Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. April 1972 Der Rollkoffer wird patentiert

Praktisch, entlastend und genial: Bernard Sadows Erfindung, der Rollkoffer. Und doch war er zunächst lange Zeit ein Ladenhüter und scheiterte unter anderem an der Machoblockade. Zum Erfolg rollerte der Koffer erst später in einer modifizierten Version mit festem Teleskopgriff statt Schlaufe. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 04.04.2023 | Archiv

04 April

Dienstag, 04. April 2023

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Endlich Urlaub! Ausspannen, durchatmen, runterkommen, aah! Wenn da bloß nicht die Sache mit dem Hinkommen wäre! Irgendwie muss das Gepäck ja zum Flieger, in den Bus, die Bahn, die Unterkunft. Und das bedeutet: beidarmiges Hindernishetzen mit Taschen und Koffern, heißt: wuchten, stemmen, schleifen, bis Hände krampfen und Bandscheiben knacken.
Ganz schön hart.

Gepäck auf Rädern

Und überflüssig wie ein Kropf. Reisen kann man auch eleganter und deutlich weniger grobmotorisch. Zumindest seit einer Erleuchtung die Bernard Sadow 1970 im Flughafen von Puerto Rico ereilt. Die Umstände sind alles andere als mystisch. Sadow hastet nach einem Karibikurlaub mit Frau und Kindern zum Anschlussflug nach New York. Die Halle dampft, Menschen wuseln, zwei Koffermonster kugeln ihm die Arme aus, die Zeit wird knapp. Egal! Er muss einfach einen Augenblick verschnaufen, muss sich ausschütteln, Schweiß abwischen. Das ist der Moment, da passiert es: Eine riesige Kiste schwebt an ihm vorbei, als wäre jede Schwerkraft aufgehoben.
Sadow stutzt, schaut genauer hin, versteht, begreift und lächelt. Die Kiste steht auf einem Brett mit Rollen drunter. Auf einen Schlag ist der Vize-Chef einer Firma, die Koffer und Reisetaschen herstellt, hellwach. Gepäck auf Rädern! Gleiten statt schleppen! Das ist es, da schlägt sein Sensor für Geschäftsideen voll aus!
Daheim vergräbt sich Sadow wochenlang im Bastelkeller und tüftelt am Projekt Rolling Luggage. Die Rohlinge liefert sein Unternehmen frei Haus, was sonst noch fehlt, findet sich im Eisenwarenhandel und im Kinderzimmer.
Das erste Modell montiert Sadow noch auf ein Spielzeugauto seines Sohnes, experimentiert danach mit Kugel-, Gleit- und Lenkrollen aus Metall, landet zuletzt bei vier Gummirollen, die er unter die Längsseite schraubt. Jetzt noch eine Schlaufe zum Ziehen, fertig ist der Ur-Rollkoffer!

Ladenhüter und Machoblockade

Doch niemand will ihn haben. Die großen Kaufhäuser winken ab. Anständige Frauen reisen in den 1970ern nur in Begleitung männlicher Gepäckträger, und echte Kerle schleppen sich eher kreuzlahm, bevor sie einen Koffer an der Leine Gassi führen. Die Machoblockade bröckelt erst, als der Manager einer Macy's-Filiale zwei Models mit Mustermodellen durchs Haus stöckeln lässt. Plötzlich ist die Idee gar nicht mehr so absurd, sondern hochattraktiv.

Am 4. April 1972 ist auch das US-Patent unter Dach und Fach, jetzt könnte es losgehen! Doch das Geschäft läuft zäh. So richtig alltagstauglich sind die Dinger nämlich nicht. Sie schlingern, schwanken, schlagen um, liegen platt wie tote Käfer. Fünfzehn Jahre später packt der Pilot Robert Plath zwei Rollen an die kurze Seite, baut oben einen festen Teleskopgriff ein und gewöhnt den Wackelkoffern so das Kentern ab.

Jetzt passt alles! Und eigentlich müssten Denkmäler an jedem Bahnhof, jedem Hafen, jedem Reisezentrum die Schutzpatrone aller Sehnen und Gelenke ehren. Aber leider gehören auch Sadow und Plath zu den vergessenen Wohltätern der Menschheit. Dann lasst uns wenigsten eine stille Danksagung murmeln, wenn wir demnächst unsere Urlaubshabe wieder ganz gelöst von hier nach dort bugsieren.


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