Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

23. Mai 2007 Werbekampagne für Taj Mahal beginnt

Der Moghulkaiser Shah Jahan baute das Taj Mahal für seine Frau, die bei der Geburt des 14. Kindes starb. Am 23. Mai 2007 startete in Indien eine landesweite Kampagne, um dem Grabmal bei der Abstimmung über die Neuen Weltwunder einen vorderen Platz zu sichern.

Stand: 23.05.2011 | Archiv

23 Mai

Montag, 23. Mai 2011

Autor: Herbert Becker

Sprecher: Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Neuschwanstein ist durchgefallen. Das Schloss, mit dem sich unser König Ludwig einen Traum verwirklichte, kam nicht unter die ersten sieben, als 70 Millionen Menschen - per Telefonanruf und SMS - darüber abstimmten, welche Bauwerke als neue Weltwunder gelten sollten. Ein Schweizer Millionär hatte die Aktion ins Leben gerufen, und im Juli 2007 stand das Ergebnis fest. Schade für Neuschwanstein. Andererseits: Das erhaben auf einem Berg gelegene Schloss strahlt etwas von der Einsamkeit seines königlichen Erbauers aus. Es ist, wenn man so will, das Gegenteil des Taj Mahal. Jeder, der dieses Grabmal im indischen Agra einmal besucht hat, kann bestätigen, dass es von einzigartiger Harmonie und trotz seiner enormen Dimensionen von einer unglaublichen Leichtigkeit ist; wenn man es aus einiger Entfernung betrachtet, glaubt man fast, es schwebe. Vor allem aber ist das Taj Mahal das Denkmal einer großen Liebe.

Der Moghulkaiser Shah Jahan hat es als Mausoleum für seine Ehefrau Arjumand Banu - genannt Mumtaz Mahal, "Liebling des Palastes" - errichten lassen, nachdem diese bei der Geburt ihres vierzehnten Kindes gestorben war. Nach dem Tod seiner Frau soll sich der Kaiser kaum mehr in der Öffentlichkeit gezeigt haben, sein Haar und sein Bart, heißt es, seien schlagartig schlohweiß geworden, die Politik habe er fortan vollkommen vernachlässigt und sich statt dessen nur noch der Architektur gewidmet - genauer gesagt, dem Bau des Grabmals.

Die Reiseleiter, die mit Touristen aus aller Herren Länder vor dem Taj Mahal stehen, sind froh um solche Geschichten. Sie zeigen immer wieder Wirkung. Da flüstern in einer durchschnittlich großen Reisegruppe mindestens drei Frauen ihren Ehemännern ins Ohr: "So was würdest Du mir nie bauen." Was sollen die Männer darauf antworten? Vielleicht, dass sie ohnehin die kürzere Lebenserwartung haben, weil einem, der ständig solches Zeug eingeflüstert bekommt, die Lebenslust von selber vergeht? Nein, das ist unmöglich, das würde die ganze Reise verderben. Sie können nur darauf hoffen, dass der Reiseleiter seinen Ausführungen über die große Liebe wenigstens die Bemerkung anfügt, dass Shah Jahan mit seiner Bautätigkeit den gesamten Staatshaushalt zerrüttet hat, und dass er deshalb von seinem Sohn, der das nicht mehr mit ansehen wollte, vom Thron gestoßen wurde. Das ist zwar auch keine gesicherte historische Wahrheit, aber wenn schon! Über das Taj Mahal wird so viel behauptet, was bei genauer Betrachtung reine Spekulation ist, dass es darauf auch nicht mehr ankommt.

Der Reiseleiter könnte, wenn er zusätzlichen Balsam auf die wunden Herzen der Ehemänner träufeln wollte, behaupten, Shah Jahan sei ein Kriegsgewinnler gewesen.

So viel steht nämlich fest, dass während der Erbauung des Taj Mahal in Europa der 30-jährige Krieg tobte, und dass die Leute in diesem Krieg mit Pulver aufeinander schossen, zu dessen Herstellung Salpeter aus Indien verwendet wurde. Daran verdiente der Moghulkaiser ähnlich gut wie die Waffenlieferanten von heute an ihren Geschäften mit den sogenannten unterentwickelten Ländern. Der Unterschied ist nur, dass damals Indien das entwickelte Land war und eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte sondergleichen erlebte. Allerdings: Dass Shah Jahan das Taj Mahal erbauen ließ und dabei an die 20 Jahre lang mehr als 20.000 Arbeiter beschäftigte, leistete einer Inflation Vorschub, die wesentlich zum Niedergang des Moghulreichs beitrug.

So viel zum Denkmal der großen Liebe. Für die Inder, die am 23. Mai 2007 eine landesweite Kampagne eröffneten, um dem Taj Mahal bei der Abstimmung über die Neuen Weltwunder einen der vorderen Plätze zu sichern, spielten solche Erwägungen natürlich keine Rolle. Sie komponierten eigens eine Taj-Hymne, und in der Stadt Muzaffarabad gingen sogar die Damen des Rotlichtviertels auf die Straße: Mit Plakaten warben sie dafür, die Stimme für das Taj Mahal, dieses Symbol der Liebe, des Friedens und der Harmonie, abzugeben.

Für Neuschwanstein gab es keine derartige Kampagne. Es ist kein Symbol der Liebe. Kein Weltwunder. Nur das erhabene Monument eines einsamen Königs.


0