Bayern 2 - Nachtmix


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Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Slowthai, Django Django und Claud

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's u. a. von Django Django, Claud, Dominique Fils-Aimé, Clap Your Hands Say Yeah, Princess goes to the Butterfly Museum, Sia, Audio88 & Yassin, Mush, Chuck Johnson und die Detroiter Tech-House Supergroup 3 Chairs (Moodymann/Parrish)

Von: Angie Portmann

Stand: 11.02.2021

Cover: 3 Chairs Collection (1997 - 2013) | Bild: Three Chairs

Django Django – Glowing in the dark

Nennt es wie ihr wollt: poppigen Krautrock, psychedelischen Art-Pop, experimentellen Indie-Rave oder Beta Band-Reinkarnation – egal. Django Django klingen auch diesmal wieder verdammt uplifting und gleichzeitig herrlich entrückt. Auf ihrem vierten Album „Glowing in the Dark“ kreisen die Briten nicht nur begeistert um repetitive Gitarrenmuster und einen geloopten Beat, auch die Themen wiederholen sich …. immer wieder geht‘s um die Flucht aus dem Hier und Jetzt, weg von jeglichen Zwängen, weg von dieser verrückten Welt, Schwerkraft ade. „Free from gravity“ als universales Heilmittel. Dabei ist gerade auf Stücken wie dem Titelsong „Glowing in the dark“ der Einfluss von Dave McLean zu hören, seines Zeichens, Schlagzeuger und Produzent der Band und dazu ausgewiesener Jungle-Fan. Als Gast mit dabei: Charlotte Gainsbourg, hier in der Rolle der ätherischen Dream-Pop-Fee. Das klingt meistens interessant, manchmal sogar hypnotisch und eignet sich tatsächlich ganz hervorragend für eine kleine Eskapismus-Runde zwischendurch. (7,9 von 10 Punkten)

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Django Django - Glowing In The Dark (Official Video) | Bild: Django Django (via YouTube)

Django Django - Glowing In The Dark (Official Video)

Slowthai  - Tyron

2019 veröffentlichte Slowthai eins meiner HipHop-Alben des Jahres. Sein Debüt „Nothing great about Britain“ war eine gnadenlose Abrechnung mit dem Brexit-England. Spätestens seit seinem Auftritt bei der Verleihung des Mercury Prize vor eineinhalb Jahren kennt ihn auch ganz Great Britain. Slowthai schwenkte damals den abgetrennten Kopf von Premierminister Boris Johnson hin und her und schrie dazu: „Fuck Boris Johnson … there’s nothing great about Britain“. Diesem denkwürdigen Auftritt folgte ein gewaltiger Shitstorm, dem Slowthai jetzt einen Song gewidmet hat, Titel: „Cancelled“ feat. Skepta. Ein kritischer Kommentar zum Thema Cancel Culture, die bekanntlich großen Namen (und dazu gehört Slowthai zweifelsohne mittlerweile auch) wenig anhaben kann, kleinen aber dafür umso mehr.

