Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

2. Juli 1955 Tierpark für den Sozialismus in Berlin eröffnet

Ein tierisches Wettrüsten war das. Schließlich wollte der Ostberliner Zoo dem Westberliner Zoo in nichts nachstehen. Andersherum genauso wenig. Hier ein Gnu, dort ein Kudu! Dort ein Bär, hier zwei! Problem nur: Gerade im Osten fehlte es für solche Anschaffungen tierisch an Geld. Autorin: Prisca Straub

Stand: 02.07.2021 | Archiv

02 Juli

Freitag, 02. Juli 2021

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Die DDR-Führung hat die Nase voll. Endgültig! In Scharen drängen die Ost-Berliner rüber in den britischen Sektor. Dort starren sie in Schaufenster, knüpfen Westkontakte und spazieren - durch den Zoo! Inakzeptabel! Der kleine Innenstadt-Zoo an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hatte schon wenige Monate nach Kriegsende wiedereröffnet. Zwar ist die Tierauswahl bescheiden, doch auch in Ost-Berlin ist man ausgehungert nach ein wenig Ablenkung.

Ein eigener Zoo im Osten der Stadt

Also - eine volksdemokratische Gegen-Attraktion muss her! Warum nicht: ein eigener Tierpark - ein Zoo für den Sozialismus?! Ein passendes Areal ist schnell gefunden - ein verwilderter Schlosspark im Osten der Stadt: Mit fünfmal mehr Fläche wird Berlin-Friedrichsfelde dem Zoo im West-Sektor doch problemlos den Rang ablaufen! In den Führungsetagen am Alexanderplatz reiben sich die Partei-Funktionäre die Hände: 'Nu aba mal'n bisschen dalli!'

Eine wilde Laubenkolonie? Kann man wegplanieren! Ein Übungsplatz der Roten Armee? Hmm … da müssen die Genossen vielleicht irgendwo anders schießen! Nur: Mit wessen Arbeitskraft sollen Vogelvolieren und Hirschgehege eigentlich errichtet werden? Selbst jetzt, zehn Jahre nach dem Krieg, haben die Baubrigaden noch alle Hände voll zu tun - mit Trümmer-Beseitigung und Platten-Wohnungsbau. Das Tierpark-Projekt gerät erst mal ins Stocken.

Ohne die Aufbauarbeit Freiwilliger geht es also nicht: Sand schaufeln, Wassergräben ziehen, Wege anlegen, Unterholz roden - immer sonntags und nach Feierabend. Rund 100.000 unbezahlte Arbeitsstunden kommen so zusammen - für das "nationale Aufbauwerk". Dann ist es soweit: Am 2. Juli 1955 durchschneiden die Alpha-Tiere der DDR das rote Band zur Eröffnung ihres sozialistischen Zoos.

Doch mit dem Tierbestand ist es problematisch - ohne Devisen sind Exoten nur schwer zu bekommen, und der neue Zoodirektor ist auf Geschenke angewiesen: Das Ministerium für Schwerindustrie lässt einen Elefanten springen. Der volkseigene Betrieb "Kälte" einen Eisbären - und das Ministerium für Staatssicherheit spendiert - ausgerechnet - zwei Brillenbären.

Es dauert nicht lange und der Wettkampf ist in vollem Gang - Tierpark Friedrichsfelde gegen Westberliner Zoo. Der Osten hat - "den Größten", ohne Zweifel. Der Westen aber - den "Exklusiveren". Also rüstet man nach - im Osten zunächst mit einem Großen Panda. Der Westen reagiert - mit einem Menschenaffenhaus!

Getrennte Gärten

Dann: Mauerbau! Mit einem Schlag verlieren die Rivalen Tausende von Fans. Getrennte Gärten. Doch aus ihren eingezäunten Revieren beäugen sich die Platzhirsche unverändert kritisch: Westberlin bekommt ein Tropenhaus mit Freifluggehege? Der Tierpark antwortet mit einer Felsenhalle - für Großkatzen!

Das letzte Riesen-Projekt im Ostteil der Stadt geht unter - im Wirbel der Weltgeschichte. Vom neuen Dickhäuterhaus nimmt kaum noch einer Notiz. Wenige Tage nach der Einweihung fällt die Berliner Mauer. - Heute sind die beiden Attraktionen in der Zoo Berlin AG vereint. Und Touristen wundern sich: Zwei Zoos in einer Stadt? Da schütteln die Berliner den Kopf: "Keene Ahnung, wa!?"


1