Bayern 2 - Nachtmix


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Über den Dingen PJ Harvey

Als 1991 ihre erste Single "Dress" erschien, konnte noch niemand ahnen, dass die Britin nicht nur jahrzehntelang relevant bleiben könnte, sondern auch in den USA überragenden Erfolg haben würde, ohne sich je selbst zu kompromittieren. Gerade ist "The Hope Six Demolition Project" erschienen, PJ Harveys neuntes Album.

Von: Sabine Gietzelt

Stand: 09.10.2009 | Archiv

PJ Harvey 2011 | Bild: picture-alliance/dpa

Es gibt Leute, die finden PJ Harvey einschüchternd. Vielleicht liegt es an ihrer Intensität und ihrer nicht gerade lieblichen und einfachen Ausstrahlung. Aber PJ Harvey ist nun mal nicht nur in ihrer Musik sperrig. Sie wirkt auch als Künstlerin kantig. Und ist vielleicht deswegen so faszinierend.

Als 1992 PJ Harveys erste Platte rauskam, "Dry", sorgte sie ordentlich für Gesprächsstoff. Selbst ein paar Musik- und Skandalgewohnte zeigten sich ein wenig verunsichert von so viel geballter vermeintlicher Selbstdarstellung und Entblößung einer jungen Frau, die relativ offensive Songs schrieb.    

Ihre zweite Platte "Rid Of Me" produzierte Steve Albini, der Mann für rauhe und strenge Sounds. Die beiden passten ideal zusammen und vom Szenetipp in die Beliebtheitsskala dauerte es nur noch eine weitere Platte, "To Bring You My Love". Bald arbeitete PJ mit dem damals schwer angesagten Tricky, sie spielte eine Maria Magdalena in dem Kinofilm "The Book Of Life" von Hal Hartley und sowohl die Kunst- als auch die Musikszene war auf ihrer Seite.

Es folgten die preisverleihenden Institutionen und Charts. Die rohe PJ Harvey war das dann aber nicht mehr. Die große Irritation war weg. Aber nicht die große, wirkungsvolle Geste, die auch auf Harveys späteren Alben immer wieder aufschien. Allerdings übertrifft Thom Yorke's Pathos PJ Harvey deutlich auf ihrer gemeinsamen Nummer auf "Stories From The City Stories From the Sea" und Frau Harvey wirkt hier als angenehm kühles Korrektiv.

Eine Ahnung auf eventuelle Abgründe

Auf ihren Fotos und ihren Plattencovern pendelt PJ Harvey ganz offensichtlich zwischen Inszenierung und Selbstdarstellung und konfrontiert ihre Fans ganz gern mit ihrem Körper - ihrem sehr, sehr dünnen Körper, bei dem einem schon mal der Gedanke an Magersucht kommen konnte. Dazu ihr leicht exaltierter Gesang zwischen schrill und düster.
Vielleicht macht diese Kombination, die eine Ahnung auf eventuelle Abgründe zulässt, einen Teil der Irritation aus, mit der so viele Leute auf PJ Harvey reagierten. Vielleicht aber haben manche damals auch nur missverstanden, dass es einen Unterschied gibt, zwischen der Authentizität des Dichters und der Erhöhung seiner Biografie zur Kunst - so wie das bei PJ Harvey der Fall zu sein scheint. Sie legt Meinung, Interesse und privates Empfinden in ihre Texte, aber abstrahiert und verschlüsselt durch Bilder, die gerne ins Religiöse hineinreichen. Auch wenn sie selbst von sich sagt, sie sei nicht besonders religiös. Eine weitere Gemeinsamkeit, die sie mit Nick Cave verbindet, mit dem sie eine Zeitlang liiert war und mit dem sie auch eine Mörderballade gesungen hat.

Anfangs galt PJ Harvey als exzentrisch, männermordend, aggressiv und ständig musste sie sich mit dem Attribut feministisch herumschlagen, mit dem sie selbst gar nichts anfangen konnte, die Journalisten aber offenbar umso mehr. Und ein bisschen hat man damit ihre künstlerischen Ambitionen unterschlagen.

