Bayern 2 - Land und Leute


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Glückauf im Kohlenpott Bayerische Bauernburschen im Ruhrgebiet

In den 1950-er Jahren war Bayern noch ein armes Agrarland. Viele junge Männer vor allem aus der Oberpfalz und aus Niederbayern verließen damals ihre Heimat, zogen ins Ruhrgebiet, um dort im Bergbau zu schuften. Heute würde man sie vielleicht Wirtschaftsflüchtlinge nennen … Claudia Decker hat sich auf die Spuren dieser "bayerischen Fremdarbeiter" begeben.

Author: Claudia Decker

Published at: 21-6-2015 | Archiv

Oskar Böhm 1958 als stolzer Bergmann unter Tage | Bild: Oskar Böhm

"Das Ruhrgebiet war das große Kraftzentrum mit seiner Schwerindustrie, mit dem Steinkohlebergbau, mit der Metallerzeugung - die Kruppwerke. (...) Das war noch in den 50er Jahren eine Region, in der Milch und Honig fließt, in der die Arbeiter sehr hohe Löhne bekamen. Mein Großvater war selber Bergmann gewesen und der bekam in den 30er Jahren ein Gehalt, das dem eines Angestellten ungefähr gleichkam. Wenn man dann noch Sonderschichten fuhr und im Akkord arbeitete, kam man in relativ kurzer Zeit auf einen sehr sehr guten Lohn - erstens. Zweitens: In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden Bergleute sehr gut ernährt, sie bekamen irrsinnig hohe Lebensmittelrationen, mehr als das Doppelte, Dreifache sogar der Normalbevölkerung. Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre wurde das dann abgeschafft. Bergleute wurden gut versorgt, weil der Kohleabbau die Wirtschaft in Schwung bringen oder in Schwung halten sollte."

(Frank Bajohr, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München, geboren in Gladbeck)

Träger des Wirtschaftswunders in Deutschland

Förderturm der Zeche Consolitation in Gelsenkirchen

Eigentlich liegt das Ruhrgebiet viel zu weit weg, als dass es irgendetwas mit Bayern zu tun haben könnte. Im 19. Jahrhundert war es das Zentrum der Industrialisierung in Deutschland. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden fast 300 Zechen, aus deren Schächten man die Steinkohle nach oben holte. In Kokereien entstand aus der Kohle Koks, der gebraucht wurde, um Eisen und Stahl zu erzeugen. Es war die Zeit einer rasanten Industrialisierung, die Zeit, als das Revier Arbeitskräfte brauchte. Vor allem Polen verließen damals ihre Heimat auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Ruhrgebiet zum Träger des Wirtschaftswunders in Deutschland. Wieder bot das Ruhrgebiet Arbeitsplätze. In Bayern waren Arbeitsplätze Mangelware. Bayern gehörte zu den armen Bundesländern, strukturschwach und bäuerlich geprägt. Von einer florierenden  Autoindustrie konnte noch keine Rede sein, die entstand erst in den späten 60er Jahren. Seit 1950 gehörte Bayern zu den Nehmerländern im Länderfinanzausgleich.

Auf der Suche nach dem besseren Leben

Tauglichkeits-Bescheinigung für Josef Serve aus der Oberpfalz (1951)

Was längst vergessen ist: In den 50er Jahren verließen viele junge Männer vor allem aus der Oberpfalz und aus Niederbayern ihre Heimat, um im Gebiet zwischen Ruhr und Emscher Arbeit und ein besseres Leben zu suchen. Männer, die bis dahin nur die Arbeit auf dem Bauernhof kannten, vertauschten Aussaatwanne und Egge mit schweren Maschinen unter Tage. In Städten wie Herne, Hamm, Bottrop, Sprockhövel, Gelsenkirchen und Bochum bauten sie sich eine Existenz auf, Seite an Seite mit türkischen und italienischen Einwanderern. Einige blieben für immer im Ruhrrevier, andere kamen wieder zurück.

Oskar Böhm machte Karriere in seiner neuen Heimat

Oskar Böhm, im Garten seines Hauses in Neukirchen-Vluyn

Oskar Böhm, geboren in Auerbach, in der Oberpfalz, ist 84 Jahre alt. 37 Jahre Arbeit unter Tage - Frühschicht, Mittelschicht, Nachtschicht -  sind ihm nicht anzusehen. Er ist ein rüstiger Witwer mit weißem Haar im Bürstenschnitt, hellblaues Hemd, Jeans, schwarze Slipper. Ein Macher-Typ. Er konnte schon 1953 in ein Haus mit Garten einziehen, in einer Bergarbeiter-Siedlung. Ein stilles Idyll.

Oskar Böhm hat in seiner neuen Heimat Kohlenpott Karriere gemacht: als Bergmann, als Gewerkschaftler, SPD-Stadtrat und schließlich als Bürgermeister von Neukirchen-Vluyn. Aber der Anfang in der Fremde war karg:

"Als wir herkamen - wir wohnten in einer Gaststätte, da war ein Tanzsaal, den hatten die umgebaut, das hieß damals Bullenkloster. Die Junggesellen lebten da, die im Bergbau waren, die Zuagroasten. Da hatten wir ein kleines  Zimmerchen, zwei doppelstöckige Betten drin, in der Mitte ein Tisch, vier Stühle, ein kleiner Kleiderschrank - das war alles. Dann war da 'ne Waschküche mit 'nem großen gemauerten Waschbecken, da ham wir am Wochenende unser Grubenzeug mitgebracht, da mussten wir das selbst waschen und flicken alles."

Der Krieg hatte auch die Pläne von Oskar Böhm zunichte gemacht. Seinen Traumberuf KFZ-Mechaniker konnte er vergessen. Also machte er eine Lehre als Huf- und Wagenschmied. Und sah im Arbeitsamt in Auerbach die Werbeplakate für die Arbeit im Ruhrgebiet.

"Das war nicht einfach, zu Hause Geld zu verdienen. Ich bekam als Geselle 80 Pfennig Stundenlohn. Und mein bester Freund hatte Bäcker gelernt, der ging vorher schon in den Bergbau. Der war hier in Moers auf Rheinpreussen. Wenn die die Lehre aus hatten damals, hatten die keine Arbeit mehr. Die haben neue Stifte eingestellt und dann waren sie weg. Und durch diesen Briefwechsel hab ich mich entschlossen, mich auch in den Bergbau zu melden. Ich hatte noch einen Freund, der mit mir in der Lehre war, wir wollten beide auswandern. Da hab ich mir gesagt, da geh ich ein Jahr in‘n Bergbau und verdien mir schon mal ein paar Pfennige. Und so hab ich mich entschlossen, hier ins Ruhrgebiet  zu gehen, weil die mehr bezahlt haben und auch andere Möglichkeiten waren."


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