenn sie mit Kinderstimmen arbeiten oder mit verstellten Stimmen singen – dabei so ungezügelt und unbeschwert klingen, als hätte sich der Cast von der Sesamstraße in eine Gruppe Druffis verwandelt: Alles bunt, alles ein bisschen überdreht. Eskapismus von einer Band, die ihr Handwerk versteht. (6 von 10 Punkten)

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The Concrete Boys - Uh Huh Yeah (Official Music Video)

Tunde Adebimpe – Thee Black Boltz

Tunde Adebimpe ist ja nicht nur Musiker, er ist auch Schauspieler und hat auch hinter den Kulissen des Filmgeschäfts gearbeitet – unter anderem für die MTV-Serie Celebrity Death Match, als Stars als Knetfiguren gegeneinander gekämpft haben und MTV noch Musik spielte. Aber sein Solo-Musiker-Dasein, das ist neu für den Frontmann der Brooklyner Band TV On The Radio, die mit arty Indierock und Soul eine Band der 00er Jahre ist, auf die sich alle einigen können. TV On The Radio sind – auch obwohl es kein neues Material gibt – bald auf Welt-Tour. Mitte/Ende Juni kommen sie nach Berlin und Wien. Und Frontmann Tunde Adebimpe wollte wissen: Wie geht das alles solo?

Ein paar Break-Up-Songs sind drauf auf dem Album, einige Parabeln hat es auch parat. Wie im Song „Ate The Moon“ – pure Kritik an einer Person, die ihre Unzulänglichkeit damit kompensiert, Macht anzuhäufen, damit sie am längeren Hebel sitzt. Na, denken Sie auch: „Hoppla, ich glaube, ich kenne die Inspiration aus den Medien?“ Tunde Adebimpe selbst sagt, dass man für solche Personen nicht allzu weit schauen muss.

Die Herausforderung an diesem Solo-Debütalbum wäre gewesen, seine Ideen selbst bis zum Ende durchzuarbeiten. Innerhalb seiner Band TV On The Radio wäre immer klar: Die anderen könnten aus jeder Songskizze etwas zaubern, sagt Tunde Adebimpe. Mir fehlt auf diesem Debüt an einigen Ecken und Enden tatsächlich etwas Geradlinigkeit. Zu viele Ideen. Die Songs, die brillant sind, sind zeitlos, andere erscheinen mir noch nicht ganz gar. (7 von 10 Punkten)

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Tunde Adebimpe - Somebody New (Official Video)

Soft Play – Heavier Jelly

Das Duo Soft Play bringt kein komplett neues Album raus, sondern eine erweiterte Variante des Vorgänger-Albums Heavy Jelly aus dem letzten Jahr. Um uns nicht zu verirren, heißt die längere Variante mit sechs neuen Songs: Heavier Jelly.

An dieser Stelle ein Mini-Abriss der Bandgeschichte: Soft Play, das brachiale Duo aus den UK, das hieß mal „Slaves“ und war unter dem Namen schon gut bekannt. Und hat dann gesagt: Wir fanden es mal eine gute Idee, uns „Sklaven“ zu nennen, aber wir sind reifer geworden und ändern jetzt unseren Namen in „Soft Play“. Das gab dann auch von sogenannten Fans einiges an Kritik: Solche Korrekturen, das wäre ja das Ende von Punk. Hat Isaac Holman und Laurie Vincent aber nicht weiter beeindruckt. Ihr erstes Album als Soft Play klang so gelöst und aufrichtig – ja, auch mit Witzen. Aber sie haben Gefühle gezeigt. Auf Pressefotos, auf denen sich die jahrelangen Freunde umarmen – und auch in den Songs. In einem der Stücke besingt Isaac Holman einen verstorbenen Freund, der Suizid begangen hat („Everything and Nothing“). Immer mit der Frage: Hätte es geholfen, wenn wir über unsere Gefühle gesprochen hätten?

Auf dem neuen Album folgt direkt im Anschluss noch ein Lied in diesem für Soft Play seltenen folkigen Stil – ein Song, der Hoffnung gibt, eine Art Antwort („Heavy Jelly“). Und danach: geht’s munter brachial weiter. Die neuen Songs hätten aber auch einfach eine EP bilden können. (8 von 10 Punkten)

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SOFT PLAY - Slushy (feat. Kate Nash) (Official Lyric Video)

Julien Baker & Torres – Send a Prayer My Way

Ein Country-Album zu machen, die Idee hätten Julien Baker und Torres schon länger gehabt. Unser Glück, dass sie die in die Tat umgesetzt haben. Eine Weile schon machen auch Popstars Country – und auch Artists, die man nicht direkt mit dem Genre verbinden würde, weil es ein sehr konservatives Image hat. Ich denk da an Beyoncé natürlich, letztes Jahr mit „Cowboy Carter“, oder an den schwulen Sänger Orville Peck. Und dann gibt es Bands wie Lavender Country, die in den 70ern schon queeren Country gemacht haben und vor einigen Jahren wiederentdeckt worden sind. Nun also Country mit lesbischen Geschichten von Julien Baker und Torres.

