Bayern 2 - Nachtmix

Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Everything But The Girl, Mars Volta und Alfa Mist

Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's von u. a. Everything But The Girl, Alfa Mist, Mars Volta, Enter Shikari, Lael Neale, Pearl and the Oyster, Fred & Luna und Eli Preiss.

Author: Angie Portmann

Published at: 13-4-2023

Alfa Mist | Bild: ANTI-Records

Everthing But The Girl

Sofort weiß man wieder, was man vermisst hat: zum einen, natürlich, die Stimme von Tracey Thorn. Vielleicht etwas rauer, dunkler mit den Jahren, aber immer noch wunderbar schwebend. Ihre bittersüßen Texte, die so unter die Haut gehen. „I need a thicker skin. This pain keeps getting in …“.  Und dazu die Synthieflächen von Ben Watt. Alles sehr sehr stilvoll…24 Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Album ist das Duo Thorn/Watt zurück. Ein Comeback, mit dem keiner so wirklich gerechnet hat. Tracey Thorn und Ben Watt eigentlich auch nicht. Sie hatten sich nach ihrer letzten Platte vor fast einem Vierteljahrhundert getrennt - beruflich, nicht privat. Haben die drei gemeinsamen Kinder großgezogen. Nebenbei hatten beide ihre Soloprojekte. Wegen seiner Autoimmunkrankheit musste sich Ben Watt während der Pandemie zuhause verschanzen. Da schlug Tracey Thorn vor, es musikalisch doch nochmal miteinander zu versuchen. Alles auf Anfang sozusagen…

Beatlastigere Stücke („Nothing left to lose“, „Caution to the wind“, „Forever”) wechseln sich ab mit langsameren, sehr soulfulen Songs („Run a red light“, “Time and time again“). Dazwischen etwas irritierende Autotune-Experimente („When you mess up”), und das berührende „Lost“, ein Song zum Thema Verlust. Von Koffern bis zur eigenen Mutter. Großartige Melodien, elegante Produktion – chapeau! Man kann „Fuse“ ohne weiteres sehr schön finden, so manches Stück sogar ganz fabelhaft … nur gegen Ende gleiten die Songs etwas überraschungsarm dahin, elegant, wie gesagt, aber vielleicht etwas zu zurückhaltend. (8 von 10 Punkten)

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Everything But The Girl - No One Knows We're Dancing (Lyric Video) | Bild: EBTGVEVO (via YouTube)

Everything But The Girl - No One Knows We're Dancing (Lyric Video)

Alfa Mist

Der Londoner Musiker und Produzent Alfa Mist ist ein formidabler Beatbastler und Jazzhead, ein absoluter Glücksfall für die junge britische Jazz-Szene. Er wandelt wie selbstverständlich zwischen den Welten, verbindet live eingespielten Jazz mit HipHop und Soul als wär er schon in den 90ern mit A Tribe Called Quest oder De La Soul auf der Bühne gestanden. Manchmal sprechsingt er sogar selbst, ist vielleicht kein Ghostpoet, macht seine Sache aber nicht schlecht. Vielleicht nicht unbedingt als MC, aber als Musiker und Produzent ist Alfa Mist definitiv eine Nummer - als solcher produziert er für Loyle Carner, komponiert für das London Contemporary Orchestra oder bearbeitet Stücke von Olafur Arnalds. Auf seinem Album „Variables“ feiert der Brite die neu gewonnene Post-Pandemie-Freiheit mit exzessiven Jazz-Abfahrten – endlich wieder live spielen, hurra! Zitat Alfa Mist: "Es fühlt sich an, als ob ich zu meinen frühen Tagen zurückkehre, in denen ich Grime-Beats gemacht habe und Tracks kreiert habe, bei denen ich schnell mit dem Kopf wippen wollte." Nur ab und zu schaltet der Brite einen Gang zurück, so auch auf „Aged eyes“, einer sehr smoothen Soul-Jazz-Nummer mit Kaya Thomas-Dyke. Eine Stimme, die übrigens auf fast allen seinen Alben auftaucht, und das sind immerhin sechs mittlerweile. (7,9 von 10 Punkten)

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Alfa Mist - "Apho (feat. Bongeziwe Mabandla)" | Bild: Alfa Mist (via YouTube)

Alfa Mist - "Apho (feat. Bongeziwe Mabandla)"

