Bayern 2 - Kulturjournal


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"Mehr Resonanz bitte!" Hartmut Rosa und seine preisgekrönte Theorie vom guten Leben

"Resonanz": Der Begriff kommt aus der Physik, aber der Jenaer Soziologe macht ihn zu einem Gegenbegriff zur Entfremdung und zum Grundstein für ein gutes, für gelingendes Leben. Für "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung" wird Hartmut Rosa jetzt mit dem Tractatuspreis des Philosophicum Lech ausgezeichnet.

Von: Iris Buchheim

Stand: 16.09.2016

Hartmut Rosa | Bild: picture-alliance/dpa

Da fehlt's an nichts: Super Ausbildung, ordentliches Einkommen, angesehener Job, großzügige Eigentumswohnung, gesunde Kinder, nette Freunde, illustre Bekannte und selbst fit wie ein Turnschuh - und trotzdem drehen wir ständig weiter am Rad. Damit das alles nicht nur so bleibt, sondern alles noch ein bisschen besser, ein bisschen mehr wird. Es geht in der Moderne permanent um die Steigerung von Ressourcen, von Vermögen und Möglichkeiten aller Art - und immer öfter wird darüber das Leben verpasst. Das gute, das gelingende - oder wie man früher sagte - das erfüllte Leben und das, was es ausmacht, geraten in Vergessenheit. Hartmut Rosa ist mit seinem neuen, fast 800 Seiten starken Buch "Resonanz" angetreten gegen diese Steigerungslogik, die sich längst in allen Bereichen unseres Daseins verselbständigt und zu einer umfassenden Entfremdung geführt hat.

"Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung. Das ist die auf die kürzest mögliche Formel gebrachte Kernthese dieses Buches."

Hartmut Rosa im Vorwort zu Resonanz

Beschleunigung und Entfremdung

Die rasante, alle Lebensbereiche erfassende Beschleunigung hat der Jenaer Soziologe schon in seinem 2013 erschienenen Buch "Beschleunigung und Entfremdung - Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit" als Ursache unserer wachsenden Entfremdung ausgemacht. Dabei fasst er Beschleunigung als "Mengenwachstum pro Zeiteinheit", als einen Prozess also, der in sich die Tendenz zur Steigerung, zur dynamischen Eskalation hat. Entschleunigung kann daher nicht die Lösung sein, betont Hartmut Rosa, der neben seiner Professur für Soziologie in Jena auch noch das Erfurter Max Weber Kolleg leitet und irrtümlich zuweilen als Entschleunigungspapst bezeichnet wird. In seinem neuen Buch entwickelt er den soziologischen Terminus der "Resonanz" als ein Selbst-und Weltverhältnis, das die gestörten Beziehungen des Subjekts zur Natur, zu anderen Subjekten und sich selbst von Grund auf verwandelt.

"Resonanz" statt Entfremdung

Resonanz

In der Physik bezeichnet "Resonanz" ein durch Schallwellen gleicher Frequenz angeregtes Mitschwingen.

Entfremdung ist wie Rahel Jaeggi einmal treffend schreibt, die "Beziehung der Beziehungslosigkeit". Hartmut Rosa hat in dem aus der Physik stammenden Begriff "Resonanz" das Gegenmodell zum Entfremdungs-Szenario entdeckt:

"Wenn zwei Instrumente, etwa Klavier und Geige, miteinander in Resonanz treten, dann bedeutet das, dass jedes in seiner Eigenfrequenz spricht und auf das andere reagiert. Ich meine mit Resonanz eine Beziehung zur Welt, in der man einerseits offen ist um sich berühren zu lassen, vielleicht ergreifen zu lassen, aber andererseits auch selber seine eigene Stimme entfalten kann und damit etwas oder jemanden erreichen kann in der Welt."

Hartmut Rosa im Kulturjournal-Gespräch mit Jochen Rack

Wider den Optimierungs-Wahn

Wie sieht ein entfremdetes und wie andererseits ein resonantes, gutes Verhältnis zum eigenen Körper, zu Familienmitgliedern, Freunden, Bildung, zur Arbeit, zu Religion und Natur aus? Umfassend, im steten Dialog mit Herbert Marcuse, Max Horckheimer, Georg Lukács’, Adorno und anderen Vertretern der Kritischen Theorie und mit neuen Erkenntnissen aus Neurologie, Kleinkindpsychologie und Philosophie angereichert, spielt Hartmut Rosa nacheinander all unsere Weltbeziehungen durch. Er analysiert differenziert die Mechanismen der Entfremdung und skizziert idealtypisch resonante Beziehungsgeflechte, die ein gutes Leben möglich machen. Rosa entfaltet betont nur Beziehungen und Geflechte - oder wie er sagt Resonanz-Achsen guten Lebens - und vermeidet normative Bestimmungen des "Guten".

Unterwegs zum guten Leben

Das gute Leben, das Hartmut Rosa im Visier hat, ist ein anderes als das unerstättliche, das stets nach Optimierung strebt und zum kollektiven Burnout führt: Es basiert auf einem neuen, ganz andersartigen Verhältnis zu den Dingen und bringt grundlegende Reformen mit sich, etwa die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die politisch durchaus im Bereich des Möglichen liegt und eine entscheidende Weichenstellung für ein gutes Leben wäre.

"Erst auf der Basis eines existenzsichernden Grundeinkommens ließe sich die horizontale und diagonale Resonanzqualität der Arbeit wirklich zur Entfaltung und in Anschlag bringen. Produktivität und Innovationsfähigkeit würden dadurch womöglich sogar steigen, aber diese Steigerung würde nicht mechanisch erzwungen. Ressourcensicherung ohne den Zwang zur stetigen Ressourcenvermehrung scheint mir eine Voraussetzung für eine Neuorientierung auch der Lebensführung zu sein. Ein Grundeinkommen hätte die Funktion, die Aufrechterhaltung der erforderlichen Weltreichweite zu garantieren, ohne sie einer ständigen Erosionstendenz auszusetzen"

. Hartmut Rosa in Resonanz.

Kulturjournal

Hartmut Rosa: "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung" 816 Seiten, Suhrkamp 2016

Jochen Rack hat mit dem Jenaer Soziologen über das Buch gesprochen, das kommende Woche mit dem "Tractatus" Preis ausgezeichnet wird.
Sonntag, 18. September 18.05 Uhr im Kulturjournal auf Bayern 2.


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