Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. September 1968 Zwei deutsche Erfinder entwickeln die Chipkarte

Mit Revolutionen ist es so eine Sache: Die einen kommen mit Trara und Wumms und Krach daher, bringen aber mitunter nicht viel. Andere verlaufen ganz sanft. So entwickeln zwei deutsche Ingenieure mal eben die Chipkarte und revolutionieren den Alltag. Ohne Wumms, aber mit Wirkung. Autor: Thomas Grasberger

Stand: 13.09.2021 | Archiv

13 September

Montag, 13. September 2021

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Revolutionen stellt man sich meist sehr dynamisch vor. Heroisch dreinblickende Kämpferinnen und Kämpfer mit wehenden Fahnen – die Brust entblößt, das Haar im Sturmwind flatternd – stehen auf Barrikaden und stemmen sich der Reaktion entgegen. Dass es manchmal auch zäher vorangeht, mussten 1968 im September 205 junge Revolutionäre erleben, die sich im Studentenhaus von Frankfurt am Main zur 23. ordentlichen Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS zusammenfanden.

Was noch?

Es herrschte dicke Luft im Saal, denn beim SDS war die Luft raus. Erste Selbstauflösungstendenzen wurden spürbar. Endlose Debatten von Anti-Autoritären mit linken Traditionalisten, unbeirrbare und höchst unterschiedliche Standpunkte. Und dann auch das noch – die Frauen! Wollten ebenfalls ihre Revolution! Sofort! Einschließlich Kinderbetreuung. Der SDS sei ein verstaubter Männerladen, meinte die Berliner Aktivistin und Filmemacherin Helke Sander am zweiten Konferenztag. Worauf die männlichen Genossen aber gar nicht weiter eingingen. Was wiederum die hochschwangere Romanistik-Studentin Sigrid Rüger derart auf die Palme brachte, dass sie beschloss, etwas Bewegung in die Veranstaltung zu bringen. Und zwar mit Hilfe von drei Tomaten, die sie auf den SDS-Cheftheoretiker Hans Jürgen Krahl schleuderte.

Es reicht!

Ihre vegane Lebensmittelspende garnierte Rüger mit den Worten: "Genosse Krahl, Du bist objektiv ein Konterrevolutionär und Agent des Klassenfeindes dazu!" Mit diesem frugalen Startsignal einer neuen Frauenbewegung war plötzlich wieder Dynamik in den revolutionären Prozess gekommen.

Dass an jenem 13. September 1968 noch eine andere, mindestens so folgenreiche Revolution auf den Weg gebracht wurde, ahnte im Frankfurter Festsaal wohl niemand.

An jenem Freitag reichten Jürgen Dethloff und Helmut Gröttrup in Österreich eine Patentanmeldung für einen "Identifizierungsschalter" ein. Hinter diesem sperrigen Begriff verbarg sich ein unscheinbarer Gegenstand, den bald jede und jeder bei sich tragen sollte – die Chipkarte. In Kunststoffkarten eingebaut, hat der integrierte Schaltkreis unser aller Alltag revolutioniert. Egal ob beim Bezahlen an der Tankstelle oder an der Supermarktkasse, beim Bücherausleihen in der Bibliothek, beim Arzt oder im Amt: Die Chipkarte ist immer dabei.

Für Ingenieur Gröttrup war es nicht das erste bahnbrechende Projekt. Als Assistent von Wernher von Braun hatte der Kölner an der Entwicklung der V2-Rakete mitgearbeitet, der vermeintlichen Wunderwaffe, die den Weltkrieg zu Gunsten Hitler-Deutschlands drehen sollte. Nach dem Krieg wurde der Raketen-Fachmann in die Sowjetunion verschleppt und lieferte wertvolle Informationen für das sowjetische Raumfahrtprogramm. Zurück in Westdeutschland verlegte sich der findige Techniker auf das damals neue Feld der Informatik. Und schuf zusammen mit dem Kollegen Dethloff einen echten Meilenstein: Chips statt Tomaten, war die Devise dieser anderen 68er. Ihre Revolution verlief ohne Barrieren und Fahnen, ganz ruhig und sachlich. So wie Ingenieure halt oft sind.


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