Tyron Frampton aka Slowthai ist in einem abgefuckten Viertel in Northampton aufgewachsen - dementsprechend düster und apokalyptisch war sein Debüt, stilistisch zwischen einem frühen Dizzee Rascal und den Sleaford Mods angesiedelt. Ein wütendes Protestalbum zwischen Grime und Punk. Album Nummer zwei dreht sich jetzt vor allem um Tyron Frampton selbst, heißt konsequenterweise dann auch „Tyron“ und funktioniert nach dem Yin-Yang-Prinzip. Zwei konträre Seiten stehen sich hier gegenüber, ergänzen sich im besten Fall, zeigen quasi die ganze emotionale Bandbreite des 26-jährigen Briten. Im ersten Teil des Albums präsentiert sich Slowthai mehr oder weniger gewohnt kämpferisch und überdreht (alle Songs sind hier auch in Großbuchstaben geschrieben). Im zweiten Teil wird’s ruhiger, melodischer, die Stimmung nachdenklicher, die Beats und Rhymes smoother. Slowthai zeigt sich hier von einer völlig neuen, introvertierten Seite. Toll ist da z.B. das minimalistisch-fragile “Push”, aber auch „NHS“, ein Song, der dem britischen Gesundheitssystem und seinen unermüdlichen Helfern gewidmet ist, klingt grandios. Und mit „Feel away“ (mit James Blake und Mount Kimbie als Featuregästen) hat Slowthai sogar einen so soulful wie minimalistischen Slowmotion-Song im Tirzah-Style im Programm. „Feel away“ ist seinem verstorbenen Bruder gewidmet. Tyron war acht als er starb. „Ich tue alles in meiner Macht stehende, um für ihn zu leben und ihn stolz zu machen.“ Diese neue Verletzlichkeit steht Slowthai, wie ich finde, ausgesprochen gut. (8,5 von 10 Punkten)

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slowthai, A$AP Rocky - MAZZA | Bild: slowthaiVEVO (via YouTube)

slowthai, A$AP Rocky - MAZZA

Claud – Super Monster

Phoebe Bridgers, gefeierte Singer/Songwriterin aus LA mit eigenem Label, hat als erstes Signing Claud unter Vertrag genommen. Der Bedroom- bzw. Indie-Pop der nicht binären MusikerIn Claud aus Chicago ist nicht wirklich innovativ, hätte vermutlich auch schon in den 90ern bzw. Nuller Jahren erscheinen können, klingt aber super sympathisch. „Super Monster“, so der Titel des Debüts, ist ein berührendes Coming of Age-Album. Es geht um Ängste, Beziehungen aller Art und natürlich die Liebe, die so schrecklich kompliziert sein kann. Mellow im Grundton, aber gespickt mit extrem eingängigen Hooks. Wie z.B. einer meiner Favs auf dem Album, das wunderschöne „Softspot“, in dem es um das Ende einer Beziehung geht, ein Ende, dass man nicht wirklich wahrhaben will. (7,8 von 10 Punkten)

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Claud - Soft Spot (Official Video) | Bild: Claud (via YouTube)

Claud - Soft Spot (Official Video)

Dominique Fils-Aimé – Three little words

Die Kanadierin blickt mit ihrer Musik ja gerne zurück auf langvergangene Jahrzehnte. Ihre Plattenfirma nennt Ikonen wie Billie Holiday, Etta James oder Nina Simone als ihre Inspirationsquellen. Das mögen vielleicht Einflüsse gewesen sein – und das Vorgängeralben „Stay tuned“ ist ja auch tatsächlich ein tolles Jazz-Album. Aber Album Nummer 3 der Sängerin und Songwriterin aus Montreal widmet sich diesmal dem Soul. Und der klingt leider allzu glatt und gefällig, ist viel zu perfekt produziert. Kann, Achtung, Spuren von Soul und Jazz enthalten, mehr aber leider auch nicht. Das ist sehr schade, denn die Alben davor waren wirklich toll, die Stimme der Kanadierin umwerfend und der Juno-Award völlig verdient. (6,5 von 10 Punkten)

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Dominique Fils-Aimé I Mind Made Up | Bild: Dominique Fils-Aimé (via YouTube)

Dominique Fils-Aimé I Mind Made Up

Audio88 & Yassin – Todesliste

Die beiden Berliner MCs Audio88 & Yassin holen auf ihrem fünften Album mit dem beruhigenden Titel „Todesliste“ erneut zum Rundumschlag aus. Alles wird sich vorgeknöpft: Weltpolitik, Zeitgeist, Verschwörungstheorien, kranke Medien und ein noch krankeres Konsumverhalten, die HipHop-Szene, mit gekauften Klicks und schlechten Kopien, Faschisten, Rassisten und die AFD. Die Laune ist dementsprechend schlecht, die Rhymes dafür wieder vorzüglich. Dazu der fette Kabul Fire-Beat von Farhot, das sitzt. Auf die sperrige „Herrengedeck“-Ära (2009-2011) folgte der Klassiker „Normaler Samt“, der vom Juice Magazin 2015 zum besten deutschsprachigen Album gekürt wurde. Nach anschließenden Soloprojekten sind die beiden MCs jetzt wieder gemeinsam unterwegs und liefern eine schonungslose Bestandsaufnahme der aktuellen, finsteren Situation. (7,7 von 10 Punkten)

