Bayern 2 - Land und Leute


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Knatterbock & Feuerstuhl Das erste Serienmotorrad der Welt

Heinrich Hildebrand, Chefredakteur der Zeitschrift "Radfahr-Humor" und der Ingenieur Alois Wolfmüller aus Landsberg konstruierten Ende des 19. Jahrhunderts eine zweirädrige, motorisierte "Fahrmaschine", die sie sich 1894 patentieren ließen. Sie nannten ihr Gefährt "Motorrad" und gründeten eine Fabrik.

Von: Ulrich Klenner

Stand: 22.10.2017 | Archiv

Das erste zweirädrige motorisierte Fahrzeug (Motorrad) der Firma "Hildebrand & Wolfmüller" (1894-1896) | Bild: picture alliance/dpa/Swen Pförtner

Heinrich Hildebrand, dem Chefredakteur der in München erscheinenden Zeitschrift "Radfahr-Humor", kam 1889 eine wahrhaft zündende Idee: ein Fahrrad mit Motorantrieb. Das müsste doch das ideale Fortbewegungsmittel sein! In dem Ingenieur Alois Wolfmüller aus Landsberg fand er den idealen Gefährten für die Realisierung seines Traums. Wolfmüller konstruierte eine bahnbrechende Fahrmaschine, angetrieben von einem Benzinmotor mit zwei Zylindern, dahinrollend auf zwei luftbereiften Rädern.

"Die ersten Probefahrten mit dem neuen Motorrad, am 18. und 19. Januar 1894, fanden in Bamberg statt und waren durchaus ermutigend - wenn man einmal davon absieht, dass die Maschine anfangs nur rückwärts fuhr!"

(Ulrich Klenner)

"Also man hat vorn an der Zündbox den Deckel aufgemacht und hat mit dem Streichholz eine Lötlampe anbrennen müssen. Und die Lötlampe hat man über den Knebel, der da schräg rauskommt, einstellen müssen. Und wenn die Glührohre die richtige Farbe gehabt haben, dann hat man einen Startversuch wagen können. Wenn die Glührohre zu kalt sind, dann läuft der Motor einfach nicht. Und wenn sie zu heiß sind, dann läuft er rückwärts - und das macht sich schlecht auf dem Motorrad!"

(Michael Leibfritz aus Balingen, der zusammen mit seinem Bruder Thomas das historische 'Motor-Zweirad' nachbaute)

Im Januar 1894 wurde das Patent angemeldet

Firmenschild von "Hildebrand & Wolfmüller" (1894)

Mit Wirkung vom 20. Januar 1894 erhielt Wolfmüller das Reichspatent Nr. 78553 in der Klasse 63 "Sattlerei und Wagenbau" - dessen Gegenstand: ein "Zweirad mit Petroleum- oder Benzinmotorenbetrieb". Die Patentschrift hatte staunenswerte Innovationen zum Inhalt, deren wirkungsmächtigste eine Wortschöpfung war: Die Erfinder nannten ihr Vehikel "Motorrad". Aber dieses Ding auch herzustellen und in Umlauf zu bringen, dafür mochte sich zunächst niemand begeistern. Blieb den beiden Ur-Bikern nur die Flucht nach vorn: Sie gründeten die "Motorfahrradfabrik Hildebrand & Wolfmüller".

Das Geschäft mit dem mechanischen Reittier begann rapide zu florieren

Am 5. Juni 1894 wurde der staunenden Öffentlichkeit das erste in Serie gefertigte Motorrad der Welt präsentiert. Die Münchner Neuesten Nachrichten jubelten:

"Die Lösung des Problems eines Motorfahrrades ist mit dieser Erfindung als vollständig gelungen zu betrachten."

Das Geschäft mit dem mechanischen Reittier begann rapide zu florieren. Bald war die Belegschaft der Münchner Fabrik auf rund 1000 Mitarbeiter angewachsen. Doch der Absturz kam ebenso jäh wie der Aufstieg. Die so genannte "Glührohrzündung" verwandelte das "Motorfahrrad" buchstäblich in einen brandgefährlichen Feuerstuhl. Immer mehr gebrannte Kunden fühlten sich geprellt und forderten ihr Geld zurück. Damit nicht genug, kam ans Licht, dass die Herstellungskosten den Verkaufspreis bei weitem überstiegen. Anfang 1897 war endgültig Schluss mit "Hildebrand & Wolfmüller".

Der Siegeszug des Motorrads war trotzdem nicht aufzuhalten

Heinrich Hildebrand und Alois Wolfmüller haben das ihre dazu beigetragen, dass heute Millionen von Bikern voll auf den Traum abfahren können, der für sie noch geplatzt war.


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