Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. März 1741 Priesterkandidat Casanova simuliert Ohnmacht, da zum Predigen zu verkatert

Eine gewisse Lockerheit vor Prüfungen wünschen sich viele Lampenfiebergeplagte. Die Lockerheit, die sich Casanova vor einer Predigt jedoch antrinkt, führt nicht zum Prüfungserfolg.

Stand: 19.03.2019 | Archiv

19 März

Dienstag, 19. März 2019

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Eigentlich wäre er lieber Arzt geworden. Doch la nonna ist eine Großmutter, der man nicht widerspricht: Der Bub wird Geistlicher, und damit basta! Wo wäre für einen wie ihn sonst besser gesorgt? Fünfzehn ist er jetzt, ein Schauspielerkind, der Vater tot, die Mutter in London, Warschau, Dresden verpflichtet, das Geld fehlt vorne und hinten.

Oma hilft!

Strapaziös sind die Studien der liturgischen Geheimnisse gottlob nicht. So hat Giacomo Casanova reichlich Muse zur Erkundung irdischer Finessen. Als Günstling eines Senators stehen ihm die Paläste der Lagunenstadt offen. Noch ist er nicht der funkelnde Verführer und schillernde Chevalier de Seingalt. Aber er ist gescheit, hat Manieren, Witz, Geist, Grazie. Auf den Bällen der guten Gesellschaft macht der galante Plauderer rasch bella figura. Das ist seine Welt: Nicht der ferne Himmel, sondern das Diesseits ohne Wenn und Aber, ganz und gar.

Er liebt das Spiel mit dem Schein, den Glanz der endlosen Feste und Soireen. Glänzen will auch er, will strahlen, leuchten, zeigen, was in ihm steckt. Die Bühne dafür steht in San Samuele bereit. Hier hält er an Weihnachten 1740 seine erste Predigt. Sie ist ein durchschlagender Erfolg, man applaudiert, prophezeit Großes. La nonna ist selig und Giacomo überzeugt, sein Glück als bedeutendster Kanzelredner des Jahrhunderts zu machen. Die Gelegenheit zu brillieren, kommt bald. Man trägt ihm an, am Festtag des heiligen Joseph erneut die Kanzel zu besteigen.

Große Reden

Der Abate macht sich ans Werk. Das Ding gedeiht, er hat es einfach drauf! Aber muss er alles auswendig lernen? Ach was!

Was sein Kopf einmal erdacht hat, steckt für immer drin. Er braucht es nur herauszulassen, va bene cosí! So ist Casanova auch am 19. März 1741, dem Tag der Bewährung, tiefenentspannt. Dass er um 16 Uhr predigen soll, ist kein Grund, auf ein Mittagsmahl mit Freunden zu verzichten. Es wird ein rauschendes Gelage, ein Gaumen- und Gurgelvergnügen: Der Teufel tischt auf, schenkt quietschvergnügt nach, Casanova vergisst die Zeit. In letzter Minute besteigt er die Kanzel, umbraust von raunender Erwartung, durchdampft von gärendem Wein.

Der Anfang gelingt. Doch dann ein winziges Stolpern, ein zweites, drittes Stocken und Haspeln. Er strauchelt, verrennt sich. Wortmorast wabert, Erinnerungsfetzen wirbeln. Die Schläfen wummern, der Gaumen klebt. Getuschel, Flüstern, Gelächter rankt giftig von unten herauf. Panik! Totale Vernichtung droht! Was tun? Bleibt nur eins: der ganz große Abgang. Schon seufzt er auf, verdreht die Augen, taumelt, trippelt und gleitet zuletzt, den Handrücken gegen die Stirn gepresst, anmutig flatternd zu Boden. Im Hinsinken noch, im Schrauben seiner rettenden Ohnmachtspirouette, reift eine Erkenntnis: Finito, das war's! Predigen kommt nie mehr in Frage. Sein wahres Talent, er ahnt es längst, wird Casanova nicht im Schoß der Kirche entfalten.


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