Mars Volta

Mars Volta, diese Verrückten. Das muss man sich erstmal trauen. Mit dieser Vorgeschichte. Bis 2001 waren Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodríguez-López Teil der grandiosen Post-Hardcore-Band At The Drive-In. Nach der Trennung gründeten die beiden Musiker mit mexikanisch-puertoricanischen Wurzeln The Mars Volta, haben Progressive mit Latin-Rock kombiniert und regelrechte Prog-Epen veröffentlicht. 2022, nach zehn Jahren Mars Volta-Pause, dann schon der erste Schock für die Fans. Mars Volta haben ihren überdrehten Latin-Prog begraben und machen … Pop, komplex und spannend, aber eben keinen wahnwitzigen Prog-Rock mehr. Und setzen jetzt sogar noch eins drauf, haben ihren Sound weiter runtergestrippt und mit „Que Dios te maldiga mi corazon“ („möge Gott dich verfluchen, mein Herz“) ein Acoustic-Album veröffentlicht, mit Coverversionen des Vorgängers. Laut Mars Volta ist hier nur noch die Ursuppe, sozusagen die Quintessenz der Band zu hören.  Karibische Rhythmen, Gitarre, Bass, Schlagzeug und die eindringliche Stimme von Cedric Bixler-Zavala.

Das hat auch mich im ersten Moment kurz irritiert, muss ich gestehen. Aber schon bald hatten sie mich. Der Song „Graveyard love“ z.B., in dem Mars Volta die koloniale Schreckensherrschaft der USA über Puerto Rico thematisieren, hat mich sehr berührt. Ähnlich wie mich schon die Songs der puertoricanischen Musikerin Hurray for the Riff Raff getroffen haben. Ganz davon abgesehen, zieh ich den Hut vor dem Mut der beiden, ihre Fans derart zu fordern. Gibt es nichts Schöneres als von seiner Lieblingsband immer wieder überrascht zu werden? Eben. (8 von 10 Punkten)

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The Mars Volta – Palm Full of Crux (Acoustic) [Visualizer] | Bild: The Mars Volta (via YouTube)

The Mars Volta – Palm Full of Crux (Acoustic) [Visualizer]

Enter Shikari

Ich weiß nicht, wie betrunken man sein muss, um den stumpfen Elektro-Punk von Enter Shikari gut zu finden. OK, die sechs Vorgänger-Alben sind alle in den britischen Top Ten gelandet – aber über die Qualität der Musik sagt das bekanntlich nichts aus. Die Texte sind gnadenlos belanglos …„You are under my control/ You are goldfish, I am the bowl.” Die Hooks haben keinen anderen Zweck, als die Massen zum Mitgrölen zu zwingen, die Synthies Scooter-Niveau. Da hilft es auch nichts, wenn die Band stolz verkündet, sie hätten ein „grünes Album“ aufgenommen, nur mit Sonnenenergie. Was für eine Verschwendung! Dabei ist es doch gar nicht so schwer, ordentlich Krawall zu machen … man höre dazu nur den Hyper-Punk der 100 Gecs, durchgeknallt, schmerzhaft, aber immer ein großer Spaß. (3 von 10 Punkten)

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Enter Shikari - Bloodshot - (Official Video) | Bild: Enter Shikari (via YouTube)

Enter Shikari - Bloodshot - (Official Video)

Lael Neale

Auch Leal Neale, Singer/Songwriterin aus Virginia, fordert ihre Fans, z.B. mit Songs, die nur so vor religiösen Anspielungen strotzen. Es geht um Engel, Weihwasser und Rosenkränze – und um das Omnichord, Lael Neals-Lieblingsinstrument, das z.B. auch schon den geisterhaft-verrauschten U-Boot-Sound von Pram geprägt hat. Pram aus Birmingham haben dem Omnichord sogar einen Song gewidmet. Bei Lael Neale sind es Romeo und Julia, die einen Song lang im Mittelpunkt stehen. In dem Song „In Verona“ gleiten wir acht Minuten lang durch das Shakespearesche Drama. Eine zeitlose Geschichte, die laut Leal Neale, gerade heute wieder aktuell zu werden droht. Wenn überflüssige Grenzlinien und Gegensätze die Gesellschaft spalten und digitale Schlammschlachten an der Tagesordnung sind. Dann, so Neale, könne man doch mal wieder über biblische Sätze wie „Cast no stone“ nachdenken. Überhaupt ist „Star eater’s delight“, trotz seines beschwingten Openers, eher ein melancholisches, schleppendes Album mit einer hypnotischen Sogwirkung. Minimalistischer, mantraartiger Indie-Pop, immer leicht benebelt und irgendwie nicht von dieser Welt. (8 von 10 Punkten)

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Lael Neale - Must Be Tears (Official Video) | Bild: Lael Neale (via YouTube)

Lael Neale - Must Be Tears (Official Video)

