Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11. Dezember 1905 Radeberger Pilsner wird königliches Tafelgetränk

Bier war lange kein wahrer Genuss, zumindest in Radeberg – Grund für eine Krisensitzung. Es entstand die Idee für ein Bier aus eigener Herstellung. Das Ergebnis mundete auch dem König. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 11.12.2018 | Archiv

11 Dezember

Dienstag, 11. Dezember 2018

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Nichts ist bedrohlicher für einen Monarchen als die Unkenntnis darüber, wie und wovon seine Untertanen leben. Das wohl berühmteste Beispiel ist die französische Königin Marie Antoinette. Als das hungernde Volk vor dem königlichen Palast revoltierte, fragte sie: "Was wollen die Leute?" – "Sie haben kein Brot", war die Antwort. Und die Königin konterte: "Dann sollen sie eben Kuchen essen!" Diese Haltung kostete sie den Kopf. Das Volk hatte es satt zu hungern und erhob sich gegen die Herrschenden.

Es ist nicht immer so, dass Regenten mit einer derartigen Ignoranz aufwarten; und die Geschichte von Marie Antoinette ist auch nur halb wahr. Sie wurde der Dramatik halber zurechtgedichtet. Diejenigen unter den Staatsoberhäuptern, die dem Volk genauer auf den Teller schauen, finden dort nicht selten ihre zukünftigen Leibspeisen. Kaiser Franz Joseph I. von Österreich etwa entdeckte die Erfindung des fränkischen Metzgers Lahner, der in Wien mit einer neuen Sorte Kochwürstchen Furore machte. Ab da gab es bei Kaisers jeden Tag Wienerle – die in Wien allerdings Frankfurter hießen. Ob seine Majestät sie den Landesfarben entsprechend rot-weiß verzehrte oder mit Senf, ist nicht belegt.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Doch der Mensch lebt nicht von Wurst allein: noch wichtiger als Essen ist ihm das Trinken.

Mit Getränken stand es um 1870 schlecht; das fanden jedenfalls die Bürger der Stadt Radeberg bei Dresden. Sie wollten Bier trinken, doch die Bierbraukunst war damals mitnichten eine ausgegorene Sache. Das Gebräu war ungenießbar: warm vergoren, trüb und säuerlich. Die Honoratioren der Stadt beriefen eine Krisensitzung ein – vorsichtshalber in einem Weinlokal. Dort traf man eine folgenreiche Entscheidung für die Geschichte des deutschen Bieres: Eine Delegation reiste in die 250 Kilometer entfernte Stadt Pilsen. Die Pilsener hatten eine Braumethode entwickelt, die ein angenehm herbes, frisch schmeckendes Bier hervorbrachte.

Details dieser Dienstreise sind nicht überliefert, aber das Ergebnis spricht für sich: der Genuss inspirierte die Herren aus Radeberg, das Pilsener Brauverfahren zu exportieren und auf eigene Faust weiterzuentwickeln. Fünf von ihnen wurden auserwählt, eine Brauerei zu gründen. 1872 begann es im örtlichen "Bergkeller" zu gären.

Ein königliches Bier

Man könnte sagen, die Radeberger waren mit ihrer Rezeptur am Pils der Zeit – nicht nur die Bevölkerung kam schnell auf den Geschmack, sondern auch der sächsische König. Per Dekret erklärte er am 11. Dezember 1905 das Radeberger Pilsener zum "Tafelgetränk Seiner Majestät des Königs Friedrich August von Sachsen". Mit diesem Etikett lässt es sich doppelt gut brauen, der Umsatz florierte. Ironie des Schicksals: Das prämierte Volksgetränk war für die Radeberger Bürger lange Zeit kaum zu haben: in den vier Jahrzehnten der DDR war es dem Export vorbehalten, und der privilegierten Minderheit derer, die sich mit Westgeld im Interhotel ein Glas genehmigen konnten. Doch die Durststrecke ist überstanden: über hundert Millionen Liter Radeberger Pilsener fließen pro Jahr in durstige Kehlen, weltweit und in Radeberg.

Wie viele Wiener Würstchen weltweit verzehrt werden – darüber schweigt die Statistik, vermutlich wegen Überforderung.


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