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Audio88 & Yassin - SCHLECHTES GEWISSEN (Offizielles Video) | Bild: Yassin (via YouTube)

Audio88 & Yassin - SCHLECHTES GEWISSEN (Offizielles Video)

Sia – Music

Wär das Leben ein Sia Song, so wäre es toujours knallbunt, unkompliziert und gut gelaunt. Ist es aber nicht. Deshalb war es auch keine gute Idee von Sia, einen Kinofilm bzw. Musical zu konzipieren, der knallbunt, unkompliziert und gut gelaunt daherkommt … und in dem ein autistisches Mädchen die Hauptrolle spielt. Zumal dieses Mädchen namens „Music“ von einer nicht-autistischen Schauspielerin gespielt wird. Das hat Sia eine Menge Ärger eingebracht in den letzten Wochen und Monaten, die autistische Community hat diese Unsensibilität massiv kritisiert. Worauf Sia reichlich unsouverän reagiert hat und einfach ihren Twitter-Acount gelöscht hat. Morgen feiert nun nicht nur das Regie-Debüt des australischen Mega-Stars als Stream Premiere, sondern auch der Soundtrack. Auf diesem Soundtrack reiht sich ein knallbunter, unkomplizierter, mehr oder weniger gut gelaunter Sia-Song an den anderen. Fast die Hälfte davon wurde vorab schon als Single veröffentlicht, sprich hier gibt’s Pop-Knaller am Fließband („Together“, „Hey boy“, „Floating through space”, “Courage to change” und “Saved my life”). Nicht für mich, aber für Sia Fans vermutlich ein Fest. (6 von 10 Punkten)

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Sia - Music (Audio) | Bild: Sia (via YouTube)

Sia - Music (Audio)

Clap Your Hands Say Yeah – New fragility

Ich muss gestehen, über die Jahre hat mein Interesse an Clap Your Hands Say Yeah stark nachgelassen. In ihren Anfangstagen war die Band um Sänger Alec Ounsworth noch ein aufregender Talking Heads-Wiedergänger, für so manch einen waren die New Yorker sogar die nächsten Arcade Fire. Auch dass Clap Your Hands Say Yeah eine klassische DIY-Band war (und bis heute ist), ohne Plattenfirma und anfangs sogar noch ohne Vertrieb, auch das hat mich beeindruckt. Heute, 16 Jahre später, gehört es schon fast zum guten Ton für eine Indie-Band, dass sie ihre Alben selbst veröffentlicht.Und auch die Melange aus unberechenbaren Melodien und schrägem Gesang hat über die Jahre an Faszination verloren. Auch wenn Alec Ounsworth seinem Trademark-Sound treu geblieben ist, fehlt ihm mittlerweile die Band, die auf seine Eskapaden reagiert. Stattdessen ist das Ganze mehr oder weniger zu einer etwas erschöpft wirkenden One-Man-Band geschrumpft mit Alec Ounsworth als einzigem Bandmitglied, schade. (6,8 von 10 Punkten)

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Where They Perform Miracles (Official Audio) | Bild: Clap Your Hands Say Yeah (via YouTube)

Where They Perform Miracles (Official Audio)