Nicht subtil, sondern offensiv

PJ Harvey packt nicht nur ihre eigenen Gedanken in ihre Texte, sie spielt gern auch mit den Obsessionen ihrer Fans, vor allem ihrer männlichen. PJ in schwarzem Leder oder Plastik, im weißen barocken Hochzeitskleid mit Rüschen oder im roten enganliegenden Etuikleid mit knallroten Stöckelschuhen. Solche Signale sind bei einer intelligenten Frau wie PJ Harvey sicher kein Zufall. Und die Farben auch nicht: Rot, schwarz und weiß. Nicht subtil, sondern offensiv.

PJ Harvey ist auf dem Land groß geworden, auf einer Schaffarm, konfrontiert mit dem Leben und Sterben der Tiere, mit dem Schlachten, Blut und existentiellen Erfahrungen, die nicht viele Menschen so direkt und unvermittelt erleben. Allerdings kommt PJ Harvey nicht aus einer Bauernfamilie, sondern aus einem Künstler- und Handwerkerhaushalt, in dem Musik von Robert Johnson und Howling Wolf lief, Jimi Hendrix und Captain Beefheart. Und sie wird nicht müde, auf ihre Beziehung zur Natur und natürlichen Materialien und Gegenständen hinzuweisen.

Einer sehr ehrenvoller und in musikalischer Hinsicht auch gar nicht abwegiger Vergleich, der öfters genannt wird, ist Patti Smith. PJ Harvey sieht das natürlich ganz anders. Ihre weiblichen Rolemodels sind Debbie Harry und Marianne Faithfull. Vielleicht eher wegen der Stringenz und Kompromisslosigkeit, wie die beiden ihre Leben führen. Folgerichtig hat sie 2004 auch zu dem Album "Before The Poison" von Frau Faitfull fünf Songs beigesteuert.

Im Frühjahr erschien 2009 "A Woman A Man Walked By", Harveys zweite Platte, die sie mit ihrem langjährigen musikalischen Partner John Parrish veröffentlichte, mit dem sie von Anfang an Musik gemacht hat. Das erste gemeinsame Projekt mit ihm "Dance Hall at Louse Point" erschien 1996. Einer ihrer größten Fans war John Peel. Eigentlich war sie andauernd bei ihm im Studio für die legendären Peel Sessions. Öfter auf jeden Fall als viele andere Bands. Und was heisst Studio? Im Wohnzimmer wurde aufgenommen. Und die dort gemachten Aufnahmen gehören tatsächlich mit zu den schönsten.

"Ich fühle mich am wohlsten in einer ganz normalen Umgebung. Ich hasse Maschinen, Computer, ich kann am besten in einer natürlichen Umgebung arbeiten."

PJ Harvey

Die Bilder muss man schon selbst entschlüsseln

Musikalisch kling PJ Harvey tatsächlich auf fast jedem Album ein bisschen anders. "Too Bring You My Love" kam mit mehr Blues, Streichern und Keyboard, "Is This Desire" war noch keyboardlastiger, "Stories from the City, Stories from the Sea" von 2000, war  manikürt und sehr nett. 2004's "Uh Huh Her" kam als sehr rauhe Platte, zerrissen und lofi - ein Konzept, dass Frau Harvey vorzüglich steht. "White Chalk" von 2007, ihre achte Platte, ein nennen wir es „romantisches“ Werk mit Klavier und fast ohne Gitarre, dafür mit etwas mehr Pathos und Mystizismus als sonst. Eine fast ätherische Platte, wenn man so mag, deren Ruhe und aufgesetzte Sanftmut man PJ Harvey so nicht abnimmt. Jeden Abgrund mag man ihr glauben, aber nicht die Märchenprinzessin. Aber immerhin handeln auch hier die befremdlich zart gesungenen Texte von Dunkelheit und die Freude und das Glück, von der Polly Jean singt, ist laut Text - nur spürbar unter dem Einfluss von Äther. Na dann.

Etwas muß man PJ Harvey jeden Fall lassen, egal ob man sie mag oder nicht: Wie sie die Texte mit doppeltem Boden aus ihrem dünnen Körper herausschreit und dabei alles im Verborgenen lässt, das ist schon bemerkenswert. Und die Bilder muss man schon selbst entschlüsseln. Ausserdem hat sie mehr Ausstrahlung als zehn Juliette Lewise zusammen, die sich so bemüht, jene Toughness zu erreichen, die PJ Harvey aus ihrem knochigen Handgelenk schüttelt.


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