Bayern 2 - Das Kalenderblatt


4

27. August 1912 Tarzan greift erstmals zur Liane

Tarzan: der König des Dschungels, erfunden von Edgar Rice Burroughs als Fortsetzungsgeschichte für Groschenhefte. Von der Kritik verrissen, vom Publikum – und natürlich von Jane – geliebt.

Von: Simon Demmelhuber

Stand: 27.08.2019 | Archiv

27 August

Dienstag, 27. August 2019

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Was fängt man bloß an mit so einer wilden Geschichte? Ein Findelkind wächst bei Affen im Urwald auf, lebt, jagt, tötet wie sie, als Tier unter Tieren. Der Knabe gedeiht, lernt aus eigener Kraft Lesen und Schreiben, hadert mit seiner Herkunft, verschafft sich Waffen, steigt auf zum König der Horde. Dann passiert die Sache mit Jane: Die weiße Frau strandet im Dschungel, der Tiermensch rettet sie aus tausend Gefahren, verliebt sich. Er verlässt den Wald, reift zum Mann von Welt, folgt ihr nach Amerika, wo sie zunächst einem andern die Ehe verspricht.

Exotik-Trash

Erfunden hat den athletischen Affenzögling Edgar Rice Burroughs, ein Ex-Offizier, Viehtreiber, Goldgräber, Polizist und zuletzt verkrachter Vertreter für Bleistiftanspitzer. In seiner Not versucht sich Burroughs als Autor für Groschenhefte. Gleich sein zweites Werk macht Furore: Tarzan bei den Affen erscheint am 27. August 1912 im All Story Magazine und ist auf Anhieb ein Massenerfolg.

Während Millionen nach immer neuen Urwaldgeschichten gieren, feuern die Wächter der Hochkultur aus allen Rohren: Was der Nobody da zusammenschreibt, ist rasch hingerotzter Fließbandmist, billiger Exotik-Trash, reißerisch aufgedonnerte Dutzendware. Genauso seicht ist Tarzan selbst: ein blutleerer Retortenheld, ein muskelstolzer Tugendprotz ohne Tiefgang und höhere Bewusstseinsweihen.

Stimmt alles. Aber da ist mehr. Das Löwenwürgen, Krokodilwälzen, Frauenretten und Astgehopse ist nur die Haut der Geschichte. Darunter wuchert ein Wurzelwerk mythologischer und literarischer Motive: Romulus und Remus klingen an, Kaspar Hauser, die Wolfskindsagen, die edlen Wilden der Aufklärung, die Zivilisationsverdrossenheit und Zurück zur Natur-Parolen der Jahrhundertwende. Vor allem aber geht es um Tarzans Suche nach sich selbst.

Das Tier im Mensch

Sie beginnt, als er über einen See gebeugt, sein Spiegelbild neben dem eines Affengefährten erblickt. Tarzan erkennt das Trennende und jetzt ist nichts mehr, wie es war. Fragen brechen auf, die sein Selbstbild erschüttern: Wer sind seine Eltern? Ist er Affe oder Mensch? Von nun an quält und zerreibt ihn ein Zwiespalt, den Darwin aufgerissen hat: Die verstörende Lehre vom nackten Affen, vom Tier im Menschen. Das ist die Erkenntniswunde, die er heilen, das ist der innere Urwald, den er meistern muss.

Es braucht ein paar wundersame Wendungen und etliche, bisweilen arg bemühte, klapprige Zufälle, aber schließlich findet Tarzan seine Antwort auf das Darwin-Dilemma: Bildung ist der Weg aus dem Wald. Die Fähigkeit zu denken, zu lernen, macht und adelt den Menschen. Aber das Denken reicht nicht. Um sich mit dem Rätsel seines Daseins auszusöhnen, muss er sein Affenerbe annehmen und lernend zähmen. Erst wenn das gelingt, kommen Natur und Kultur wieder zusammen. Dann wird Apoll neu geboren, als Urwaldgott im Anzug und Gentleman im Lendenschurz.

Alles schön und gut. Aber was ist mit Jane? Wie geht das weiter mit den beiden? Kriegen sie sich am Ende doch? Schon schnappt die Falle zu: wir greifen uns trashvergnügt die nächste Liane und lesen atemlos weiter: for ever Aaaouuuaaouu!


4