Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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9. August 1909 Wirbel um Warren Cup, antiker Porno-Becher

Schwuler Skandalbecher oder herausragendes Kunstobjekt? Der sogenannte Warren-Cup ist ein 2.000 Jahre altes römisches Unikat. Die großen Antikenmuseen haben sich lange schwer getan mit der meisterhaften Silberschmiedearbeit.

Stand: 09.08.2022 | Archiv

09 August

Dienstag, 09. August 2022

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Ungefähr so könnte es gewesen sein: eine antike Villa in der Nähe von Jerusalem, die römische Oberschicht gibt eine Party. Exklusive Gästeliste. Ausschließlich männlich. Sklaven begleiten die Besucher zu ihren Liegekissen in den Speisesaal. Silbergeschirr schimmert im Fackellicht. Der Abend verspricht unterhaltsam zu werden: Der bestens situierte Gastgeber ist bekannt für erlesene Weine - und für die exquisiten Darstellungen auf seinen Trinkbechern.

Erotische Szenen waren vor 2.000 Jahren allgegenwärtig. Doch an diesem Abend wandert ein besonders erlesenes Gefäß von Hand zu Hand. Mit seinem schmalen Sockel und den zwei seitlichen Henkeln ähnelt der Silberkelch einer modernen Sporttrophäe: Zwei Liebesszenen sind von Innen reliefartig aus dem Silber getrieben. Männerpaare in inniger Umarmung - einmal mit gespreizten Beinen auf einem üppig drapierten Sofa. Auf der anderen Seite: einer rittlings auf dem Schoß des anderen. Die Gäste raunen hingerissen: "Was für realistische Details, einfach meisterhaft!" - "Muss den Gastgeber ein Vermögen gekostet haben!"

Meisterhafte Liebesszenen

Näheres über den Besitzer des antiken Silberbechers wissen wir nicht. Das exklusive Liebhaberstück verschwindet bald vom Erdboden. Gut möglich, dass es von seinem römischen Eigentümer eilig vergraben wurde, als Jerusalem Mitte des ersten Jahrhunderts von den Juden für kurze Zeit zurückerobert wurde. Doch es wird ganze 2.000 Jahre dauern, bis der Kelch wiederauftaucht. In Rom. Zwar sind die beiden Henkel verloren gegangen, aber die Dekoration befindet sich in einwandfreiem Zustand. Die Fachwelt ringt um Worte: "unzweifelhaft echt", so die Staatlichen Museen zu Berlin in einer Korrespondenz vom 9. August 1909.

Ganz außergewöhnlich! Aber ein Erwerb? Wohl eher, äh - heikel. Weil, äh - nun, diffizil zu rechtfertigen. Auch das Britische Museum in London zeigt kein Interesse an dem Porno-Unikat. Nur ein amerikanischer Kunsthändler in Rom namens Edward Warren greift schließlich zu. Der jetzt nach ihm benannte "Warren-Cup" verschwindet in seiner Privatsammlung.

Vom schwulen Skandalbecher zum Kultobjekt

Lange bleibt der schwule Skandal-Kelch des Mr. Warren unverkäuflich. Auch über den Tod seines Besitzers hinaus. Mit kopulierenden männlichen Paaren möchte keine öffentliche Sammlung in Verbindung gebracht werden. Eine Ausstellung? US-amerikanische Zollbeamte unterbinden die Einreise.

Erst Ende des Jahrtausends bekommt die festliche römische Silberarbeit wieder ein wertschätzendes Publikum. 1999 entschließt sich das Britische Museum in London doch noch zum Ankauf. Allerdings zu neuen Bedingungen. Der Becher kostet inzwischen ein Vielfaches des ursprünglich anvisierten Kaufpreises: Mit rund 1,8 Millionen Pfund wird der Warren-Cup die bis dahin mit Abstand teuerste Einzelerwerbung des Museums. Die Besucher sind hingerissen: "Was für realistische Details, einfach meisterhaft!" - "Muss den Besitzer damals ein Vermögen gekostet haben!"


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