Torres und Julien Baker kapern nicht das Genre, sie sind Teil davon. Ihr Country auf Send a Prayer My Way ist bodenständig, da wird sich noch mit dem Auto abgeholt und gewartet, bis die andere sich fertig gemacht hat, da gibt’s Schichten im Restaurant. Überhaupt wird auf das Love Interest gewartet, mehr oder weniger zuversichtlich. Julien Baker hat zuletzt als Teil der Band Boygenius einen Grammy abgestaubt – vielleicht gibt’s hierfür ja auch einen? (9 von 10 Punkten)

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Julien Baker & TORRES - "Sugar in the Tank" (Official Music Video)

Beirut – A Study of Losses

Als ich gelesen habe, dass Beirut den Soundtrack für eine akrobatische Bühnenshow von einem schwedischen Zirkus geschrieben hat – da dachte ich: Ganz schlechte Idee. Weil ich an Pomp gedacht habe und mich gefragt hab, wo denn da Platz sein soll für Beiruts Melancholie? Was das für eine Show ist, verstehe ich zwar immer noch nicht. Aber jetzt ist das Album da, und Zach Condon, alias Beirut, hat kein bisschen Melancholie opfern müssen. Sein Album A Study of Losses ist so Beirut, wie ein Album nur Beirut sein kann.

Inspiriert ist es von einem Buch der deutschen Autorin Judith Schalansky – 2018 im Suhrkamp Verlag erschienen: Verzeichnis einiger Verluste. Darin zählt sie Vergessenes auf – die Werke der Dichterin Sappho, aber auch Gefundenes, etwa Haarbüschel von George Washington. Das Vergessen und Vergessenwerden greift Beirut auf: ausgestorbene Tierarten, Kultur-Objekte und Menschen, die es nicht mehr gibt. Beirut bricht die Komplexität von Leben und Sterben aufs Berührendste und Banalste herunter: „You’re also dying“ („Caspian Tiger“) oder auch „I know your hair goes grey, I see the colour fade“ („Garbo’s Face“). Das Tröstliche im Strudel der Vergänglichkeit ist aber natürlich: Wenn wir benennen, was verschollen ist, dann ist es nicht ganz weg. Das ist auch ein Trost auf dem neuen Album von Zach Condon alias Beirut, das auf Pompeii Records rauskommt – seinem eigenen Label. (8 von 10 Punkten)

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Tuanaki Atoll

Vandalisbin – Tape 1: Bottle of Wisdom

Es klingt ja wirklich wie aus einem Film: Die Münchnerin Helena Niederstraßer hat mal Musik gemacht auf dem Münchner Stachus – das ist wirklich Mitte Innenstadt – und hat Songs gesungen von der Band AnnenMayKantereit, die ja selbst angefangen haben mit Straßenmusik. So geht die weitergereichte Geschichte. Helena Niederstraßer ist Musikerin, nennt sich Vandalisbin – eine Wortmischung aus „Vandalism“ und „Lesbian“ – und hat gerade ihre erste EP draußen: Indierock, Soul und Indiepop, steckt alles drin.

Helena Niederstraßer hat eine Jazzausbildung absolviert, ist Schlagzeugerin und nun auch Frontfrau. Sie singt von Liebe, mentaler Gesundheit, von Rassismus oder auch weißen Freundinnen, die auch etwas reflektierter sein könnten – mal mit einem Augenzwinkern und oft mit einem ordentlichen Schuss Dramatik, der mir sehr gut gefällt. Ende April spielt sie ihre EP-Release-Show in München und ist dann immer wieder unterwegs – im Juli nochmal in Passau. Es lohnt sich aber sicher, immer wieder die Konzertdaten von Vandalisbin zu checken. (7 von 10 Punkten)

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Bottle of Wisdom

Heavy Lungs – Caviar

In zehn Tagen haben Heavy Lungs aus Bristol Caviar aufgenommen. Das Tempo zeigt sich auch auf den Aufnahmen. Dieses Album ist ein etwa 30 Minuten langer Knall – schon auf dem Albumopener wird zackig gerufen: „Yes Chef!“ Da malt man sich direkt den Alltag in einer Küche aus: Alle sind unter Druck, Anweisungen werden schnell ausgeführt und nicht hinterfragt. Ich finde das vor allem lustig, weil wir auch durch die renommierte Serie The Bear und gefühlt tausende TV-Kochshows eine gewisse Romantisierung vom professionellen Kochen erleben. Tatsache ist: Dieser Song ist aber auch eine Ode an die Küche – gewissermaßen. Zwei Bandmitglieder, Sänger Danny Nedelko und der Bassist James Minchall, haben sich bei der Arbeit in einer Restaurantküche kennengelernt.

