Bayern 2 - Das Kalenderblatt


2

25. September 1868 Schönheitssalon-Inhaberin Madame Rachel wegen Betrugs verurteilt

Man(n) sagt gerne, es gehe um innere Werte. Frau weiß: das ist oft gelogen. Und daher kann mit allem, was der Schönheit dient, viel Geld verdient werden. Das wusste schon Madame Rachel im 19. Jahrhundert. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 25.09.2020 | Archiv

25 September

Freitag, 25. September 2020

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Madame Rachels Kundinnen ließen ihre Kutsche genau vor die Ladentür rollen und huschten dann, das Gesicht verschleiert, rasch hinein. Denn beim Betreten des Schönheitssalons, dieses neuartigen Etablissements, ließen sich ehrbare Frauen besser nicht ertappen.

Betrügerische Schminke

Schminke war zu Königin Victorias Zeiten nicht nur aus der Mode gekommen, sie galt nun gar als Zeichen moralischer Verworfenheit, ein teuflischer Betrug, der an arglosen Männern verübt werde. Denn in äußerer Schönheit drücke sich der Charakter aus – reine Seele, reine Haut. Da waren Pickel und eine rote Nase fatal.

Zudem hatten Frauen in höheren Kreisen keine wichtigere Aufgabe, als sich auf dem Heiratsmarkt gut zu verkaufen und in Gesellschaft zu glänzen, wofür ein schönes Gesicht entscheidend war. Da blieb nur, die Zofe Salben für den Porzellanteint rühren zu lassen.

Oder Madame Rachels Salon aufzusuchen. Dort erwarteten sie exotische Verheißungen, wie "Arabischer Blütenpuder" und "Felsentauwasser aus der Sahara". In schwarzem Satin wie eine Herzoginwitwe, nahm sich Madame Rachel ihrer Sorgen an.

Ihre eigene Herkunft hüllte sie in Nebel, aber so wie ihr Wüstentau aus der Londoner Wasserleitung stammte, kam Rachel aus den Slums von Covent Garden. Sie hatte Fische gebraten und mit Altkleidern und Haarwuchsmitteln gehandelt, bevor sie aufs Ganze ging. Immerhin musste sie sieben Kinder durchbringen.

Eine anrüchige Institution

So eröffnete sie 1859 ihren Salon in der Bond Street, der Luxuseinkaufsmeile im Nobelviertel Mayfair, und annoncierte ihre Dienste in der Times, den Hofjournalen und dem Adelskalender. Ihre Preise waren astronomisch, und das Geschäft brummte.

Sie konnte ein Haus in der Stadt mieten und noch eins im Grünen, dazu eine private Kutsche und eine Opernloge. Sie war, so eine Zeitung, eine "britische Institution", wenn auch von der anrüchigen Art.

Zwar besaßen ihre aristokratischen Kundinnen keinen Penny, denn dem Gesetz nach gehörte alles Geld dem Ehemann. Aber Madame Rachel war gern bereit, als Sicherheit für ihre Schulden ihre Juwelen anzunehmen, die sie umgehend versilberte.

Doch bei Mary Borradaile lief die Sache aus dem Ruder. Um die Sparsamkeit der nur mäßig vermögenden Witwe zu überwinden, behauptete Madame Rachel, ein echter Lord wolle sie ehelichen – sie müsse sich nur verschönern lassen. Mit dem bizarren Heiratsschwindel nahm sie die Frau aus bis auf den letzten Knopf. Völlig ruiniert, zerrte sie Rachel vor Gericht.

Die Presse wusste nicht, ob sie die Betrügerin schlimmer fand oder das Opfer, das in mittleren Jahren noch auf Männerfang ging. Über Borradaile sang man Spottlieder auf der Straße, Madame Rachel wurde als "jüdische Viper" attackiert. Am 25. September 1868 wurde sie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Drei davon saß sie ab, dann eröffnete sie einen neuen Schönheitssalon. Nach einem zweiten Betrugsprozess starb sie im Gefängnis. Da entwickelte sich schon eine Kosmetikindustrie, auch Make-up wurde wieder gesellschaftsfähig, und bald gründeten andere Frauen aus kleinen Verhältnissen mit überteuerten Cremes Weltkonzerne.


2