Princess goes to the Butterfly Museum – Thanks for coming

Es gab definitiv schon peinlichere Auftritte von Schauspielern am Gesangsmikro. Michael C. Hall (Dexter, Six Feet Under) macht seine Sache nicht schlecht. Aber Hall war auch schon in der Rolle des verzweifelten Außerirdischen im gefeierten David Bowie-Musical „Lazarus“ zu sehen – da scheint er schon auf den Geschmack gekommen zu sein. Am Broadway lernte er auch Peter Yanowitz kennen, der schon zusammen mit Bob Dylans Sohn Jakob in der Folkrock-Band The Wallflowers gespielt hatte. Zusammen mit dem New Yorker Multiinstrumentalisten Matt Katz-Bohen (fame of Blondie) macht das Trio jetzt aus der Zeit gefallenen, meist düsteren Elektro-Rock. Über weite Strecken atmosphärisch und gediegen. Manchmal tanzbar im Ed Banger-Style und gegen Ende sogar brachial in Richtung Nine Inch Nails gehend („Sideways“, „Angela Peacock“). Dexter Fans dürften sich auf alle Fälle freuen, denn mit „Thanks for Coming“, dem Debütalbum von Princess goes to the Butterfly Museum, kommt auch die Nachricht, dass es noch in diesem Jahr eine Staffel 9 geben soll. Mit Michael C. Hall in der Rolle des serienkillenden Forensikers. (6,9 von 10 Punkten)

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Princess Goes To The Butterfly Museum - Armageddon Suite | Bild: Princess Goes To The Butterfly Museum (via YouTube)

Princess Goes To The Butterfly Museum - Armageddon Suite

Mush - Lines redactet

Es ist nicht mal ein Jahr her, dass Mush aus Leeds ihr Debüt veröffentlicht haben … und schon wird mit „Lines redacted“ nachgelegt. Ein Song daraus, „Hazmat Suits“, ist ein Song über Schutzanzüge. Mush haben ihn schon vor der Pandemie geschrieben. Als Sänger Dan Hyndman allerdings im März vergangenen Jahres Menschen in Schutzanzügen im Zentrum von Leeds ein Gebäude betreten sah, hat er den Song noch mal umgeschrieben, den Text der dystopischen Realität angepasst. 

Mush gehören zu den vielen tollen neuen Gitarrenbands, die gerade aus Great Britain zu uns herüberwandern. Die Gitarren tänzeln in schönster Pavement-Manier, die Stimme von Sänger Dan Hyndman torkelt nervös und übellaunig durch die Songs. Man denkt an die Sleaford Mods, an The Fall, aber auch an Shame oder die frühen Parquet Courts. Hyperaktiv und präzise. Weird und zugleich catchy. Postpunk mit Popappeal. Eine gut geölte Band-Maschine, die auch der Tod ihres Gitarristen Steven Tyson im Dezember des vergangenen Jahres nicht stoppen konnte. (7,8 von 10 Punkten)

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Mush - Seven Trumpets (Official Audio) | Bild: Memphis Industries (via YouTube)

Mush - Seven Trumpets (Official Audio)

3 Chairs – 3 Chairs Collection 1997 – 2013

3 Chairs, das sind Kenny Dixon Jr. aka Moodymann, Theo Parrish, Marcellus Pittmann und Rick Wilhite. Eine Tech House-Supergroup, bestehend aus vier Produzentenlegenden, die den House-Sound von Detroit geprägt haben wie nur wenig andere. Da vieles hier bisher nur als Vinyl zu haben war, wird diese die Jahre 1997 bis 2013 umfassende Compilation auf Bandcamp gerade sehr gefeiert. Zu Recht wie ich finde. Hier klingt alles deep, elegant und sehr soulful, Jazz trifft auf Techno trifft auf House. Marcellus Pittman hat übrigens mal gesagt, regelmäßig in den Plattenladen zu gehen sei wichtiger als im Supermarkt einzukaufen. Da ersteres momentan nicht wirklich möglich ist, trösten uns die vier mit dieser wunderbaren fast vier Stunden umfassenden Werkschau. (8 von 10 Punkten)


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