Da passt auch der kulinarische Albumtitel „Caviar“. Der steht symbolisch für Wohlstand – vor allem einen Wohlstand, den die Bandmitglieder aktuell nicht erreichen könnten, sagt Frontmann Danny Nedelko. Den wir auch durch den gleichnamigen Hit der Idles kennen. Das zweite Album der Band kommt auf einem für sie neuen Label: FatCat Records. Anfang Mai spielen sie in München und dann in Berlin.
(9 von 10 Punkten)

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Heavy Lungs - Caviar (live @ Karmakoma, Beograd 21.02.2025)

Adrian Younge – Something About April III

Sie ist vollendet, die Trilogie von Adrian Younge – mit dem neuen Album Something About April III. Für diese Platte hat Adrian Younge ein ganzes Orchester dirigiert: 30 Musiker:innen. Und Gesänge, aufgenommen in einem der letzten Analogstudios von São Paulo, heißt es im Pressetext. Adrian Younge ist ein Dauergast bei uns – mit seinen vielen Veröffentlichungen mit unterschiedlichsten Gästen. Und ein Nerd! Wie das aussieht, das zeigt er in einem kurzen Video auf Instagram: Er schreitet mit Hut und in Jackett sehr lässig und wichtig durch ein Studio, Sängerinnen sind auch da – immer wieder gut zu sehen: die Tonbänder, auf denen aufgenommen wird – ja, Tonbänder!

Inspiriert haben ihn Soul und brasilianische Platten, die Songtitel sind portugiesisch. Wir sollen hier an Filmmusik denken aus den 60ern oder 70ern. Wir sollen Lust bekommen auf Vinylplatten und analoge Fotos. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dieses Album künftig als Sample-Schatzkiste verwendet wird. Und damit meine ich: von der nächsten Generation. Rapper wie Ghostface Killah, Snoop Dogg und Jay-Z kennen Adrian Younge natürlich schon längst – diesen virtuosen Multiinstrumentalisten aus LA.
(8 von 10 Punkten)

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"Ainda Preciso do Sol" Official Music Video - Adrian Younge

Rhiannon Giddens & Justin Robinson – What Did the Blackbird Say to the Crow

Das Analoge schätzen auch Rhiannon Giddens & Justin Robinson. Die beiden haben mal gemeinsam in der Band Carolina Chocolate Drops gespielt und jetzt ein Album aufgenommen mit Standards aus North Carolina – Geigen- und Banjo-Standards. Auf dem Album What Did the Blackbird Say to the Crow sind 18 Songs, zu denen ich am liebsten ein Glossar dazubekommen hätte. Das Duo sagt: „Stellen wir uns vor, dass man auf einem Schotterweg oder einer unbefestigten Straße zurückgeht, während eine Massenpanik in die andere Richtung läuft.“

Dieses Album wurde draußen aufgenommen, manchmal hört man auch ein paar Vögel zwitschern und Grillen zirpen. Manche der Aufnahmen sind auf dem YouTube-Kanal von Giddens zu sehen. Die Songs sind traditionell, und wir sollen auch gar nicht so sehr an die Gegenwart denken, wenn es nach Rhiannon Giddens und Justin Robinson geht. Sondern daran, wie Musik früher war: live, direkt, nicht nur für die große Menge aufgenommen, sondern auch einfach mal für sich gespielt. So richtig US-amerikanisch auf der front porch, auf der Veranda. Was ja auch den Nebeneffekt hat, dass man selbst Teil der Musik ist. Vielleicht zuhörend, vielleicht ja aber auch Musik machend – und wenn es nur das leichte Trommeln mit den Fingern auf dem Veranda-Geländer ist.
(7 von 10 Punkten)

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Rhiannon Giddens & Justin Robinson - John Henry (Official Video)

Neil Young – Coastal Soundtrack

Ein richtig neues Album von Neil Young erwartet uns nicht, aber immerhin der Soundtrack zu einer Doku über ihn: Coastal – seine erste Tour nach der Pandemie. Die Kino-Doku wurde gemacht von Daryl Hannah – Neil Youngs Ehefrau. Die als Schauspielerin bekannt ist, unter anderem aus den Kult-Filmen Blade Runner und Kill Bill – oder als Umweltaktivistin. Vorab war aus dem Soundtrack nur eine Single zu hören.
(Keine Bewertung)

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Neil Young: Coastal – Official Trailer

Anm. der Red: Wie immer gilt: die digitale Veröffentlichung kommt meist zuerst. Seht es euren Plattenläden nach, wenn sie die LP/CD noch nicht vorrätig haben.