St. Paul & The Broken Bones

St. Paul & The Broken Bones aus Alabama haben sich schon einen erstaunlichen Ruf erspielt: z.B. als extrem geschichtsbewusste Retro-Soul-Combo, die tief in den 60’s wühlt. Oder auch als geniale Live-Band, die schon vor die Rolling Stones gebucht wurde. Und dass mit einem weißen Sänger, der mal Buchhalter war und auch so aussieht. No glitter, no glamour, just straight Soul. Die Songs ihres neuen Album “Angels in Science Fiction” sind Briefe, die Sänger Paul Janeway an seine ungeborene Tochter geschrieben hat. Er sorgt sich, in was für einer zerrissenen Welt seine Tochter mal leben müssen wird. Musikalisch sind die Broken Bones mit den Jahren vom ursprünglichen Old-School Soul immer weiter abgerückt und haben sich in alle möglichen Richtungen gemorpht, von slickem Funk über Disco, Pop bis zu R’n’B. Und haben unterwegs, wie mir scheint, etwas ihre frühere Spielfreude, ihren Witz eingebüßt, leider. (7,4 von 10 Punkten)

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St. Paul & The Broken Bones - Oporto-Madrid Blvd (Official Audio) | Bild: St Paul and the Broken Bones (via YouTube)

St. Paul & The Broken Bones - Oporto-Madrid Blvd (Official Audio)

Pearl & the Oysters

Pearl & the Oysters, das sind Juliette Pearl Davis und Joachim Polack, ein in LA gestrandetes, französisches Duo. „Coast 2 Coast“ ist ihr viertes Album, das über weite Strecken sehr tiefenentspannt dahin groovt. Lo-Fi-Synthpop mit Heimorgel und einem Schuss Exotica. Und mit einem Gastauftritt von Laetitia Sadier, Ex-Stereolab: „Read the room“ ist ein Song, der ob seiner Schrammligkeit allerdings etwas aus der Reihe tanzt. Ansonsten durchweht dieses Album ein herrlicher Vibe Space Age Pop. Ein Optimismus, wie man ihn vermutlich nur in den 50’s und 60’s des vergangenen Jahrhunderts gekannt hat, als man kurz davor war, auf den Mond zu fliegen, das Weltall noch ein ganz hippes Thema war. Dementsprechend heißen die Songs dann auch „Space coast“, „Moon Canyon Park“ oder „Joyful science“. Pearl & the Oysters haben diese Stimmung humorvoll aufgegriffen und daraus ein wunderbar eklektizistisches Album gemacht mit entzückenden DIY-Videos. (7,8 von 10 Punkten)

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Pearl & The Oysters ❍ Read the Room feat. Lætitia Sadier (Official Music Video) | Bild: Pearl & The Oysters (via YouTube)

Pearl & The Oysters ❍ Read the Room feat. Lætitia Sadier (Official Music Video)

Fred & Luna

Wer Krautrock, Kraftwerk und NDW mag, der mag auch das neue Album von Fred und Luna. Hinter Fred und Luna steckt übrigens keine Produktionsliebe wie Tracey und Ben, Fred und Luna ist die One-Man-Show Rainer Buchmüller, ein Musiker aus Karlsruhe, der gern mit weißer Mozart-Perücke auftritt. Und der auf seinem neuen Album einen liebevollen Mix aus Elektro Kraut und New Wave auffährt. Veröffentlicht wird Fred und Lunas neues Album „Im Fünfminutentakt“ passenderweise auf Elaste Records, einem Compost Ableger, der sich dem Sound der frühen 80’s widmet, also New Wave, Elektro Kraut, Punk, Disco, Industrial, Reggae und Coldwave. Namensgeber war das von Thomas Elsner, Michael Reinboth und Christian Wegner herausgegebene Elaste-Magazin, das von 1980 bis 1985 erschien. (7,8 von 10 Punkten)

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Fred und Luna - Tanz mit mir | Bild: Compost Records (via YouTube)

Fred und Luna - Tanz mit mir

Eli Preiss

„B.A.D.“ steht für „bewusstseinsaufbauende Downs“. Downs, die Eli Preiss in ihrem „Diary of darkness“, wie sie ihr Album nennt, detailliert beschreibt … und aus denen dann eben auch gutes entsteht, neues Selbstbewusstsein z.B. Gut sind bei der Wienerin neben ihren krassen Rap-Skills, ihrem lässigen Flow und ihrem souligen R’n’B-Gesang auch die effizient produzierten Beats, egal ob Trap, Hip Hop oder Drum’n‘Bass. Eli Preiss arbeitet hart daran, die immer noch männlich dominierte Deutschrap-Szene von Wien aus aufzurollen… (7,9 von 10 Punkten)

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Eli Preiss & DONNA SAVAGE - uff, nein (prod.suki) / bad bitchez (prod. Melik) | Bild: Eli Preiss (via YouTube)

Eli Preiss & DONNA SAVAGE - uff, nein (prod.suki) / bad bitchez (prod. Melik)