Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11. Juni 1973 Solar One: Das erste Solarhaus

Ein Haus, dessen Wärme- und Stromversorgung mittels Sonnenenergie erzeugt wird? Undenkbar – Anfang der 1970er Jahre. Und so wurde "Solar One" eine Sensation. Erdacht und erbaut wurde es vom Pionier der Solarenergie Karl Wolfgang Böer, ein Deutscher, den man erst in den Staaten machen ließ. Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 11.06.2021 | Archiv

11 Juni

Freitag, 11. Juni 2021

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Vom Wohnort in Berlin-Spandau zur Arbeit an die Humboldt-Universität, Unter den Linden: Und schon ist wieder eine "Berliner Stunde" vorbei, wie die pendelnden Hauptstadtbewohner gerne sagen. Auch Karl Wolfgang Böer ist diesen Weg einige tausend Mal gefahren: erst zum Studium der Physik, dann als Doktorand, später als Professor. Immer an der Humboldt-Universität, jeden Tag mit der S-Bahn zum Zoo und dann unterirdisch, Linie A, bis zum Hausvogteiplatz. Das wäre wohl so weitergegangen, hätte Böer am 13. August 1961 nicht zufällig eine Konferenz in den USA besucht. An dem Tag hatte zwar offiziell niemand die Absicht eine Mauer zu bauen, doch die Wirklichkeit sah anders aus. Für die U-Bahn war plötzlich am Gleisdreieck Endstation, und für den Physiker in Newark, Delaware.

Der verrückte Deutsche

Die Universität von Karl Marx und Albert Einstein hatte er hinter sich lassen müssen, in Delaware studierten eher Nobodies, zum Beispiel ein gerade noch mittelmäßiger Stotterer namens Joe Biden. Aber Karl Wolfgang Böer arbeitete sich schnell wieder hoch. Schon 1962 war er wieder Professor, jetzt in Newark. Und nahezu fanatisch verfolgte er eine Vision: die Energie der Sonne zu nutzen und so unabhängig zu werden von Kohle, Öl und Erdgas. Populär war die Idee damals nicht - es gab ja genug fossile Energiequellen. Aber in Delaware, da ließen seine Kollegen den verrückten Deutschen einfach mal machen.

Schon in der DDR hatte Böer über Festkörper geforscht, die Strom abgeben, wenn Licht darauf fällt. Das knallgelbe Kadmiumsulfid zum Beispiel. Sein Plan klang verwegen: dieses Zeug in einer dünnen Schicht in Glasplatten einzubauen, und wenn die Sonne scheint, den entstehenden Strom entweder zu verbrauchen oder in Batterien zu speichern.

Und außerdem noch mit Sonnenenergie zu heizen. Das hatten US-Forscher schon 1940 erfolgreich erprobt. Karl Wolfgang Böer tat sich dazu mit einer Expertin zusammen, die ebenfalls ihrer Heimat hinter dem Eisernen Vorhang den Rücken gekehrt hatte: Mária Telkes (Ausspr. telkesch) aus Ungarn.

Das Pionierhaus

Am 11. Juni 1973 war es soweit: Solar One war fertig, das erste Haus mit solarer Wärme- und Stromversorgung. Besonders markant: Das große Dach, steil nach Süden geneigt und voll gepflastert mit den Glasplatten. Innen eher im Stil einer Bastelwerkstatt mit Hunderten frei hängender Kabel, und ein eigener Schuppen für die unzähligen Batterien. Unten wohnten zwei Familien, das Dachgeschoss beherbergte Computer und diente als Steuer- und Forschungszentrale. Ein Schild wies darauf hin: Wenn die Experimente abgeschlossen sind, entstehen hier die Schlafzimmer.

Das Haus war eine Sensation, die Forschende von überallher anlockte. Denn es funktionierte wirklich, ohne Heizung, und der Strom kam - wenigstens fast immer - nur vom Dach. Noch heute steht "Solar One" an der South Chapel Street in Newark, inzwischen mit modernen Solarpanelen. Und als Karl Wolfgang Böer 2018 starb, feierte die Stadt den Pionier der Solarenergie und sein geliebtes Gestirn mit einem Gottesdienst zu Sonnenaufgang.


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